“Gewaltige Songs für kurze Tage”
Artist: Alcest
Herkunft: Bagnols-sur-Cèze, Frankreich
Album: Kodama
Spiellänge: 42:12 Minuten
Genre: Blackgaze, Shoegaze, Post-Rock
Release: 30.09.2016
Label: Prophecy Productions
Link: https://www.alcest-music.com/
Bandmitglieder:
Gesang, Gitarre, Keyboard – Neige
Schlagzeug – Winterhalter
Bassgitarre – Indria Saray
Gesang – Kathrine Shepard (Titeltrack “Kodama”)
Tracklist:
- Kodama
- Eclosion
- Je Suis D’ailleurs
- Untouched
- Oiseaux De Proie
- Onyx
Da ist es also, das fünfte Studioalbum der französischen Blackgaze-Pioniere Alcest. Kodama heißt es, und so japanisch wie es klingt, ist auch das Konzept hinter dem sechs Songs umfassenden Werk. Denn Kodama ist das japanische Wort für “Baumgeist” und “Echo”. Inspiriert von Hayao Miyazakis Anime-Film Prinzessin Mononoke nimmt sich Kodama dem Schicksal der Titelheldin an und spiegelt das Gefühl der Nichtzugehörigkeit wider, einem Leben zwischen den Welten, zwischen Stadt und Natur, zwischen dem körperlichen und dem spirituellen Dasein.
Das Prinzip, Konzept-Alben um die 40 Minuten Spiellänge zu schreiben und auf wenige und dafür eindrucksvolle Songs zu reduzieren, greifen die Masterminds Neige und Winterhalter wie auch bereits bei einigen der Vorgänger erneut auf. Neu ist dafür, dass sie den langjährigen Tourbassisten Indria Saray als festes Mitglied in die Produktion mit eingebunden haben.
Der gut neun Minuten lange Opener und Titeltrack Kodama nimmt den Hörer direkt mit auf eine Reise durch schroffe Welten und weite Landschaften, untermauert durch Neiges hellen und raumgreifenden Gesang, begleitet durch ein glockengleiches Melodiethema, intoniert von Kathrine Shepards der norwegisch-französischen Post-Rock-Band Sylvaine.
Als musikalische Einflüsse nannte man für das vorliegende Werk im Vorfeld teils ungewöhnliche Bands wie The Smashing Pumpkins, Tool, Dinosaur Jr., Grimes und The Cure. Letztere greifen förmlich nach dem Hörer beim Song Eclosion, dessen musikalisches Thema verwandt ist mit The Cures Leitmotiv im Song Lullaby, in einem treibenden Gitarrenpart gipfelnd, der auch gut sein Plätzchen auf Billy Corgans Siamese Dream gefunden hätte. Neige zeigt hier auch mehr als deutlich seine Idee, verstärkt gegensätzliche Momente einzusetzen, indem er feine Melodien verzweifelten Screams gegenüberstellt.
Obwohl das Album bereits im April 2016 fertiggestellt wurde, veröffentlichte die Band es erst zum Herbstbeginn, und mit jedem weiteren Song erahnt man einen durchdachten Plan dahinter. Die Tiefe und Melancholie, die sich auch bei Je Suis D’Ailleurs – übrigens eine Kurz-Horrorgeschichte von HP Lovecraft, in der sich eine in einem dunklen Schloss lebende Person nach Licht und menschlicher Gesellschaft sehnt – offenbart, ist nichts für den Surfurlaub an der französischen Küste. Der Schwere des Songs hält kein schwimmfähiges Objekt stand und alles im näheren Umfeld versinkt hilflos in reißenden Strudeln.
Untouched war der erste Song, den Alcest für Kodama schrieben, der gemeinsam mit dem Titeltrack den Weg zeichnete und ein recht guter Spiegel des Gesamtwerks ist, ohne damit auch nur eines der sechs Lichter des Gesamtkonzepts in Frage zu stellen. Seine melodische Leitidee ist Freiheit, Erlösung und Leichtigkeit.
Oiseaux De Proie spielt mit der Aggression, der Verzweiflung und Halleffekten in der Gitarre, die Raubvögel-Lauten gleichen, was in der Übersetzung aus dem Französischen eben genau dies’ bedeutet. Man merkt, dass sich das Duo in den Monate dauernden Aufnahmen auch gerne Zeit für die feinen Details genommen hat, um die Geschichte hinter Kodama auch umfassend und gerecht auszuschmücken.
Der die Platte schließende Song Onyx ist ein Soundexperiment. Gänzlich ohne Schlagzeug und Gesang baut sich hier das Bild eines Leben verachtenden Schneesturms auf, Kristalle, die auf den Wangen brennen, steife Knie und Finger, die taub den schmutzig-weißen Aschegrund berühren. Ein Ende.
Musikalisch hallen hier für viele Hörer ersehnte akustische Reminiszenzen an frühe Alcest-Werke nach, nachdem einige Fans der ersten Stunde mit den deutlich eingängigeren letzteren Veröffentlichungen auf Kriegsfuß standen und den fehlenden Tiefgang anprangerten. Das ist definitiv mit Kodama revidiert worden. Das Schlagzeug wurde im eigenen Proberaum zugunsten des natürlichen Halls aufgenommen, während die Gitarren in der Post-Produktion nicht durch Computerprogramme liefen, sondern lediglich mit einem Fender Jazzmaster und Effektgeräten für einen natürlichen Live-Sound im Studio interpretiert wurden.