Dance Gavin Dance Köln

Dance Gavin Dance am 18.11.2016 im Underground, Köln

Ein wilder Tanz durch die Bandgeschichte

Eventname: Ten Year Anniversary Tour

Headliner: Dance Gavin Dance (USA)

Vorbands: Good Tiger (UK), Kurt Travis (USA), Jonny Craig (USA)

Ort: Underground, Köln

Datum: 18.11.2016

Kosten: 19,40 Euro

Genres: Post-HC, Experimental Hardcore, Experimental Rock

Veranstalter: Prime Entertainment

Link: https://www.facebook.com/events/277276649273500 

Setlists:


(Auszug)
Strawberry Swisher
The Maiar


(Auszug)
Children Of Divorce
Rolling Stone (The Weeknd-Cover)
Marvin’s Room (Drake-Cover)
Cry Me A River (Justin Timberlake-Cover)


(Vorbehaltlich:)
01. Snake Oil
02. I Paint What I See
03. Aspirations
04. Float On
05. All Her Own Teeth
06. Where Are The Birds


01. Chucky vs. The Giant Tortoise (Pearson)
02. Stroke God Millionaire (Pearson)
03. On The Run (Pearson)
04. Strawberry Swisher Pt. 3 (Pearson)
05. Betrayed By The Game (Pearson)
06. Tree Village (Travis)
07. Carl Barker (Travis)
08. Alex English (Travis)
09. Spooks (Craig, Raps von Gitarrist Will Swan)
10. Lemon Meringue Tie (Craig)
11. And I Told Them I Invented Times New Roman (Craig)
12. Uneasy Hearts Weigh The Most (Travis, Craig, Pearson)
13. We Own The Night (Pearson)

Dance Gavin Dance Köln

Als bekannt wurde, dass Dance Gavin Dance eine Tour zum zehnjährigen Bandbestehen in den USA spielen, habe ich gebetet, dass sie in ihrer Planung auch Europa berücksichtigen würden. Viel zu lange war es her, seit ich sie 2009 im Luxor gesehen habe, also um genau zu sein sieben Jahre – damals noch mit ihrem zweiten Sänger Kurt Travis. Und genau das ist die Besonderheit der Jubiläumstour, denn Dance Gavin Dance haben es geschafft, alle drei Sänger, die es in der bisherigen Bandgeschichte gab, zu vereinen und gemeinsam auf die Bühne zu stellen. In den USA schnappte man sich kurzerhand Jonny Craigs Slaves und Kurt Travis´ A Lot Like Birds, bei denen er bis vor kurzem noch am Mikro stand als Support. Der aktuelle Sänger Tilian Pearson stieß nach dem wiederholten Ausstieg von Jonny Craig zur Band, nachdem er vorher bei Tides Of Man sang. Verwirrt? Okay, kurze Geschichtsstunde: Jonny Craig: 2006-2008, Kurt Travis: 2008-2010, Jonny Craig: 2010-2012, Tilian Pearson 2012 bis heute. Und damit noch nicht genug, denn die Band gönnt sich mit Jon Mess einen Shouter, der während der Travis-Phase von Gitarrist Will Swan am Mikro ersetzt wurde. Über die Wechsel an Gitarre und Bass reden wir lieber erst gar nicht. Was konstant blieb, waren Swan an der Lead-Gitarre und Mingus am Schlagzeug. Man könnte also meinen, diese Band steht auf wackeligen Beinen und kann sich glücklich schätzen, heute überhaupt noch zu existieren. Wie gut das Zusammenspiel der Verflossenen mit der Band funktioniert, soll sich heute beweisen.

Parallel findet im Underground 2 – was wir erst nachher erfahren haben – ein Konzert der norwegischen Pop-Sängerin Astrid S. statt, weshalb man uns allen Ernstes am Eingang fragt, ob wir über 18 sind und einen Packen eingesammelter Ausweise entgegenhält. Gut, sowas schmeichelt. In der Schlange am Eingang hinten angestellt, werden wir von einem freundlichen Herrn mit den Worten „Ihr seht nicht so aus, als wollt ihr zu der Kiddie-Veranstaltung“ an selbigen vorbeigelotst. Das Underground 1 ist luftig besetzt, die Merch-Verkäufer lächeln einladend in die Gesichter der vorbeiziehenden Gäste. Ich hoffe inständig, dass die Qualitäten der Band anerkannt werden und sich der Raum noch füllt. Während der Wartezeit läuft die aktuelle Port Noir-Platte und als ich die Tontechnikerin sehe, die in der Elektroküche der Essigfabrik beim Euroblast das Mischpult bediente, verstehe ich auch, wieso. Gute Wahl.

Als Support hat man sich die hochkarätig besetzten Good Tiger aus London geholt. Niemand geringeres als Ex-TesseracT Sänger Elliot Coleman, die Ex-The Safety Fire Gitarristen Derya Nagle und Joaquin Ardiles, Ex-The Faceless Drummer Alex Rüdinger und Bassist Morgan Sinclair, der bereits Tour-Gitarrist der grandiosen Architects war, formieren hier ein interessantes Gespann.

Doch bevor die zweite vollbesetzte Band auf die Bühne darf, tritt erst einmal der unscheinbar wirkende Kurt Travis (Ihr erinnert Euch) mit seiner Gitarre alleine auf die Bühne. Es ist 19:30 Uhr, und das Underground ist vielleicht zu einem Drittel gefüllt. Maximal. Kurt tut mir ein wenig leid, aber ihn scheint das nicht zu stören. Selbstbewusst stellt er sich mit seiner braunen Carhartt-Mütze ans Mikro und kündigt an, ein paar Songs zu spielen. Gute Entscheidung. Zuerst spielt der mittelgroße sympathische Mann einige seiner eigenen Songs sowie auch eine der Strawberry Swisher-Versionen, die er einst mit Dance Gavin Dance für das Album Happiness aufgenommen hatte. Ein wenig schüchtern und zurückhaltend wirkt er hinter seiner schwarz-glitzernden Gitarre und vor dem warm klingende Orange-Amp mit der kleinen Kerze darauf dann doch. CDs habe er leider nicht mehr, da sie alle ausverkauft seien, aber man könne sich seine Musik gerne bei Spotify anhören. Nach vier oder fünf Songs ist sein entspannter und netter Auftritt dann auch leider schon vorbei und Jonny Craig wird angekündigt.

Kurt Travis @ Underground, Köln
Kurt Travis @ Underground, Köln

Craig, der vorher noch in dicker Winterjacke mit Fellkragen am Merch-Tisch stand, betritt dann auch nur wenige Minuten später im weit ausgeschnittenen Träger-Oberteil die Bühne, da für seinen Solo-Auftritt keinerlei größere Umbaumaßnahmen notwendig sind. Mit ihm kommt auch Kurt Travis zurück auf die Bühne, um ihn auf der Gitarre zu begleiten. Travis entheddert noch das Mikro vom Mikrophonständer, drückt Craig das Mikro in die Hand und stellt den Ständer zur Seite. Es wirkt ein wenig fürsorglich. Craig verkündet, dass er krank sei und sein Bestes geben würde. Zur Genesung hat er sich dann auch eine Flasche Bier auf den Amp gestellt und das Tetrapak, an dem er eingangs gerochen hatte, um dann festzustellen, dass sich in selbigem Wasser befindet, angewidert weggestellt. Nase hochgezogen und los. Mit kleinen, verkniffenen Augen singt sich Craig durch sein Set, das u. a. aus Children Of Divorce von seinem Solo-Album A Dream Is A Question You Don’t Know How To Answer besteht, sowie aus Coverversionen von The Weeknd, Drake (von dem Craig ein Shirt trägt) sowie Justin Timberlake. Die, die Jonny Craig nicht kennen, mag die Auswahl verwundern. Wer jedoch einmal seine soullastige Stimme gehört hat, weiß, dass er kaum eine bessere Wahl für Coversongs hätte treffen können. Travis unterstützt ihn einmal für ein Outro sogar am Mikro, das ihm freundlicherweise von Craig hingehalten wird. Dafür, dass Craig krank ist, hat er auch heute wieder eine überragende Stimme, die einem auch gerne mal kalte Schauer den Rücken runterlaufenlassen kann und Gänsehaut auf den Armen produziert. Nach einem ähnlich kurzen Set wie bei Travis geht’s dann für beide Musiker auch schon wieder runter von der Bühne.

Jonny Craig @ Underground, Köln
Jonny Craig @ Underground, Köln

Jetzt kommt also die Quasi-Allstar-Band Good Tiger. Groovige Songs mit tanzbaren Rhythmen, progressiv, aber nicht verwirrend, mal geschriene Vocals, mal gesungene, ergänzen sie eigentlich recht gut das heutige Line-Up. Zum Soundcheck intoniert der lockenköpfige Sänger Elliot den „Always Coca Cola“-Jingle, fühlt sich anschließend auch gleich zuhause auf der Bühne und gibt direkt von Sekunde 1 an Vollgas. Den ein oder anderen mag seine sehr helle, hohe Stimme irritieren und manchmal sitzt nicht jeder Ton wie auf Platte, was bei der Höhe der Töne und dem zwischenzeitlichen Growlen und Screamen zu verzeihen ist. Die Menge des mittlerweile recht gut gefüllten Undergrounds lässt die kleinen Aussetzer kalt und klatscht motiviert auch bei Aufforderung zum Rhythmus der Songs. Zwei Besonderheiten werden dem Publikum zuteil: Erstens feiert Drummer und Arbeitstier Alex seinen 25.(!) Geburtstag. Zweitens geht die Band im Januar wieder ins Studio, um den Nachfolger zu A Head Full Of Moonlight aufzunehmen, und als exklusive Vorschau spielt man einen der kommenden Songs live. Zum Abschluss des Sets spielt die Band den funky Album-Opener Where Are The Birds und sorgt damit dafür, dass im Publikum bloß niemand auf die Idee kommt, vor Dance Gavin Dance müde zu werden. Solider Auftritt einer Band, von der man hoffentlich noch viel hören wird.

Good Tiger @ Underground, Köln
Good Tiger @ Underground, Köln

Gegen 21:15 Uhr betreten dann Dance Gavin Dance die Bühne. Tour-Gitarrist Andrew Michael Wells – eigentlich Sänger und Songwriter für Eidola – hatte sich kurz vorher in Bristol den Fuß gebrochen und sitzt daher heute auf einem Barhocker, keine Miene verziehend. Los geht’s zuerst und korrekterweise mit Tilian Pearson alleine. Zu hören gibt es Titel aus allen drei Alben, an denen Pearson bisher beteiligt war. Während sich Jon Mess am Mikro die Seele aus dem Leib brüllt und nicht selten dabei einen roten Kopf davonträgt, tänzelt Pearson leichtfüßig über die Bühne, lächelt, macht wellenartige Bewegungen mit den Armen und formt mit selbigen immer wieder eine markante Geste, die ich nicht deuten kann, aber schnell missinterpretiert werden könnte. Mastermind Will Swan steht beinahe teilnahmslos in der linken Ecke und zockt sauber seine experimentellen und wilden Licks und Riffs runter, ordentlich schwitzend, was sicher auch seiner dicken Mütze in Jamaika-Farben geschuldet ist. Nach der letzten Auskopplung Betrayed By The Game aus dem aktuellen Album verabschiedet sich Pearson kurz und macht Platz für Kurt Travis.

Der vorher so zurückhaltende Kerl bricht nun förmlich aus sich heraus und genießt es sichtlich, „seine“ alten Songs live interpretieren zu können. Carl Barker, der auf Tree Village folgt kündigt er mit den Worten „This is a dancing song!“ an und das tut er dann auch – tanzen. Diese Momente sind jene, für die man die Band einfach lieben muss, wenn aus Rocksongs, bei denen sich andere lieber rumschubsen, echte „Dancefloor-Nummern“ werden und die Ausgelassenheit ein neues, höheres Level mit echter Klasse erreicht.  Ein wenig unkontrolliert schmeißt Travis noch sein Mikro in die Luft und hechtet schnell hinterher, um es dann überraschend sicher wieder aufzufangen.

Dance Gavin Dance @ Underground, Köln
Dance Gavin Dance @ Underground, Köln

Nach Alex English verlässt Travis nach einem überragenden Auftritt die Bühne wieder und macht Platz für Jonny Craig. Sein Part des Sets startet mit Spooks, bei dem dann auch Will Swan, der sonst immer recht nahe am Mikro stand, aber nie etwas sagte, den Rap-Part übernimmt. Großes Kino! Dem nachfolgenden Lemon Meringue Tie schließt sich einer DER Hits der Band an, And I Told Them I Invented Times New Roman. Der Song ist die erste Nummer, die ich damals von Dance Gavin Dance gehört habe und die sich – auf den Gesang bezogen – dank der Symbiose aus Screams, teilweise harten Vocals und souligen Passagen eingebrannt hat. Und Craig singt den Song, als wäre er Teil seiner täglichen Routine. Wie auch beim Auftritt seiner Band Slaves in Köln in diesem Jahr springt er ins Publikum, um auf Händen getragen vollkommen entspannt weiterzusingen.

Dance Gavin Dance @ Underground, Köln
Dance Gavin Dance @ Underground, Köln

Zu Uneasy Hearts Weigh The Most betreten nochmal alle Sänger die Bühne und intonieren die Nummer gemeinsam. Etwaige Rivalitäten sind nicht präsent oder zumindest für das Publikum nicht spürbar. Craig steht zwar mittig, was aber nicht als Zeichen gewertet werden sollte, da wirklich jeder seine Takte Ruhm abbekommt. Mit We Own The Night vom 2015er Instant Gratification stellt Pearson jedoch abschließend nochmal klar, dass er nun der Sänger der Band ist.

Dass es sich die Profimusiker nicht nehmen lassen würden, eine ebenso professionelle Show auf die Beine zu stellen und den Fans das zu liefern, was alle erwartet haben mögen, steht außer Frage. Dass es dann derart überzeugend und glatt laufen würde, hat mich erstaunt und ich bin froh, das zehnjährige Bandjubiläum miterlebt zu haben. Großartige Einzelshows, solider Support und eine gelungene Mischung aus alten und neuen Songs passend zu jedem Sänger oder auch im Kollektiv.

Dance Gavin Dance @ Underground, Köln
Dance Gavin Dance @ Underground, Köln

Als wir das Gelände verlassen, sehen wir eine Traube jüngerer Menschen und vermuten, dass die Kids sich ihre Ausweise einzeln abholen müssen. In Wahrheit steht aber eingangs erwähnte Astrid S. in silberner Hose und silberner Jacke vor dem Underground und lässt sich geduldig umarmen und hält für Selfies still. Ganz ehrlich: Wer braucht eine Retorten-Sängerin im Astronautenkostüm, wenn man mit den galaktisch guten Dance Gavin Dance unbekannte Weiten erforschen kann?