Motörhead, Anthrax & Diaries Of A Hero am 25.11.2012 in der Turbinenhalle in Oberhausen

”Nichts sehen, nichts hören – nichts sagen?

Band: Motörhead

Vorbands: Anthrax,Diaries Of A Hero

Location: Turbinenhalle, Oberhausen

Homepage: http://www.turbinenhalle.de/web/?page_id=1898

Datum: 25.11.2012

Einlass: 18:00 Uhr / Konzertbeginn: 19:00 Uhr

Kosten: VVK: 44,90 €; AK: Ausverkauft

Besucher:

Veranstalter: Marek Lieberberg Konzertagentur GmbH & Co.KG (http://www.mlk.com/)

Setlists Motörhead:

  1. I Know How To Die
  2. Damage Case
  3. Stay Clean
  4. Metropolis
  5. Over The Top
  6. Doctor Rock
  7. Guitar Solo
  8. The Chase Is Better Than The Catch
  9. Rock It
  10. You Better Run
  11. The One To Sing The Blues
  12. Going To Brazil
  13. Killed By Death
  14. Ace Of Spades
  15. Are You Ready
  16. Overkill

25.11.2012. Etwas weniger als ein Monat bis Weihnachten und etwas länger als eine gefühlte Ewigkeit sind mittlerweile vergangen, seit ich darauf warte, eine der wenigen Größen des Metals live erleben zu dürfen, die mir auf meiner Liste noch fehlen. Ein paar meiner Bekannten haben die Band in einem annähernd zweistelligen Bereich live gesehen und haben immer noch nicht genug von der Ikone Lemmy. Es gibt da draußen wahrscheinlich kaum jemanden, der den Namen Motörhead nicht schon einmal gehört hat, dementsprechend schnell war die Veranstaltung auch ausverkauft. Aus einer Gruppe von Leuten, die am heutigen Abend die Turbinenhalle aufsuchen wollten, bin nur noch ich übrig geblieben – der Rest durfte ein rotes Kästchen mit dem Verweis „ausverkauft“ begutachten. Somit gibt’s diesen Abend ein zweites Novum: Nach einem viertel Jahrhundert auf diesem Planeten begebe ich mich allein zu einem Konzert. Aber von Einsamkeit werde ich den ganzen Abend nicht geplagt sein. Im Gegenteil. Dazu aber gleich mehr.

Auf dem Parkplatz der Turbinenhalle ist es ja seit geraumer Zeit ein neuer Trend, den Leuten 3 € Parkplatzgebühr abzunehmen, zumindest wenn größere Namen in der Halle auftreten. Ich war mittlerweile schon sehr häufig in der Turbinenhalle, die Parksituation war schon immer sehr gut, dank eines riesigen Platzes direkt vor der Halle und so wie es scheint, ist die Stadt selber der Übeltäter der Kostenerhebung, da dieses Phänomen Veranstalterübergreifend auftritt (Natürlich können sich die Veranstalter auch absprechen, ersteres ist aber wahrscheinlicher). Mir persönlich ist es 3 € wert, keinen Halbmarathon laufen zu müssen, bei den Big 4 in Gelsenkirchen durfte ich sogar 6 € (oder 8 €? – Mein Gedächtnis ist auch nicht mehr das, was es mal war) löhnen und durfte deutlich weiter laufen. Eine der anwesenden Bands scheint von Paranoia besessen zu sein, denn die Busse sind von einem Absperrband geschützt. Hab ich so auch noch nicht gesehen, bringt mich zum Schmunzeln und lässt mich bestens gelaunt, begleitet von den Klängen von Diaries Of A Hero in die Halle schreiten. Die Band hatte ich für heute gar nicht auf dem Schirm, doch bringt diese modernen Klang in dieses Konzert ein. Selbst bezeichnen sie sich auf ihrer Facebookseite als Rock/Alternative/Hard Rock-Band, geben aber im gleichen Atemzug KillSwitch Engage als eine Band an, die sie gut finden und nach der sie viel eher klingen, als genannte Genres. Aber abseits der Genreklauberei haben die Jungs nicht nur einen guten Job gemacht, sondern auch vor sehr vielen potentiellen Fans gespielt.

Denn wer erst einmal in der Turbinenhalle drin ist, kommt auch nicht mehr raus. Beziehungsweise: Wer einmal rausgeht, kommt nicht mehr rein. Wer also von 18 Uhr an dabei sein wollte, darf bis knapp 23 Uhr die frische Luft von der Halle aus beobachten und sich auf die Zeit nach dem Konzert freuen und muss sich solange mit einer stickigen Variante davon abgeben. Dieses System wird mittlerweile schon länger in der Turbinenhalle praktiziert und ist, wie der Parkplatzpreis, veranstalterübergreifend. Das bringt natürlich die Besucher dazu, mehr in der Halle an Getränken und Essen zu kaufen, da der McDonalds, der direkt neben der Turbinenhalle liegt und hochwertigere Nahrung bietet (!), keine Option mehr ist. Beim ersten Mal ist diese Regelung noch ein Schock gewesen, auf lange Sicht vermute ich, dass diese Regelung auf die Kosten der Vorbands gehen wird: „Dann ist das Konzert für mich halt nur 2 Stunden lang“, wird sich der eine oder andere Fan denken. Ich weiß natürlich, dass die Kosten steigen, aber wenn ich schon knapp 50 € Eintritt nehme, finde ich es schon hart, den Fans den Austritt zu verwehren. Wieso keinen Mittelweg? Dass man selber gerne einen maximieren Ertrag erreichen möchte, in dem man die Leute dazu „zwingt“, Bier vor Ort zu kaufen, kann ich sehr gut verstehen, aber dann wäre ein Außenbereich das Mindeste. Die Möglichkeiten sind in der Turbinenhalle zumindest theoretisch gegeben.

Zurück von der allgemeinen Kritik hin zum Konzertabend. Die Klangqualität von Diaries Of A Hero ist vorzüglich und erinnert mich direkt wieder daran, warum ich die genannten Einschränkungen (wenn auch ungerne) hinnehme. In Sachen Tonqualität ist die Turbinenhalle Spitzenreiter. Die Band erhält ehrlichen Applaus, bevor dann die Umbaupause für Anthrax beginnt. Dank einer Änderung meiner benötigten T-Shirt-Größe von XL auf M muss ich meine Bandshirtkollektion fast vollständig erneuern und wie das so ist, hat sich nicht nur das Gewicht, sondern auch der Musikgeschmack etwas verändert, sodass der Merchandisestand genau richtig kommt. Jedenfalls in der Theorie. Kein T-Shirt ist für weniger als optimistische 30 € zu erwerben, egal ob von Motörhead, Anthrax oder Diaries Of A Hero. Bei der letztgenannten Band kann ich mir schwer vorstellen, dass der Preis freiwillig knapp 75% über den Ladenpreis angesetzt wurde. Aber wie dem auch sei, Angebot und Nachfrage, der Merchandisebereich ist vor allem zwischen den Bands von Fans belagert, Motörhead-Shirts werden in Massen gekauft. Neben dem üblichen Stoff werden auch noch Motörhead-Gitarrensets (Plektren?) für 15 €, überdimensionale Plektren als Ohrringe und die neuen Motörhead-Phones verkauft. Die Kopfhörer haben sogar einen eigenen Stand mit sehr hübschen Damen, die diese tragen und verkaufen. Der Preis wird leider nicht angegeben, dafür weiß aber der potentielle Käufer, dass ein Fell für eine Snare, das es im Handel schon ab 10 € gibt, für das dreifache Verkauft wird, dafür aber auch mit den Unterschriften der Band. 6,67 € für eine Unterschrift ist schon nicht ohne. Ich lehne das Angebot jedenfalls ab.

Auf Anthrax freu ich mich schon den ganzen Tag, in Gelsenkirchen war die Band richtig gut und so begebe ich mich auf den Weg nach vorne. Meine Reise wird allerdings frühzeitig unterbrochen. Die Türen, die in die Halle führen, sind vollkommen verstopft und auch eine vermutlich zur Abwehr von Türblockierern errichtete Wand / aufgehängtes Tuch (ich kann es nicht genau erkennen, ich komme den ganzen Abend über nicht nah genug heran) an der vordersten Tür verfehlt seinen ihm von mir zugesprochenen Nutzen. Nimmt man den mittleren Eingang, welcher bis vor kurzem noch der letzte Eingang war, bevor die Halle umgebaut wurde, hat man minimalen Bewegungsspielraum, die Toiletten auf der anderen Seite sind nur unter größter Mühe zu erreichen. Sehen kann man von hier aus nix, da ich mit 185 cm zu klein für die hinteren Reihen bin. Hier ist zumindest der Ton gut.

Denn jetzt kommen wir zum Kern des Übels: Die „hintere Reihe“ ist seit dem Umbau nicht mehr die „hintere Reihe“, sondern eine Reihe so ziemlich in der Mitte der Halle. Da, wo vorher eine Absperrung war, dürfen jetzt auch Leute stehen. Allerdings ist der hintere Bereich durch eine bauchhohe Mauer von der „alten“ Halle abgetrennt. Der Clou: Ungefähr auf 2-3 Meter Höhe beginnt eine weitere Mauer, die bis zur Decke geht. Der logische Effekt: Die ersten Reihen hinter der Absperrung sehen die Bands, wenn sie groß genug sind, um über die Köpfe der Besucher der „alten“ Halle hinwegzusehen. Wer etwas weiter hinten steht, hat die Mauer im Blickfeld. Und weil es hinten (noch?) keine Boxen gibt, ist der Ton auch sehr dünn. In diesem Bereich hängen mehrere Leinwände, an der sichtversperrenden Wand ist eine Leinwand eingezeichnet, die aber (noch?) nicht funktioniert.

Gut, der Grund, warum hier Leute (viele Leute!) stehen, will sich mir nicht direkt erschließen, also ab die Treppe hoch in das ebenfalls neu zugängliche erste Stockwerk. Anthrax spielen in der Zwischenzeit alle Hits – von Caught In A Mosh über I Am The Law hin zu dem ersten Lied ihres ersten Albums Deathrider ist alles dabei, Scott Ian wirbelt über die Bühne wie ein Berserker und wirkt stimmlich um einiges besser als bei den Big 4. Lange kann ich sein Rumgewirbel allerdings nicht begutachten, da meine neu gefundene Position, um das Livekonzert auch zu sehen, nicht erlaubt ist: Auf der Treppe, ganz hinten am Ende der Halle. Die Security kommt so ziemlich jede Minute vorbei und verscheucht die Personen, die sowohl vor als auch nach mir diese Entdeckung gemacht haben. Immerhin diese eine Minute habe ich ausgereizt. Oben sieht man im neuen Bereich der Halle natürlich dank der Wand nichts, also ab durch den Durchgang in den oberen Bereich der alten Halle. Und was sehe ich? Menschen. Viele Menschen. An den Geländern, mal auf dem Boden, mal auf Stühlen stehend, aber insgesamt so verteilt, dass ich nicht die Menschen sehe, für die ich hier bin. Doch dann finde ich eine Lösung: Direkt vor dem VIP-Bereich ist eine Stützsäule so aufgebaut, dass genau auf meiner Augenhöhe ein Loch ist, um auf die Bühne zu schauen. YES! Da der VIP-Bereich sehr leer ist, gibt’s keine Probleme mit einer versperrten Sicht.

Aber das Glück bleibt nicht mit mir. Kaum wird es kurz vor Motörhead dunkel, stürmt jeder, der einen Ausweis hat, zu dem bisher recht leeren Balkon und meine Aussicht nimmt ein rasches Ende. Zumindest habe ich ein paar Leidensgenossen gefunden – einer von ihnen ist ungefähr einen halben Kopf kleiner als ich und hat deshalb von Anthrax nichts gesehen. Trotz seiner geschätzten 15 Jahre mehr Lebenszeit hat er nach eigenen Angaben noch nie ein Konzert erlebt, dass so überfüllt war wie das heutige. Also keine Einbildung? Keine Klaustrophobie? Da ich auf die Lösung, wie ich Lemmy und Konsorten doch noch sehen kann, erst später komme, entscheide ich mich dafür, mit ein paar Leuten zu sprechen und ihre Eindrücke zu erfahren. Die Meinungen decken sich, einer meiner Gesprächspartner ist froh, über eine Sonderaktion die Karten für den halben Preis gekauft zu haben, seine Freundin wirkt aber nicht so optimistisch, da sie Motörhead eigentlich zum ersten Mal live SEHEN wollte. Durch das Halten einer Kamera vom Geländer herunter kann sie Motörhead über ihr Display etwas sehen, was mich zu einer Idee bringt: Wenn schon nicht stehend, dann eben liegend! Manche Menschen würden knien, um Lemmy sehen zu dürfen, ich hab sogar gelegen! Und siehe da, durch das Hinlegen auf den Boden im ersten Stock am anderen Ende der Halle kann ich unter der störenden Mauer hindurch – und über die Köpfe der Fans hinwegsehen. Das zieht natürlich Leute an, aber ich kann, im Gegensatz zu manch anderen, stolz behaupten: Ich habe am 25.11.2012 Lemmy gesehen. Wenn auch nur kurz, da sich die Nachahmer direkt vor mir platziert haben, allerdings sitzend und den Kopf aus der Position so tief dem Boden entgegen wie möglich. Zugegeben, das wirkt nicht so lächerlich wie auf dem Boden zu liegen.

Auch für mich ist das das erste Motörhead-Konzert und was ich sehe, gefällt mir: Wie erwartet ist Mikkey Dee um Welten agiler als Phill Campbell und Lemmy, aber auch als viele Schlagzeuger anderer (auch junger) Bands. Die ersten 10-15 Reihen sind euphorisch am Jubeln, dahinter wirken die Leute verhaltener, vermutlich weil es zu eng ist. Herausragend finde ich vor allem das Gitarrensolo, das ungefähr bei der Mitte gespielt wird und die Show unheimlich auflockert. Erinnert mich an eine Live-DVD von Metallica aus den früheren Jahren, wo die Shows noch über drei Stunden gingen und von Gitarren-, Bass-, und Schlagzeugsoli aufgelockert wurden. Auch im Jahre 2012 wirkt dieser Effekt noch wunderbar! Mein persönliches Lieblingslied wird am Ende der normalen Spielzeit gespielt: Ace Of Spades. Auch ohne Bild ein Genuss! Das Konzert endet recht früh, lediglich zwei Zugaben werden gespielt und gefühlt ganz Oberhausen verlässt die Halle.

Fazit: Wer hat schuld an den Problemen, die es offenkundig gab? Dazu muss man differenzieren und sich vor Augen führen, welche Parteien für die Planung eines solchen Konzertes verantwortlich sind: Am Offensichtlichsten sind die Bands, die aber in der Regel nichts mit dem Planungsprozess zu tun haben. Viel wahrscheinlicher scheint ein Problem im Informationsfluss zwischen Veranstalter und Hallenbesitzer vorgelegen zu haben, wobei ich dem Veranstalter KEINE Vorwürfe machen kann. Wieso auch? Woher soll er wissen, wie viele Personen denn wirklich in die Halle passen? Klar, er kann sie sich angucken, abschätzen etc. Aber das Problem ist der Hallenumbau: Der ist noch lange nicht abgeschlossen und ich vermute, dass der Hallenbesitzer dem Veranstalter eine maximale Besucherzahl angegeben hat, die, wenn die Halle fertig umgebaut ist, vielleicht funktionieren mag – aber davon ist man noch weit entfernt! Außerdem: Es kann nicht Ziel eines Konzertes sein, ca. 35-40% der Zuschauer mit Leinwänden abzuspeisen. Selbst wenn diese in naher Zukunft funktionieren sollten, finde ich die Lösung nicht gut. Viel eher sollte man die überflüssige Wand in der Mitte einreißen (sie ist keine tragende Wand), ein paar Boxen im hinteren Bereich platzieren und somit jedem Besucher die Möglichkeit bieten, die Bands ohne technische Hilfsmittel zu sehen. Ich bin gespannt, wie der Status der Halle im Dezember aussieht – und ob Mille und Co. Mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Sollte dies der Fall sein, werde ich explizit von Konzerten in der Turbinenhalle abraten müssen, bis der Umbau abgeschlossen ist. So, wie es aktuell geregelt ist, ist es absolut besucherunfreundlich.