Capstan – Separate

Persönliches Puzzleteil für den Soundtrack des Lebens

Artist: Capstan

Herkunft: Florida, USA

Album: Separate

Spiellänge: 37:27 Minuten

Genre: Progressive Post-Hardcore

Release: 23.07.2021

Label: Fearless Records / Spinefarm Records

Link: https://www.facebook.com/capstanband

Bandmitglieder:

Gesang – Anthony DeMario
Gitarre – Joe Mabry
Gitarre – Harrison Bormann
Bassgitarre und Gesang – Andrew „Boz“ Bozymowski
Schlagzeug – Scott Fisher

Tracklist:

  1. Pretext
  2. Shades Of Us
  3. Take My Breath Away // Noose
  4. Alone (Feat. Shane Told)
  5. Blurred Around The Edges (Feat. Saxl Rose)
  6. Tongue-biter
  7. Abandon
  8. Shattered Glass
  9. Sway (Feat. Charlene Joan)
  10. Decline

„Die ganze Reise zu dieser Platte ist persönlich für uns und für Leute, die durch ähnliche Umstände gehen“, sagt Capstan-Bassist Andrew „Boz“ Bozymowski. Oder anders gesagt: Sobald wir uns von der Vergangenheit lösen, bewegen wir uns auf die Zukunft zu. Wieder einmal liefert eine Post-Hardcore-Band die perfekte emotionale Aufarbeitung ihrer Vergangenheit ab. Dass mir diese Musikrichtung mal so viel gibt, hätte ich bis kurz vor der Pandemie nicht für möglich gehalten. Wenn es so etwas wie einen „Lockdown-Soundtrack“ gäbe, wäre er gespickt mit meinen Favoriten dieses Genres der letzten Monate wie Palm Reader, Holding Absence oder Devil Sold His Soul.

Im Gegensatz zu den drei genannten Bands geht der Blick dieses Mal nicht nach Großbritannien, sondern ins sonnige Florida. Capstan wagten ihre ersten Schritte im Jahr 2015 mit der Eigenveröffentlichung Seasonal Depression. Nach weiteren EPs und Singles gelang der Durchbruch 2019 mit dem Majordebüt Restless Heart, Keep Running. Millionen von Streams auf Spotify von Hits wie Wax Poetic oder Stars Before The Sun waren das Ergebnis harter Arbeit. Diese gipfelt jetzt im neuen Album Separate. Das Ziel: All killer, no filler. Für die Umsetzung holten sich die Amerikaner Produzent Machine (u. a. Lamb Of God, Fall Out Boy) ins Boot.

Die von Gitarrist Joe Mabry geschriebenen Texte thematisieren u. a. seine Scheidung und die darauffolgenden schweren Depressionen, die durch die Zeit im Lockdown verstärkt wurden. Generell bemerkt man dieses Gefühlschaos auf dem gesamten Album, wahlweise unterstützt durch emotionale Ausbrüche oder progressive Einschübe. Das kann direkt im Opener Pretext nachgehört werden. Shouts und melodischer Gesang geben sich die Klinke in die Hand. Zum Headbangen animierende Riffs wechseln sich mit dröhnenden Synthies ab. Vereinzelt werden Gitarrensoli eingestreut. Der rote Faden des Albums sind die Hooks, denn nahezu jeder Refrain ist gelungen und bleibt im Kopf hängen.

Noch eine Spur mehr zum Eskalieren muten die Riffs und Breaks in Shades Of Us an. Frontmann Anthony DeMario legt sein ganzes Herzblut in die Strophen, bevor die Sau rausgelassen wird. Wow, was für einen Gegensatz liefert der nächste Song Take My Breath Away // Noose bitte schön? Die groovende Bassline thront über Pop-Punk-Flair und 80s-Drumsounds. Dürfte auch abseits des Hardcore-Genres als „radiotauglich“ durchgehen und kann eigentlich nur ein Hit werden.

Im progressiven Alone haben sich Capstan einen Traum erfüllt. Hier darf sich Sänger Anthony am Mikro mit Shane Told duellieren, seines Zeichens Fronter von Silverstein. Mit den Kanadiern können sich alle Capstan-Bandmitglieder identifizieren, wie Bassist Boz erklärt: „Ein Moment, in dem sich der Kreis schließt, da wir mit Silverstein aufgewachsen sind.“ Auch Instrumental wird einiges geboten: Frickel-Passagen, ballernde Drums, verspielte Synthies und natürlich wieder ein Refrain mit Ohrwurmgarantie.

Deutlich ruhiger geht es in Blurred Around The Edges zu. Passend zum gediegenen Ambiente steuert Saxl Rose (was für ein geiler Künstlername!) ein Saxofon-Solo bei. Erst in der letzten Minute geht’s wieder schön zur Sache. Apropos zur Sache gehen: Da hat Tongue-biter ebenfalls ein Wörtchen mitzureden. Zu polyrhythmischen Riffs zerfetzt sich Anthony DeMario die Stimmbänder. Melodische Gesangsparts und Soli lockern diesen schwer verdaulichen Brocken etwas auf. Mein Prog-Herz hüpft im „krummen“ Takt.

Gitarrist Joe Mabry rechnet in Abandon lyrisch mit einer miesen Person aus seiner Vergangenheit ab. Musikalisch ist der Song zunächst kein schneller Abriss, sondern eher ein atmosphärischer Groover mit einigen zuckersüßen Spielereien im Hintergrund. Erst auf halbem Weg packen Capstan die Abrissbirne aus, nur um wieder zum vorangegangenen Schema zurückzukehren. Shattered Glass schlägt in eine ähnliche Kerbe wie schon Tong-biter. Hier gibt es zusätzlich noch ein fast schon klassisches Metalsolo auf die Lauscher.

Für die Ballade Sway gibt es wieder Unterstützung am Mikrofon. In diesem Fall von Sängerin Charlene Joan. Schöne Stimme, netter Song – hätte ich aber nicht unbedingt gebraucht. Der Rausschmeißer Decline ist dann als Gegenspieler ein behaarter, vor Testosteron strotzender Riese, der diese emotionale Reise auf seinen mächtigen Schultern trägt. Aber auch Riesen haben Gefühle und diese werden wie schon zuvor vom wandlungsfähigen Mr. DeMario intoniert und von Basser Andrew ergänzt.

Zu guter Letzt gibt es noch Worte von Gitarrist Harrison Bormann, die man nicht oft genug lesen kann: „Als wir aufgewachsen sind, war Musik immer für uns da, wenn wir die härtesten Zeiten hatten.“ So unfassbar wichtig, auch für mich. Irgendwann lass ich mir das auf die Stirn tätowieren.

Capstan – Separate
Fazit
Wer Capstan bisher noch keine Beachtung geschenkt hat, kommt jetzt nicht mehr an den Amerikanern vorbei. Während bisher vor allem der heimische Markt abgedeckt wurde, dürfte der europäische Markt ebenfalls Ziel der Band sein. Fans der Genres Post-Hardcore, Emo und Pop-Punk finden auf Separate etwas Passendes. Aber auch aufgeschlossene Jünger des modernen Metalcore und Prog Metal sollten ein Ohr riskieren. Ganz so stark wie ihre oben erwähnten britischen Kollegen schätze ich Capstan nicht ein, was aber eher am höheren Pop-Faktor liegt. Unterm Strich ein Album, was sich perfekt in meinen persönlichen „Lockdown-Soundtrack“ integriert.

Anspieltipps: Shades Of Us, Alone und Tongue-biter
Florian W.
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