Deep Purple: 50 Jahre „Deep Purple In Rock“, damit natürlich nicht mehr On Tour

Ein Rückblick auf eines der wegweisendsten Hard Rock Alben des Jahres 1970

Das Jahr 1970 wartetet nicht nur mit Black Sabbaths etwas düsteren Klängen auf, sondern auch schnellere und rockigere Stücke stürmten in die Gehörgänge. Wie ja bereits erwähnt hatte Reinhard (der Bruder meines Freundes Volker), neben dem besagten Black Sabbath Debüt weitere spannende Scheiben in seiner Sammlung. So erschien im September, fast zeitgleich zum zweiten Black Sabbath Album Paranoid, Deep Purples In Rock, das den Grundstein meines Fandaseins zu dieser Band darstellen sollte. Die folgenden Platten, Fireball und Machine Head, sorgten dann für die Festigung dieses Grundsteines. Die erste Begegnung war wie ein Niederschlag mit einem Vorschlaghammer. Was bitte war das? Eine Gitarre, die als Intro an Jimi Hendrix bei Fire erinnert, und dann wurde es richtig schnell. Speed King pfefferte durch die Boxen. Was für eine Geschwindigkeit, was für eine unglaubliche Stimme. Das hatte ich bis dato noch nicht gehört. „Good Golly Said Little Miss Molly, When She Was Rockin‘ In The House Of Blue Light“. Ian Gillan tritt als Sänger einer bereits seit 1968 bestehenden Band auf die Bühnen dieser Welt. Ich, mit meinen 12 Lenzen, war sofort begeistert. Auch der Hexer an der Gitarre ließ mich nicht mehr los und so entdeckte ich Ritchie Blackmore, der zu einem der schnellsten Gitarristen weltweit wurde.

Es wird Zeit für eine kurze Bandvorstellung: 1968 gegründet, spielten Deep Purple zunächst noch Hard,- Blues- oder auch Psychedelic Rock mit teilweise orchestralen Einflüssen. Die Ursprungstruppe bestand aus Rod Evans (Gesang), Ritchie Blackmore (Gitarre), Nick Simper (Bass), Jon Lord (Hammond, Keyboard) und Ian Paice (Schlagzeug). Diese Urbesetzung existierte genau zwei Jahre und brachte bis 1969 drei Platten auf den Markt, die, lauscht man denen heute, nicht vermuten ließen, dass da mal In Rock draus entstehen sollte. Zwar gab es schon auf der ersten Platte Shades Of Deep Purple erste Anzeichen für eine härtere Herangehensweise, trotzdem waren sie noch weit entfernt von der brachialen Kraft der Songs auf Deep Purple In Rock. Bis dahin hatte der klassisch ausgebildete Jon Lord noch die musikalischen Hosen an, und Songs wie das Joe South Cover Hush, auch heute noch immer Teil der Liveauftritte, oder auch das Beatles Cover Help, zeigten eine zwar rockigere Ausrichtung, waren aber eher zeittypisch arrangiert. Nur die Liveperformances ließen erahnen, was da noch kommen könnte. So wurde Mandrake Root bereits Ende der Sechziger genutzt, um zwischen Jon Lord und Ritchie Blackmore oder auch mal mit dem ekstatisch singenden Hochtöner Ian Gillan ausufernde Duelle auf der Bühne auszufechten. Auf der inoffiziellen Live In Montreaux von 1969 oder Live In Concert von 1970 konnte man sich von diesen Improvisationen eindrucksvoll überzeugen. Nicht selten wurde Mandrake Root oder Wring That Neck über eine halbe Stunde ausgedehnt. Mit den folgenden beiden Platten The Book Of Talysien und dem selbst betitelten Album Deep Purple, das mit dem 12-minütigen Stück April beeindruckte, wurde die Führungsrolle von Jon Lord gefestigt. Der konnte dann auch noch sein komponiertes Werk für Band und Orchester durchsetzen und das bereits mit der neuen Besetzung. Rod Evans musste Ian Gillan weichen, der die Texte für das orchestrale Werk beisteuerte und Nick Simper wurde von Viersaiter Roger Glover ersetzt. Das Concerto For Group And Orchestra, mit dem London Symphonic Orchestra unter der Führung von Malcom Arnold und der Rockband Deep Purple sorgte somit für einiges Aufsehen. Unter anderem auch dadurch, dass mit Child In Time ein Song aufgeführt wurde, der die Marschrichtung für die Zukunft aufzeigte. Das war nun die klassische Mark II Besetzung, die für das steht, was Deep Purple in Zukunft ausmachen sollte. Eine Hard Rock Band, die nun deutlich durch den zunehmenden Einfluss von Ritchie Blackmore immer härter wurde.

Bereits seit Mitte 1969 hatten sich Deep Purple nach dieser Neubesetzung in diese härtere Richtung entwickelt und legten mit In Rock den Meilenstein für weitere richtungsweisende Alben. Speed King, der erste Track auf der mit dem vor Selbstbewusstsein strotzendem Cover wurde bereits Mitte 1969 als Kneel And Prey in den Livekonzerten gespielt und war neben Child In Time später auf In Rock zu finden. Auch das war typisch Deep Purple, die haben oftmals ihre Songs erst live aufgeführt, bevor die dann auf Platte gebannt wurden. Noch zwei Worte zum Cover. Die Konterfeis von Gillan, Glover, Paice, Lord und Blackmore wurden anstelle der vier USA Präsidenten in den Mount Rushmore eingepflanzt und sollten wohl schon mal den Weg in Amerika ebnen.

So ist Deep Purples In Rock, neben Black Sabbaths Paranoid, die Geburtsstunde des schon fast metalmäßigen Hard Rock und Speed King dürfte dabei die Grundlage für Speed und Thrash Metal gewesen sein. Der Wichtigkeit, gerade von Speed King, wurde im Jahre 1987 nochmals gedacht, als Deep Purple ihr Album The House Of Blue Light nach einer Textzeile aus eben Speed King benannten. Der so rasante Opener von In Rock zeigte einen geradezu entfesselten Ritchie Blackmore, der seinen inzwischen gewonnenen Einfluss dadurch deutlich machte, dass er innerhalb von 50 Sekunden des Intros, die Beat Ära zur Historie verbannte. Es folgte mit Bloodsucker ein Track, der ebenfalls die neue Richtung aufzeigte. Aggressiver, härter und deutlich riffbetonter geht es zur Sache. Die noch nur auf musikalischer Ebene ausgetragene Konkurrenz zwischen Lord und Blackmore erzeugte ein Spannungsfeld, das zunächst einfach nur songdienlich war. Dass sich diese Konkurrenz über kurz oder lang explosiv entladen musste, erfolgte glücklicherweise erst, nachdem weitere Klassiker wie Machine Head, Fireball, Who Do We Theink We Are oder die wohl beste Livescheibe des Genres Made In Japan die Musikwelt eroberten.

Nach dem zwar nicht mehr so rasanten aber dennoch faszinierenden Bloodsucker, bei dem Gillan bereits seine, der zu engen Hose geschuldeten, hohen Schreie beweist, kommt wohl eins der spektakulärsten Stücke, der sich neu erfundenen Deep Purple. Child In Time, das wie erwähnt bereits 1969 für das Concerto komponierte, auf der Platte nicht aufgeführte Stück, hat es nun auf In Rock geschafft. Der Song besticht durch seine Wechsel zwischen Geschwindigkeiten, Stimme, Orgel und Gitarre. Die verhalten beginnende, einfach gespielte Orgel und die zunächst sanfte Stimme von Ausnahmesänger Ian Gillan beginnen. Im Laufe der folgenden Minuten wird es schneller, kraftvoller – Gillan steigert sich ekstatisch und ebnet dadurch dem einsetzenden Ritchie Blackmore den Weg für ein rasantes Spiel. Der nutzt den Freiraum für ein unglaubliches Solo, das bis heute überdauert und vielen Flitzefingern wie beispielsweise Ingwie Malmsteen oder auch Eddie Van Halen als Lehrstunde dient. Bei Child In Time überwiegt noch Blackmores Gitarre, obwohl das Duell zwischen Orgel und Gitarre bereits in den Startlöchern steht. Live erstreckt sich dieses Wechselspiel oftmals in minutenlangen Battles. Nach der schon fast nicht auszuhaltenden Geschwindigkeitssteigerung endet der Ausbruch abrupt, um dann wieder mit der Wiederholung der sanften Anfangsmelodie zu beginnen.

Hier findet sich alles wieder, was typisch für Deep Purple der frühen Siebziger sein sollte. Markante Hard Rock Riffs, klassische Kadenzen, das treibendende Schlagzeugspiel, bzw. die ausgeprägten Bassläufe und dazu ein begnadeter Sänger, der nicht nur bei Jesus Christ Superstar punkten konnte, sondern auch Rockfans packte und Frauenherzen höherschlagen lässt. Child In Time war jahrelang fester Bestandteil des Liverepertoires, bis dann irgendwann in den Neunzigern Ian Gillan einfach nicht mehr so hoch singen konnte. 1970 war das 10 Minuten und 12 Sekunden lange Stück bereits ein episches Gesamtkunstwerk und das ist es bis heute geblieben. Der mal als Protestsong zum Vietnamkrieg komponierte Track wurde im Laufe der Zeit zu einer inoffiziellen Hymne der osteuropäischen Freiheits- und Widerstandsbewegung. Er gilt bis heute als einer der herausragendsten Songs von Deep Purple und wird in den 100 Greatest Rock Vocal Performances Of All Time an Platz 3 geführt.

Kaum ist das Stück vorbei, kommt es einem so vor, als ob plötzlich irgendetwas fehlt. Child In Time hat etwas Besonderes, das in einem eine ungewohnte Spannung hervorruft, die nun weg ist. Das sich anschließende Flight Of The Rat holt einen schnell wieder runter und das muntere Stück lebt wieder von dem virtuosen Hammondorgelspiel Jon Lords, der sich hier austoben darf. Natürlich kommt auch Ritchie nicht zu kurz, und so ist auch hier wieder der noch in Koexistenz befindliche Konkurrenzkampf zwischen beiden spürbar. Damals gehörte es einfach dazu und über den da bereits schwelenden Konflikt war noch nicht wirklich etwas bekannt. Das folgende, bereits auf Seite B befindliche Into The Fire, weicht von dem schnellen Flight Oft The Rat ab und zeigt eine andere Seite auf. Fast schon stakkatoähnlich singt sich Ian Gillan durch den Song und zeigt seine Wandlungsfähigkeit. Heute würde man das wohl als Midtempo Nummer bezeichnen. Mit Living Wreck setzen Deep Purple das Album fort. Jon Lord spielt bei dem Track nicht einfach nur klassisch Orgel, sondern setzt schon auf verzerrte Synthesizerklänge, die hier hervorragend zur Geltung kommen und bei seinen Livesoli immer mehr ausgebaut wurden. Die Melodie bleibt sofort hängen und die Hookline ist bis heute unverwechselbar. Das Stück ist zwar von allen komponiert, aber noch hat sich der Einfluss von Jon Lord hier durchgesetzt. Mit Hard Loving Man endet die Platte und auch hier werden noch mal alle Register gezogen. Das galoppierende Stück geht über sieben Minuten und erlaubt nochmals der gesamten Band zu brillieren. Schräg gespielte Hammondorgel trifft auf weiße Stratocaster, die beide auf einer stabilen Rhythmusbasis flanieren und zusammen dem genialen Sänger den Boden bereiten.

Die Originalscheibe von 1970 lässt allerdings einen Song vermissen, der bereits im Juni als Single veröffentlicht wurde. Black Night hatte es, aus welchen Gründen auch immer, nicht auf die LP geschafft. Im Nachhinein wurde dann bekannt, dass die Plattenfirma gern zur Veröffentlichung von In Rock eine Single gehabt hätte. Da die vorherrschende progressive Ausrichtung von Deep Purple das Produzieren von Singles oder Auskoppeln einzelner Songs ablehnte, die Plattenfirma aber auf einer Single bestand, begab man sich ins Studio, wo den Protagonisten zunächst nix einfiel. Nach dem gemeinsamen Kneipenbesuch gingen Blackmore und Glover aber nochmals ins Studio und Ritchie zauberte ein Riff hervor, das, so verriet er später, von Rick Nelsons Summertime geklaut war. Gillan stieß dann dazu und zauberte einen Text. Nach drei Stunden war die Aufnahme im Kasten und Black Night geschaffen. Erst mit der 25th Anniversary von In Rock wurde der Song mit auf die Platte gebracht.

Damit endet mein Rückblick auf Deep Purple In Rock. Bis ich mein eigenes Exemplar hatte, gingen noch einige Jahre ins Land. Mit meinem Taschengeld war da noch nicht viel zu reißen. Erst ab Machine Head, also 1973, war ich in der Lage, mal eine Langspielplatte zu kaufen. Bis dahin musste ich mich mit Aufnahmen bei meinen besser ausgestatteten Freunden zufriedengeben oder einfach weiterhin Radio hören. Trotzdem ist mir das wegweisende Album ans Herz gewachsen und steht in mehrfachen Ausstattungen in meinem Plattenregal. Selbst heute, 50 Jahre nach Erscheinen, hat es etwas von Revolution, Aufbegehren und Einzigartigem. Meine Haare wurden damals länger, die schulischen Leistungen sanken analog dazu und ich dachte damals noch, Musiker sind unerreichbare Wesen. Zum Glück weiß ich heute, dass dem nicht so ist, und ich durfte bereits einige meiner damaligen Helden persönlich treffen. Unvergesslich ist das Treffen mit Jon Lord hier in Kiel, oder auch mit Roger Glover und Ian Paice in Düsseldorf. Hoffentlich bleiben sie uns noch lange erhalten. Ihre Musik wird auf jeden Fall überdauern.

Lest hier auch den ersten Teil unserer 50 Jahre Reihe: Black Sabbath: 50 Jahre „Black Sabbath“ und „Paranoid“, wenn auch nicht mehr „On Tour“

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