Massen – ContrAesthetic

Massen brechen mit Konventionen

Artist: Massen

Herkunft: Minsk, Belarus

Album: ContrAesthetic

Spiellänge: 35:18 Minuten

Genre: Extreme Metal, Blackened Death Metal, Melodic Death Metal, Folk Metal, Avantgarde Metal

Release: 09.04.2021

Label: Apostasy Records

Link: https://www.facebook.com/massenorchestra

Bandmitglieder:

Gesang – Hresvelgr
Gesang, Keyboard und Folk Instrumente – Aleerma
Gitarre – Aliaksandr
Bassgitarre – Accela
Violine und Gesang – Karalina
Schlagzeug – Bizo

Tracklist:

  1. The Depth (Intro)
  2. Cold Clouds
  3. A Step To Silence
  4. By Water To The Sun
  5. The Flock Of Whores
  6. Contraesthetics Pt. 1
  7. Contraesthetics Pt. 2

Zu Massen irgendwelche Informationen zu finden, ist wirklich nicht leicht. Selbst das von mir sehr geschätzte Encyclopaedia Metallum liefert kein Suchergebnis. Mein Teamkollege hatte aber schon den Hinweis gegeben, dass Massen wohl aus Massenhinrichtung hervorgegangen sind. Da wird man dann auch in der Encyclopedia des Metal fündig und erfährt, dass Massenhinrichtung bereits im Jahr 2004 gegründet wurden und bislang drei Demos, eine EP, ein Split-Album und drei Alben veröffentlicht haben. In ihrer kurzen Bandinfo schreiben Massen selbst: „A dark space in the heart of Belarus filled with unique melodies, black/death metal intensity and engaging sounds. Massen from Minsk are creating their own niche within the jar of melodic extreme metal. This does not only go for their instrumental content, but also for their lyrics. These are delivered in Belarusian, which makes them even more emotional in every way. You can hear all the aggression as well as all the desire through their words and voices…“ Ihre Gefühlswelt drücken Massen aber nicht nur in ihren Texten, sondern auch in der Musik aus. Die kommt in ihrer Abgedrehtheit fast schon an Bands wie Igorrr oder The Hirsch Effekt ran, wobei Massen in ihren Songs andere Genres miteinander verquicken. Das nennt man dann aber wohl tatsächlich Avantgarde Metal. Ihren musikalischen und textlichen Visionen kann man auf dem Album ContrAesthetic lauschen, das am 09.04. via Apostasy Records veröffentlicht wird.

Von diesen Visionen ahne ich beim ersten Song, dem Intro The Depth, noch nichts. Der fängt sehr entspannt an, nur Gitarre, Bass und Schlagzeug sind zu hören. Die schöne Leadgitarre leitet zu einigen spoken words, irgendwann kommen die ersten Growls dazu, die aber noch im Hintergrund bleiben. Umso krasser ist der Kontrast zum folgenden Cold Clouds. Aus dem Stand prescht er direkt in Höchstgeschwindigkeit übers Gelände, die wilde Horde aus Melodic Death Metal und Folk Metal kann ihrem Anführer Blackened Death Metal kaum folgen. Mitten in diesem wilden Getümmel sind auch zum ersten Mal die Violine und der tolle Gesang von Karalina zu hören, sie kommt mir fast wie der Fels in der Brandung vor. Irgendwann ist die Meute müde, eine ruhige Bridge mit einem melodischen Gitarrenspiel sorgt für die nötige Verschnaufpause. Das Ganze ist aber noch steigerungsfähig. Bei A Step To Silence habe ich dann nämlich zunächst mal nur „vollkommen abgedreht“ auf dem Zettel stehen. Hier fällt mir besonders Schlagzeuger Bizo auf, der neben den Doublebass-Attacken, die er in Cold Clouds schon gefahren hat, hier auch noch fulminante Blastbeats liefert. Auch in diesem Song werden wieder viele Haken geschlagen, und neben den High Speed Death Metal-Parts gibt es durchaus auch ruhigere Passagen. Hier geht leider der Gesang von Hresvelgr und Karalina ein wenig unter dem mächtigen Klang der Instrumente unter. Mit einem wieder einmal sehr schönen Gitarrenspiel klingt Song Nummer drei dann aus.

Wesentlich entspannter, zumindest musikalisch, geht es bei By Water To The Sun zu. Ein eher im Folk Metal gehaltener Song, der nur vom klaren Gesang von Karalina, akustischer Gitarre und Schlagzeug lebt. Meiner Meinung nach hätte man das gut bis zum Ende durchziehen können, aber Massen sehen das anders und lassen irgendwann die ganze Band einsteigen. The Flock Of Whores steht A Step To Silence in nichts nach, hier kombinieren Massen allerdings drei Genres, die ich noch nie so nahe beieinander erlebt habe, nämlich Hardcore, Melodic Death Metal und Folk Metal. Davon, dass das Ganze aber irgendwie doch funktioniert, kann man sich in dem Video überzeugen, das Massen zu diesem Song veröffentlicht haben:

Den Beinahe-Titeltrack Contraesthetics haben Massen in zwei Teile gesplittet, wobei der zweite Teil eher so etwas wie ein Outro ist. Wie schon fast alle Songs auf diesem Album kommt auch Contraesthetics Pt. 1 mit vielen Tempowechseln daher. Genretechnisch verweisen Massen hier aber auf Cold Clouds und bleiben im Bereich (Melodic) Death Metal / Blackened Death Metal. Großartig intensiv hier der Gesang von Karalina im ersten Teil! Mit ruhigen Bridges, die so wunderbar geprägt sind von den Gitarren oder auch mal der Violine, werden dem Hörer noch einmal einige kleine Verschnaufpause gegönnt, bevor es dann fast so klingt, als ob das Outro von Pt. 1 (großartiger Aufbau zum Schluss!) direkt überleitet zum Intro von Contraesthetics Pt. 2. Hier setzen Massen dann einen fulminanten Schlusspunkt und zeigen die ganze Bandbreite zwischen Aggression (Hardcore) und Sehnsucht (Melodic Death Metal), wie sie es ja auch selbst in ihrer Bandinfo beschreiben. So nebulös also diese Bandinfo auch klingen mag, so präzise wird sie auf Contraesthetics umgesetzt. Das liegt neben den musikalischen Eskapaden, mit denen ContrAesthetic aufwartet, auch an Hresvelgr, Aleerma und Karalina, die diesen beiden Gefühlswelten ihre Stimmen geben.

Massen – ContrAesthetic
Fazit
Das in Worte zu fassen, was mir beim konzentrierten Hören von dermaßen ambitionierten Alben durch den Kopf schießt, fällt mir immer sehr schwer. Auch das Fazit ist nicht leicht formuliert. Irgendwie geht es mir ein wenig wie mit den Werken von Joseph Beuys. Man kennt die einzelnen Bestandteile, hat sie aber in dieser Kombination oder Umgebung noch nie gesehen. Die Gedankengänge, die zu diesen Werken geführt haben, werden sich mir wohl weder bei Beuys noch bei Massen jemals erschließen. Mit den Werken von Massen kann ich aber definitiv mehr anfangen, und Fans, die im Metal lieber abseits der ausgetrampelten Pfade unterwegs sind, sicherlich auch.

Anspieltipps: Cold Clouds, A Step To Silence und Contraesthetics Pt. 1
Heike L.
8.5
Leser Bewertung1 Bewertung
9
8.5
Punkte