Ou – One

Avantgardistischer Progressive Metal zum Hineinarbeiten

Artist: Ou

Herkunft: Beijing, China

Album: One

Spiellänge: 41:15 Minuten

Genre: Progressive Metal, Progressive Rock

Release: 06.05.2022

Label: Inside Out Music

Link: Website, Instagram, Facebook

Bandmitglieder:

Gesang – Lynn Wu
Gitarre – Jing Zhang
Bassgitarre – Chris Cui
Schlagzeug – Anthony Vanacore

Tracklist:

1. Travel
2. Farewell
3. Mountain
4. Ghost
5. Euphoria
6. Prejudice
7. Dark
8. Light

Derzeit finden sich im Netz noch nicht allzu viele Informationen über Ou (gesprochen „O“). Das dürfte sich allerdings bald ändern. Denn die vierköpfige Progressive Metal Band aus dem chinesischen Beijing präsentiert mit One ein spannendes und außergewöhnliches Debüt.

Ihren Sound beschreibt die Band treffend als „frisch, dynamisch und manchmal surreal“. Es ist die letzte Komponente, die Ou speziell machen und womöglich das Publikum spaltet. Damit sind nicht die chinesischen Texte gemeint, sondern der eigenwillige Gesang von Frontfrau Lynn Wu und die extremen Stilwechsel auf One.

Der Kopf hinter Ou ist Schlagzeuger und Songschreiber Anthony Vanacore, der vor mehr als acht Jahren in die Region zog und die weiteren Bandmitglieder rekrutierte. Um die Stimme von Ou zu finden, ließen sich Vanacore und seine Mitstreiter Zeit. Es galt, der Band das gewisse Etwas zu verpassen, das Sängerin Wu zweifelsohne mitbringt. Egal ob inbrünstiges Gebrüll oder himmlische Engelszungen, die Chinesin beherrscht ein eindrucksvolles Repertoire und drückt der Band ihren Stempel auf.

Wenn sie jedoch in jene hohe Stimmlage wechselt, die ein westliches Publikum wahrscheinlich mit einer chinesischen Sängerin in Verbindung bringt, mag das für manche Hörer:innen gewöhnungsbedürftig oder gar anstrengend klingen. Das soll nicht davon ablenken, dass hier versierte Musiker an den Instrumenten stehen.

Das erste Stück Travel ist gut gewählt, nimmt es Hörer:innen doch mit auf die Reise in die Welt von Ou, die mit Wus charakteristischer Stimme und sphärischen, blubbernden Effekten aus der digitalen Trickkiste beginnt. Immer präsent ist – wenig überraschend – der am Schlagzeug wirbelnde Vanacore.

Das mit Devin Townsend verwandte Farewell zieht die djentige Saiten der Band auf und kommt fast konventionell daher. Dafür gibt es mit Mountain ein latent atonales Gefrickel auf die Ohren, bei dem Sängerin Wu bei 1:47 das Gipfelkreuz anschreit. Ein fast anstrengendes Stück für Liebhaber:innen und alle, die es werden wollen.

Und dann gehen Ou hart auf die Bremse, um experimentell Fahrt aufzunehmen. Light ist ein reiner Ambient Track, der durch hypnotischen Gesang und repetitive Klänge besticht. Das ist gut genug, um kein Füller zu sein, insgesamt aber eher ein Kandidat für die Skip-Taste. Fairerweise sei darauf hingewiesen, dass hier womöglich inhaltlich ein Licht aufgeht, während der Autor dieses Texts mangels passender Sprachkenntnisse im Dunklen sitzt.

Auch Ghost ist ein ruhiges und zudem nahezu instrumentales Stück, das bisweilen an Wendy Carlos bahnbrechenden Soundtrack zu Tron (Steven Lisberger, 1982) oder Kompositionen von Vangelis erinnert. Euphoria, mit 7:19 Minuten der längste Song des Albums, kann das Leid zwar nicht wecken, doch wer jetzt noch nicht ausgeschaltet hat, will sich auch von diesem gehauchten Track einlullen lassen, der gefühlt durch einen Heulschlauch saust.

Zack, Stilwechsel. Nach dem vorangegangenen entspannt-irritierenden Trio könnte man beim jazzigen Prejudice glatt vom Stuhl fallen. Fast hätten wir vergessen, dass Ou hier ja auch Metal machen und mit diesem Lied ordentlich abliefern. Der psychedelische Rausschmeißer Dark tänzelt dann mit kopfnickerfreudigem Grundthema gekonnt von zart zu hart und entwickelt sich über etwas mehr als sieben Minuten zum heftigsten Track, um noch mal die Headbanger abzuholen.

Ou – One
Fazit
Ou hätten es sich leicht machen und ihr erstes Album nur mit solchen Liedern bestücken können, die sich bequem in die Progressive Metal Schublade (Farewell, Dark) räumen lassen. Mit dem "Exotenbonus China" wecken sie ohnehin ein gewisses Grundinteresse. Stattdessen zieht die Band alle Schubladen aus dem Genreschrank und riskiert, dass nicht alle Hörer:innen finden, was sie gesucht haben. One ist ein spezielles Album, mit dem man sich beschäftigen muss. Das kann anstrengend sein. Aber es ist auf jeden Fall auch lohnenswert.

Anspieltipps: Das Album müsst ihr schon am Stück hören, nix Playlist und so.
Christian D.
8.5
Leserbewertung1 Bewertung
8
8.5
Punkte