Iced Earth – Hellrider / Walk Among You

Lauwarm und trotzdem brandheiß

Artist: Iced Earth

Herkunft: USA

Album: Hellrider / Walk Among You

Spiellänge: 50:43 Minuten

Genre: Heavy Metal, US Power Metal

Release: 28.04.2023

Label: Rock Of Angels Records

Link: https://www.roar-records.de

Bandmitglieder:

“Hellrider” Line-Up:
Jon Schaffer – Rhythm, Lead, Bass Guitars, Backing vocals
Tim Owens – Lead Vocals
Brent Smedley – Drums
Tim Mills – Guitar Solos

“I Walk Among You” Line-Up:
Jon Schaffer – Rhythm, Lead, Bass Guitars, Backing vocals
Matt Barlow – Lead Vocals
Brent Smedley – Drums
Troy Seele – Guitar Solos

“Graspop Raw 2008” Line-Up:
Jon Schaffer – Rhythm Guitar, Backing vocals
Matt Barlow – Lead Vocals
Brent Smedley – Drums
Troy Seele – Lead Guitar
Freddie Vidales – Bass Guitar

Tracklist:

Hellrider (mit Tim „The Ripper Owens“)

1. Prophecy
2. Birth Of The Wicked
3. The Coming Curse

I Walk Among You (mit Matt Barlow)

1. Setian Massacre
2. A Charge To Keep
3. The Clouding
4. Dark Saga (Live at Graspop 2008)
5. Pure Evil (Live at Graspop 2008)
6. Iced Earth (Live at Graspop 2008)

Wie ich es hasse, dieses Review mit den nächsten Worten einzuleiten.
Natürlich könnte ich auch gleich zur Musik übergehen und das alles überspringen. Nur ist das im Fall von Iced Earth nicht unkommentiert möglich.

Jon, durch deine völlig fehlgeleitete, falsche und unerträglich dämliche Aktion am 6. Januar 2021 trägst du die Hauptschuld daran, dass eine meiner absoluten Lieblingsbands, die ich seit dem Debüt  – 1990 noch im Radio auf HR3 Hard’n’Heavy zum ersten Mal gehört – total vergöttere, so völlig unwürdig zu Grabe getragen wurde. Genie und Wahnsinn liegen ja oft ganz nah beieinander; bei dir hat der Wahnsinn im absolut negativen Sinne gesiegt. Deinetwegen sehe ich mich persönlich in der Verantwortung, Time For Metal, unseren Lesern, Kooperationspartnern und allen anderen Bands gegenüber, diese Zeilen zu schreiben, damit hier kein „ungünstiger“ Eindruck entsteht, der dem Magazin schadet.

Was für ein Scheiß, wirklich.

Um es auf den Punkt zu bringen: Deine Musik ist, zumindest für mich, so ziemlich das Beste, Schönste und Einflussreichste, was ich jemals gehört habe. Daher möchte ich dieses Review auch schreiben. Und um nichts anderes soll und wird es dann auch gleich gehen. Ich wünsche dir, dass du die vergangenen Jahre als auch die kommenden, wie auch immer sie für dich aussehen, dazu nutzt, deinen ganzen persönlichen politischen Bullshit zu reflektieren und entsprechend einzuordnen. Als falsch, menschenverachtend und als Fehler. Ich drücke dir die Daumen, dass du es schaffst. Trotz alledem danke ich dir für deine Kunst.

Und da sind wir auch direkt bei der völlig unerwarteten Newsmeldung von Rock Of Angels Records, dass es ein Lebenszeichen von Iced Earth gibt.
Natürlich war es irgendwie klar, dass hier keine neue Band von Schaffer aus dem Boden gestampft worden sein kann.
Stattdessen gibt es hier zwei, nun, „neue“ EPs mit alten Songs, die es aber auch schon mal auf einzelnen CDs gab. Egal, tun wir so, als wüssten wir das nicht.

2007/2008 gab es bei der Band den Wechsel von Tim „The Ripper“ Owens (u.a. ex-Winters Bane, ex- Judas Priest, KK’s Priest) zurück zum Alltime-Aushängeschild und Fanliebling, Matt Barlow.

Aus dieser Zeit stammen auch die Aufnahmen dieser beiden EPs. Die genaue Tracklist findet ihr weiter oben.
Prophecy, Birth Of The Wicked sowie The Coming Curse stammen alle von der Mutter aller Iced Earth-Alben, Something Wicked This Way Comes von 1998.
Der düstere, beinharte US-Powermetal dieser Scheibe erhält seine mystische Stimmung zum großen Teil durch Barlows Stimme. Mag sein, dass ich das etwas puristisch sehe, aber ein bisschen geht diese (schwarze) Magie auf den Neuaufnahmen mit Owens ein bisschen flöten. Das ist jetzt Kritik auf hohem Niveau, ich weiß. The Ripper ist natürlich ein Ausnahmesänger und hat seinen Platz im Olymp der Metalbarden sicher. Dennoch, so druckvoll die Produktion bei den Songs ist, es geht für mich nichts über das Original.
Wie dem auch sei, der Song verdient es, hier mit dem dazu gehörenden Lyricvideo in Gänze gehört und gesehen zu werden.

Hart gespannt darf man dann natürlich auch auf das umgekehrte Spiel sein. Wie schlägt sich Matt Barlow, wenn er Owens-Songs singen muss/kann/darf?

Setian Massacre (kein Bandhöhepunkt, erinnert mich die ersten Sekunden lang seit jeher an Europe After The Rain von Kreator), A Charge To Keep (schon mit Owens am Mikro ein Göttersong!) und The Clouding (zu schön, um Worte dafür zu finden) stehen hier zur Debatte.
Barlow macht aus dem Ersten der drei genannten auch kein zweites Melancholy oder A Question Of Heaven, allerdings soll er auch „nur“ singen, nicht zaubern. Und das macht er, wie immer, hervorragend. Gleichauf mit seinem Vorgänger.
A Charge To Keep ist schon nach wenigen Sekunden ganz klar ein Barlow-Song. Passt wie die Faust aufs Auge, als hätte diesen Song nie ein anderer Sänger gesungen.

The Clouding treibt mir die Tränen in die Augen. Puh, fuck. Das kam jetzt irgendwie unerwartet.
Verdammt, was vermisse ich diese Band in genau dieser Konstellation. Noch mal, Jon, das war einfach scheiße von dir. Kennt ihr das, wenn ein Song dafür sorgt, dass alles andere in den nächsten zehn Minuten völlig irrelevant und klein wird, weil der Song einfach zu groß ist?
Genau das haben wir hier.

Ich muss zugeben, dass ich – ähnlich wie bei Maiden oder Helloween – die Phasen der anderen Sänger nicht so ganz mit Herzblut miterlebt habe. Ok, mit Ausnahme von Stu, der mit dem letzten regulären Studioalbum Incorruptible 2017 auf die Lieblings-Iced Earth-Sänger Position Nummer 2 bei mir hochgeschossen ist.
Ist so ein persönliches, emotionales Ding, irgendwie. Verstehe ich auch mit mittlerweile 45 Lenzen nicht, muss ich aber auch nicht.
Gegen Ende, wenn The Clouding etwas an Tiefe verliert und härter wird, habe ich mich wieder gefangen und kann den Blick auf die letzten drei Livesongs werfen.
Aufgenommen auf dem 2008er Graspop Metal Meeting in Belgien und mit Barlow am Mikrofon, kriegen wir Dark Saga, Pure Evil (yes!) und Iced Earth in gar nicht mal so guter Qualität um die Ohren geknallt. Meine Güte, das clippt und wummert dermaßen unangenehm. Kann aber auch an meiner Promoversion liegen.
Hätte man das gebraucht? Nein. Mit der Alive In Athens wurde eigentlich schon alles gesagt. Ein besseres Livealbum hat die Band nicht veröffentlicht, vor allem mit der neu gemasterten LP-Version hat man ein Denkmal für die Ewigkeit rausgehauen.

Grundsätzlich pendeln die Songs auf den beiden EPs alle im höchsten Punktebereich, sodass das hier – wäre es ein reguläres Album – sicherlich mit neun Punkten nach Hause gehen würde. Abzug in der B-Note gibt es für die miese Soundqualität der Livesongs. Mit der Alive In Athens und auch der nach dem Split veröffentlichten, richtig guten Livescheibe Bang Your Head mit Stu Block am Gesang gibt es zum Glück perfekte Alternativen.

Iced Earth – Hellrider / Walk Among You
Fazit
Tja, die Subheadline des Reviews bringt es wahrscheinlich ganz gut auf den Punkt: lauwarm und trotzdem brandheiß.

Nichts Neues aus dem Hause Schaffer, trotzdem musikalisch über jeden Zweifel erhaben. Ein schöner Vergleich zwischen Owens und Barlow, wobei ein "Wettstreit" ja auch völlig unangemessen ist. Am Ende ist es alles eine Sache des persönlichen Geschmacks. Ich persönlich schmelze bei Matt Barlows Stimme nach wie vor dahin und verliere auch jetzt schon wieder zu den Klängen von The Clouding den roten Faden.
Was soll's, bringen wir das hier zu Ende.
Die Welt wäre ohne diese ganzen politischen oder religiösen Irrläufer und all den Hass, den Neid und die Missgunst ein deutlich besserer Ort. Auch für Jon Schaffer.

Anspieltipps: The Clouding, Prophecy und A Charge To Keep
Andreas B.
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