Saitenwexel – CD Release-Konzert 35 Jahre nach der Auflösung!

„Saitenwexel – CD Release-Konzert 35 Jahre nach der Auflösung!“

Event: Saitenwexel

Support: Sophies Schrott Show

Ort: Kiel, Hansa48

Datum: 30.09.2017

Tour: CD-Release „Rock gegen Abriss“

Genre: Deutschrock

Besucher: ca. 150

Kosten: Eintritt gegen Spende

Veranstalter: Saitenwechsel/Hansa48

Link: http://www.saitenwexel.de

Bandmitglieder:

Gesang – Hans „Willi“ Hansen
Gitarre und Backgroundgesang – Jürgen „Riffmaker“ Ceynowa
Schlagzeug – Stephan „Drums“ Suckow
Livesupport:
Gitarre – Stefan Ikert
Bass – Jürgen Gern

Setliste:

  1. Keine Lust Mehr
  2. Laut Sein
  3. An Archie
  4. Geh Doch Zu Ihm Hin
  5. Alles Versucht
  6. Sperrmüll II
  7. Hart Am Wahnsinn
  8. Wir Bleiben Drin
  9. Heiligenhafen
    Zugabe 1: xxx
    Zugabe 2: Keine Lust Mehr

Stell Dir vor, du stehst morgens in der Küche, willst vor der Arbeit noch schnell in deine lokale Zeitung schauen, bevor deine Frau sie mit zur Arbeit nimmt… Trinkst ´nen Kaffee und plötzlich stolperst du über einen Artikel, der dich erstarren lässt. Plötzlich läuft in deinem Inneren ein Film aus deiner Jugend ab.

Es ist das Jahr 1981. In der ganzen Republik werden Häuser besetzt, so auch im Landeshauptdorf Kiel, Schleswig-Holstein. Es sind drei Häuser, die polarisieren: Zwei zusammenhängend im Sophienblatt und in der Herzog-Friedrich-Straße am Bahnhof sowie ein Komplex in der Hansastraße. Beide Areale haben eigene Geschichten, hängen aber zeitlich zusammen. Beide Areale haben „Hausbands“.

Im Hintergrund die alte Sophie.

Während in der Hansastraße 48 die Band Saitenhieb ihr Können zum Besten gibt und schon früh Solidaritätsveranstaltungen, sogar für die SPD, spielt, hat es die Hausband Sophies Schrott Band schwieriger. Ihre Häuser am Bahnhof sollen einem in der BRD beispiellosen Einkaufszentrum weichen. Der Wirtschaft wird geholfen, Arbeitsplätze werden gefördert, günstiger Wohnraum in zentraler Lage zerstört… (1981!!! Nicht heute!!!) Somit trauen sich einige wenige, sich gegen das System aufzulehnen. Musikalisch bekannt sind natürlich Ton Steine Scherben aus Berlin mit ihrem „Megastar“ Rio Reiser. Metal gab es kaum, Judas Priest waren die beliebtesten in dem Genre. In den Hitparaden und somit auf allen empfangbaren (drei!!!) Radiosendern liefen Destiny´s Child,  Gigi D’Agostino, Terence Trent D’Arby, Chris de Burgh und andere Disco-Geschmacklosigkeiten. Auf der anderen Seite ebbte die erste Punkwelle mit den Sex Pistols oder UK Subs gerade ab. Es entstand ein musikalisches Vakuum, welches von Bands wie Depeche Mode oder Deep Purple in unterschiedlichen Richtungen genutzt wurde.

Der Autor dieser Zeilen, Baujahr 1963, war also mittendrin in einer Zeit, wo politischen Aufruhr und musikalische Belanglosigkeit die Zeit prägte. In der Sophie übermalte jemand die „Atomkraft – Nein Danke“-Sonne durch „Travolta – Nein Danke“. Durch den Freundes- und Kollegenkreis wurde man in die eine oder andere Richtung gespült. Als Universitätsstadt hatte Kiel schon früh die Berliner Bewegung erkannt und für sich gewonnen. So auch ich.

Durch das Studium eines Freundes in Berlin lernte ich Rio Reiser und seine Band Ton Steine Scherben persönlich kennen. In dem besetzen Haus am Tempelhofer Ufer spielte man Doppelkopf und lauschte den Klängen von Lanrues Gitarre. (Den Rest will der GSB gar nicht wissen…)

Zurück in Kiel suchte man Anschluss an ähnliches Milieu.

Musikalisch spielten die Bands eben genau die Protestsongs, die mit dem heutigen, 35 Jahre zu späten, CD-Release nie gewürdigt worden sind.

Roland Schneider, Sophies einziges Urgestein

Sophies Schrott Show, schon damals geprägt durch den späteren Tears For Beers Gitarristen Roland Schneider, war eine lokale Größe der Szene. Bekannter wurde aber die Band Saitenhieb. Die Band war zu Hause in der Hansastraße 48, einer ehemaligen Schultheiss-Brauerei. Die Besetzung ging gut, die Gebäude wurden im Gegensatz zum Sophienhof nicht abgerissen, sondern der Besetzergemeinschaft übergeben. Zwar löste sich die Band dann ebenso auf, aber ihr Name hatte Bestand.

Hans „Willi“ Hansen präsentiert eines der alten Original-Tonbänder

Als nun, 35 Jahre später, einem Film über die Szene die nötige Musik fehlte, wurden die alten Musiker ausfindig gemacht und Tondokumente im Privatbesitz gesucht. Diese waren allesamt unbrauchbar, der Zahn der Zeit schlug erbarmungslos auf jedem Dachboden zu.

Sie wurden gebeten diese doch bitte, zumindest in einem Song, neu einzuspielen.
Das machte den Protagonisten solch einen Spaß, dass der komplett erhaltene Songbestand neu arrangiert und produziert wurde. Zwei Titel schafften es dennoch nicht auf die CD, zu peinlich waren die Texte. Zur heutigen CD-Release-Party wurden alte Mitstreiter gesucht, zum Teil gefunden und auch, leider ebenso nur zum Teil, reaktiviert. Aus der Sophies Schrott Show war nur ein Bandmitglied Feuer und Flamme, aus Saitenhieb-Zeiten immerhin drei. Den Rest erledigten befreundete Musiker. Zumindest im Publikum waren heute fast alle alten Mitstreiter vertreten. Leider musste der Bandname aus rechtlichen Gründen „gewechselt“ werden, so entstand aus Saitenhieb dann Saitenwexel. Nach der Bearbeitung klingen die Agit-Rock-Titel allesamt genauso frisch wie vor 35 Jahren. Allen voran die damalige Hymne Wir bleiben drin. Einzig von der Gewalt wie in An Archie, wird sich distanziert. Gewalt wie beim G20-Treffen in Hamburg und den zündelnden Mollies im Titel wird strikt abgelehnt.

Hans „Willi“ Hansen, der Hauptprotagonist des Abends

Für mich ging in zweieinhalb Stunden eine Zeitreise in meine tiefste Jugend und in eine andere politische Zeit vonstatten. Ich habe diese Zeit genossen und rate jedem, der in den Genuss einer solchen Zeitreise kommen kann, diese Chance zu nutzen. Beide Bands gaben heute nach 35 Jahren ihr erstes Konzert an alter Wirkungsstätte – was für ein emotionsgeladenes Ereignis! Rund 150 Zuschauer, fast ausnahmslos in meinem Alter und mit der Geschichte vertraut oder involviert, schwelgten in Erinnerungen, die zu Tränen rührten. So etwas habe ich noch nie erlebt!
Bekannte, die sich nach den ganzen Jahren in die Arme fallen, fragende Blicke „Ist der das?“, gemeinsam aufklärende Gespräche zu Lokalitäten, Fakten und Gegebenheiten, neugierige Fragen zur Räumung der Sophie und der Geschichte drum herum: das hat bewegt.

Fazit: Eine CD-Release-Party, die nicht vergleichbar mit irgendetwas anderem ist. Emotion Sondergleichen pur. Ich möchte nicht wissen, was in den Zigaretten mit den drei Blättchen war, ich möchte nicht wissen, was mit den Leuten wird, die sich nach der langen Zeit zum ersten Mal wieder in die Arme fallen. Für mich ein Abend zum Träumen und in Erinnerung schwelgen. Was ist eigentlich aus meinen Freunden von damals geworden?
Für die Bandmitglieder von Saitenwexel war es etwas Besonderes, meine CD auch noch signieren zu dürfen/müssen. Ich hoffe aus tiefstem Herzen, das solche Zeitdokumente, die es garantiert in jeder Stadt gibt, nicht verloren gehen. Die Zeit heute ist so dermaßen schnelllebig – denkt daran! – ihr seid ein Stück Geschichte!
Erhaltet es und belebt es! Denkt lokal, es müssen nicht immer nur die Großen der Genres sein!
Auf der Homepage saitenwexel.de kann die CD für einen Zehner bestellt werden. Viele gibt es aufgrund der kleinen gefertigten Stückzahl nicht mehr…