Summer Breeze Open Air 2023 vom 16. bis 19.08.2023 in Dinkelsbühl – Samstag

Zeal & Ardor, verdammte Scheiße

Veranstaltung: Summer Breeze Open Air 2023

Ort: Flugfeld des Aeroclub, Flugplatzstr.1, 91550 Dinkelsbühl

Webpräsenz: Website, Facebook, Instagram

Datum: 16.08. – 19.08.2023

Kosten: Festivalticket ab 222 € (inkl. Camping und Vorverkaufsgebühr), Tageskarten 89,99 €.  Parkticket und Frühanreise (Dienstag) kostet extra.

Veranstalter: Silverdust GmbH

Besucher: ca. 45.000 – 50.000

BandsAbbath, Abbie Falls, Ad Infinitum, Ahab, Amenra, Archspire, Be’lakor, Beartooth, Blackbriar, Bleed From Within, Bloodbath, Brand Of Sacrifice, Capra, Cobra The Impaler, Corvus Corax, Decapitated, Drain, Dying Fetus, Eluveitie, End, End Of Green, Endseeker, Epica, Excrementory Grindfuckers, Extinction A.D., Fit For An Autopsy, Gaerea, Gatecreeper, Get The Shot, Grave Digger, Groza, Gutalax, Hammerfall, Hatebreed, I Am Morbid, Imminence, In Extremo, In Flames, Iotunn, Kanonenfieber, Kataklysm, Killswitch Engage, Knocked Loose, Knorkator, Legion Of The Damned, Lionheart, Long Distance Calling, Malevolence, Marduk, Megadeth, Milking The Goatmachine, Mono Inc, Motorjesus, Nanowar Of Steel, Noctem, Obituary, Of Virtue, Orbit Culture, Osiah, Paddy And The Rats, Party Cannon, Powerwolf, Rage, Schizophrenia, Sepultura, Setyøursails, Shadow Of Intent, Signs Of The Swarm, SkÁlmÖld, Sleep Token, Soen, Soilwork, Stick To Your Guns, Storm Seeker, Tankard, Terror, The New Roses, The Spirit, Traitor, Trivium, Trollfest, Twilight Force, Unto Others, Versengold, Vorga, While She Sleeps, Wolfheart, Zeal & Ardor

Abgesagt: Envig, Nonpoint, Novelists

Summer Breeze Open Air 2023

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Samstag, 19.08.2023

Zeal & Ardor, verdammte Scheiße

Der letzte Tag bricht an. Für Trauer bleibt keine Zeit, denn der Samstag serviert ein reichhaltiges Menü aus musikalischen Köstlichkeiten. Davon können all jene leider nicht profitieren, die rund um das Festivalgelände im Stau stehen. Derweil sorgen Randale für kindgerechte Erwachsenenunterhaltung. Oder erwachsenengerechte Kinderunterhaltung?

Auf jeden Fall ist Randale angesagt, wenn ein Großteil des Publikums auf Schultern sitzt und das meist auf denen vom Papa. Das Gratis-Kinderkonzert hat Tradition beim Summer Breeze und auch dieses Jahr erfreut sich der Auftritt der Bielefelder auf der Fick….pardon….Stricken Party Stage großer Beliebtheit. Lieder übers Zähneputzen und den Feuerwehrnotruf kommen bei Jung und Alt gut an, wobei letztere freilich auch mit Sinn für kindliche Ironie und erwachsene Alkoholbegeisterung lautstark mitsingen.

Wir haben es uns bis zum Samstag verkniffen, doch es muss heraus: Die [setzen Sie hier Ihre bevorzugte Verwünschung aus mindestens drei Kraftausdrücken ein] ständig präsente Geräuschkulisse der Hau-den-Lukas-Maschine vom Promostand einer pfälzischen Baumarktkette war unglaublich nervig. Wumm, Pling. Wumm, Wumm, Pling. Rund um T-Stage und Wera Tool Rebel Stage gab es kein Entkommen. Wir hoffen, dass das Personal („Das ist echt hart zu ertragen“) trotz Ohrstöpsel keinen lang anhaltenden Schaden davongetragen hat.

Unsere Ohren lassen wir uns viel lieber von Deez Nuts beschallen. Two Step gehört in Dinkelsbühl mittlerweile zu den Standardtänzen. Abgesehen vom rappigen Hardcore der Australier erfreut sich bei den bouncenden Massen auch der Feuerwehrschlauch wieder großer Beliebtheit. Denn zum Festivalabschluss brutzelt es wie am Vortag erneut unbarmherzig heiß vom Himmel herab. Netter Gag: Frontman JJ Peters, der kontinuierlich gut gelaunt durch sein tätowiertes Gesicht lächelt, stimmt Hypa Hypa von Electric Callboy an und – Düpp, Düpp, Düpp – die Erde bebt. Im letzten Drittel des souveränen Auftritts wird es jedoch merklich leerer im Publikum und der Grund dafür dürfte „Deutschlands meiste Band der Welt“ auf der Main Stage sein.

Knorkator, Summer Breeze Open Air 2023, Pic by Christian Melchinger.
Knorkator, Summer Breeze Open Air 2023, Pic by Christian Melchinger.

Knorkator wissen musikalisch (und textlich) zu begeistern, nicht wenige Fans halten die satirische Band für Genies. Das mag diskutabel sein, unbestritten ist die Qualität der Band als Unterhaltungsspektakel. Konsequenterweise bittet Sänger GeroStumpenIvers alle Fotografen auf die Bühne, um sie dann mit freundlichen Arschtritten wieder in den Graben zurückzuschicken.

Knorkator, die ihre roten Samtoutfits bei der Hitze nicht lange am Körper behalten, sind alt genug, um ihre Kinder mitzubringen. Alf Ators Sohn Tim Tom darf Böse mit Inbrunst ins Infield singen und schneidet dabei herrliche Grimassen, Stumpen gönnt sich dabei ein Band im Funkenflug des Winkelschneiders. Seine Tochter Agnetha sitzt betont gelangweilt im Hintergrund und liest in einem Reclam-Heftchen – großartige Aktion – bevor sie später bei Ding Inne Schnauze ebenfalls ihre Qualitäten als Sängerin und Headbangerin beweist. In diesem Moment will das Summer Breeze neben Schatten wirklich einfach nur eins – Knorkator – und sing entrückt jedes (!) Lied mit.

Abbie Falls, Summer Breeze Open Air 2023, Pic by Christian Daumann.
Abbie Falls, Summer Breeze Open Air 2023, Pic by Christian Daumann.

Schatten und dazu Party gibt es mit Abbie Falls auf der Wera Tool Rebel Stage. Abbie wer? Noch nie gehört. Solltet ihr aber mal. Die tschechische Trancecore/Metalcore Band aus Prag lässt sich nicht anmerken, dass es vor der Bühne recht leer ist und entfesselt ein fast anarchisches Set mit magenaufreibenden Breakdowns, wütendem Gebrüll und einer Prise Drum & Bass. Die Band hat Spaß, der ansteckend wirkt und viele Zuschauer:innen lassen sich von der guten Stimmung mitreißen.

Ein spärliches Publikum hat auch seine Vorteile, denn wo sonst lässt sich mit einem Kind (keine Angst, artig mit Gehörschutz auf den Öhrchen) auf den Schultern durch den Circlepit tanzen? Keine Hand hat jemals mehr High Fives als dieser kleiner Metalhead bekommen. Apropos Pit: Zum Abschluss ertönt das Pokémon-Theme und löst einen kollektiven Rausch des Vergnügens bei allen Anwesenden aus. Abbie Falls live: Eine richtig schöne Überraschung. Später sehen wir die Band bei Killswitch Engage im Publikum. Sympathisch.

Auf der Ficken Party Stage sind die Stricknadeln vergessen und es darf wieder gebumst werden. Also mit Breakdowns. Half Me spielen und bringen zeitgenössischen Metalcore/Nu Metal auf die Bühne. Die Hamburger, die 2023 ihr Debütalbum Soma veröffentlicht haben, konkurrieren mit Hatebreed auf der Main Stage, was die deutlichen Lücken im Publikum erklärt. Außerdem sind viele Menschen aufgrund der Hitze einfach nur kaputt. Die Stimmung beeinträchtigt das nicht, ganz im Gegenteil. Half Me erhalten sehr viel Zuspruch und spätestens beim dritten Lied mobilisiert die Menge alle Reserven und feiert die Band – verdienterweise.

Headliner Killswitch Engage regiert souverän die Main Stage und agiert wieder einmal als Partyswitch Engage. Hit reiht sich an Hit, zum Start gibt es My Curse und die gute Laune explodiert. Die Band – und vor allem Gitarrist-Entertainer Adam Dutkiewicz – witzelt über Verspieler, lobt deutsches Bier und gibt dem Publikum jederzeit das Gefühl, nur für sie zu spielen. Das äußert sich in zahlreichen Pits, Wall of Deaths und hoher Crowdsurfaktivität. Sänger Jesse Leach ist sichtbar happy und besucht die Fans wie kurz darauf Dutkiewicz im Graben. Zum Abschluss gibt es mit Holy Diver ein Dio Cover.

In Flames, Summer Breeze Open Air 2023, Pic by Christian Melchinger.
In Flames, Summer Breeze Open Air 2023, Pic by Christian Melchinger.

Es ist noch immer heiß auf dem Summer Breeze, aber auch viel zu hell. Denn eine Truppe wie die dänische Progressive-Metal-Band Iotunn will atmosphärisch bedingt im Dunklen erlebt werden. Die ergreifenden, mitunter an Wehklagen erinnernden Gefühlsausbrüche von Sänger Jón Aldará bohren sich trotzdem tief in die Seele. Die Wera Tool Rebel Stage stellt damit wieder einmal ein reizvolles Alternativprogramm zum Treiben auf der Main Stage. Das erkennt auch die deutsche Black Metal Formation The Spirit, die später – endlich dunkel – parallel zu In Flames bei Strobolicht der Nacht einige Schwarzgrade mehr entlockt. Mit den Worten „Wir wissen es zu schätzen, dass ihr hier seid, während der Headliner spielt“, bedankt sich Sänger MT beim Publikum.

Marduk, Summer Breeze Open Air 2023, Pic by Christian Melchinger.
Marduk, Summer Breeze Open Air 2023, Pic by Christian Melchinger.

Wer Black Metal will, hat heute Marduk auf der T-Stage im Kalender. Im Publikum ist spürbar, dass viele Anwesenden dem Konzert der satanischen Schweden entgegenfiebern. Ihr wisst schon, „verdammte Scheiße“ und so. Andere sind neugierig und wollen wissen, was es denn auf sich hat mit den Black Metal Pionieren. Entsprechend geteilt sind später die Reaktionen vor der Bühne. Viele folgen dem Konzert gebannt, schleudern sich den Kopf von der Wirbelsäule und ermahnen mit bösen Blicken vereinzelte Personen, die hier einen unpassenden Moshpit starten wollen. Andere sitzen abseits auf dem Boden und nutzen Marduk für eine späte Verschnaufpause.

Die Band selbst thront in Rauschschwaden gehüllt auf der Bühne, beschränkt die Interaktion mit dem Publikum auf ein Minimum und marschiert los. Wie ein Gewitter prasseln die von Pyroeffekten gestützten Lieder auf das Summer Breeze nieder, die Uneingeweihten wie ein konstant böses Geräusch vorkommen mögen. Lange Pausen zwischen den Liedern und gelegentliche Rückkopplungen bremsen das Set der Schweden ein wenig aus. Die Marduk Fans bringt das nicht aus dem Ungleichgewicht. Sie liefern sich freudig dem garstigen Gekeife von DanielMortuusRostèn und den Doublebassungetümen aus, die aus der Hölle aka T-Stage in den Festivalhimmel schallen. Am Ende reckt die Band die Dankesfaust in das Dunkel der Nacht. Und irgendwie wirkte es trotzdem etwas lustlos.

Davon kann bei Get The Shot nicht die Rede sein, die wie irre auf der Wera Tool Rebel Stage umherflitzen. Die Kanadier spielen superprolligen Hardcore, der deftig in die Glieder fährt und die Hose bis zum Hals aufplustert. Dass mir im Pit niemand stolpert, ja? Denn kurz vor Mitternacht giert das Breeze offenbar noch mal nach richtig derber Action. Die Muckis von Shouter Jean-Philippe Lagacé sind mindestens so fett wie die Riffs der Band, die das Publikum auf der Zielgeraden zum Festivalabschluss noch mal massiv antreiben. Lagacé ist ständig in der ersten Reihe und sucht den Kontakt zum Publikum, fordert alle zum Stagediven auf. Die Fans scharen sich um ihn und es wuselt wie auf einem Ameisenhaufen, in den hinteren Reihen mosht und stampft die Crowd als wäre es … der letzte Tag.

Zeal & Ardor, Summer Breeze Open Air 2023, Pic by Christian Melchinger.
Zeal & Ardor; Ardor, Summer Breeze Open Air 2023, Pic by Christian Melchinger.

Zeit für etwas ganz Großes: Zeal & Ardor veredeln das Summer Breeze. Bei ihrem letzten und ersten Auftritt im Jahr 2019 sorgten die Black-Metal-Avantgardisten um Bandkopf Manuel Gagneux für staunende Gesichter und offene Münder. Dass die Band ein Erlebnis ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen und dementsprechend voll ist es um ein Uhr nachts vor der Main Stage. Die Wartezeit verkürzt ein tanzendes, nacktes Huhn auf den beiden Bühnenleinwänden, was allerdings eher Irritation als Vorfreude auslöst. Dann ist es endlich so weit. Zeal & Ardor betreten die Bühne, starten mit Church Burns, Götterdämmerung und Ship On Fire durch. Offene Münder. Begeisterung. Dankenswerterweise verzichten Menschen, die sonst bei jedem Konzert einen Pit starten, auf unangebrachte Moshmanöver. Das Publikum will in Zeal & Ardor versinken.

Plötzlich Stille kurz nach Hälfte des Sets. Ein Raunen geht durch die Menge. Technische Probleme. „Das ist der Teil vom Set, wo wir einen Server rebooten“, witzelt Gagneux und überbrückt die Zwangspause professionell und sympathisch mit Späßen. Prompt gibt es „Reboot, Reboot, Reboot“ Sprechchöre, die ihr Ziel nicht verfehlen. Es geht weiter. Rasch findet die Band zurück zu ihrer mitreißenden Performance, die in jeder Faser spürbar ist. Der mehrstimmige Gesang könnte klarer nicht sein und garantiert Gänsehaut, die Musiker an den Instrumenten geben alles. Pure Emotion. Bei Devil Is Fiiiiiiiiiiiiiiiine singt gefühlt das ganze Breeze mit, dann leiten I Caught You und schließlich Baphomet das Ende des berauschenden Sets ein. Mit dem wohl fröhlichsten „Hail fucking Satan!“ ever verabschiedet sich die Band in die Nacht. Vor und auf der Bühne erschöpfte, glückliche Gesichter. Jetzt bleibt nur die Frage: Warum rauchen so krass viele Menschen und wer kommt mit zu Pertubator?

Pertubator, Summer Breeze Open Air 2023, Pic by Christian Daumann.
Pertubator, Summer Breeze Open Air 2023, Pic by Christian Daumann.

Zugegeben, nicht ganz einfach, nach einem höllisch heißen Tag um zwei Uhr nachts noch einmal die letzten Kraftreserven anzuzapfen. Wer nun zu James Kent aka Pertubator an die T-Stage spaziert, will tanzen. So richtig. Denn auch diesen Act hat sich das Summer Breeze seit dem letzten Auftritt von 2018 gemerkt. Nicht nur Hartgesottene hat es vor die Bühne verschlagen, das Publikum ist verblüffend groß. Es dauert jedoch eine Weile, bis die wummernden Beats von Kents Musikprojekt allen in die Glieder fahren. Die dunkle Ästhetik des Synthwave Sounds von Pertubator, gespickt mit ausgesuchtem Gitarreneinsatz, steht dem Summer Breeze. Grell blitzt dazu die gut abgestimmte, doch eher verhaltene Lichtshow ins Publikum, das im weiteren Verlauf immer aktiver in Richtung Trance taumelt. Wenn das mal kein gelungener Festivalabschluss ist.

Vielen Dank, Summer Breeze und allen, die es dazu gemacht haben. Und jetzt Zähneputzen, Pullern und ab ins Bett.

Die Berichte zu Mittwoch, Donnerstag und Freitag findet ihr über die Links.

Beteiligte Autoren

  • Christian Daumann (Text)
  • Christian Melchinger (Bilder & Headliner Bilder) | OutRoar.de
  • Mario Toerlitz (Bilder)