Rammstein – Zeit

Dunkle Nischen und Tabuthemen begleiten das achte Studioalbum

Artist: Rammstein

Herkunft: Berlin, Deutschland

Album: Zeit

Spiellänge: 44:16 Minuten

Genre: Industrial Metal, Neue Deutsche Härte

Release: 29.04.2022

Label: Universal Music Group

Link: https://www.rammstein.de/de/home/

Bandmitglieder:

Gesang – Till Lindemann
Gitarre, Hintergrundgesang – Richard Kruspe
Gitarre, Hintergrundgesang – Paul Landers
Schlagzeug – Christoph „Doom“ Schneider
Bassgitarre – Oliver Riedel
Keyboard, Synthesizer, Klavier – Christian „Flake“ Lorenz

Tracklist:

  1. Armee Der Tristen
  2. Zeit
  3. Schwarz
  4. Giftig
  5. Zick Zack
  6. OK
  7. Meine Tränen
  8. Angst
  9. Dicke Titten
  10. Lügen
  11. Adieu

Es ist mal wieder so weit, das Warten auf ein neues Rammstein Album hat zum achten Mal ein Ende und die Musikwelt dreht durch. Mit elf Tracks greifen sie dieses Mal an und kommen dabei auf 44 Minuten Spielzeit. Zu spekulieren, ob es ein Platz 1 Album wird, wäre eher Hohn und Spott. Den Platz an der Sonne kann man den Männern aus Berlin wohl eh nicht mehr nehmen, mit jeder Veröffentlichung seit dem Debütalbum Herzeleid aus dem Jahr 1995 wurde die Poleposition erreicht. Was ebenfalls nicht ganz neu ist, ist die Spekulation, ob es das letzte Album der Deutschen sein könnte. Mit den erschaffenen Kompositionen gießen sie jedenfalls wieder ordentlich Öl ins Feuer. Soll das Kapitel von Rammstein tatsächlich am Ende angekommen sein oder ist das Spielen mit dem vermeidlichen Ende ein emotionales Drohmittel der Musiker an ihre Anhänger, um für Angstzustände zu sorgen? Das wiederum würde auf den achten Titel Angst zielen. Auch so kann man die Gerüchte wunderbar breit streuen, denn schließlich steht das Ende vermutlich noch in den Sternen oder liegt doch greifbar vor uns. Wir werden es nicht klären können und blicken einmal auf das, was wir beurteilen können.

Simple und einfache Albumtitel reichen den Ausnahmemusikern nur zu gerne aus – Zeit tanzt damit nicht aus der Reihe. Das Artwork wurde schlicht gewählt. Ein Bunker steht im Zentrum des Covers. Langsam laufen die sechs Musiker im Gleichschritt die Treppe hinunter und als Eye-Catcher fungiert der rote Rand auf der linken Seite mit dem typischen Rammstein-Logo, was auf den ersten Blick auf ein Buch schließen lassen könnte. Was wollen uns Rammstein damit sagen? Ist die Zeit zu greifen, wird die Tracklist kapitelweise wie eine Geschichte aufgebaut?

Fragen über Fragen. Armee Der Tristen dringt melancholisch aus den Boxen. Till Lindemann ergreift im langsam anschwellenden Track das Zepter. Stimmgewaltig bringt er die Lyrics ganz unaufgeregt auf die Platte. Diese Ruhe von Till hat was Beruhigendes, auf der anderen Seite bekommt der Hörer eine ungreifbare Bedrohung ins Ohr gepflanzt, die man noch nicht wirklich deuten kann. Das dunkle Gefühl streut zum Start keine bunten Blumen, sondern zieht einem den Boden unter den Füßen weg. Das „Komm Mit“ hat was Aufforderndes und soll gar die Sinne schärfen. Nicht weniger düster bringt der Titeltrack Zeit seine Thematik zur Geltung. Bombastische Passagen werden mit klassischen Klängen ausgetauscht. Die Neue Deutsche Härte mit Industrial Metal Einflüssen lebt von einer progressiven Ader, die intensiv gelebt wird. Phonetisch reichen Rammstein ihren Fans die Hand. Den eingeschlagenen Weg ziehen sie konsequent weiter durch. Schwarz lässt kein Licht der Hoffnung aufflammen. Traurig liegt die Liebe im depressiven Detail, das, egal wie es umgesetzt wird, nicht so wirkt, als würden die Musiker jeden Tag nur weinend im Bett liegen. Klare Worte bringen die Gedanken trocken heraus und treffen trotzdem das schnell blutende Herz. Wilder wird es erst mit Giftig. Den Silberling förmlich angefixt, dröhnen die elektronischen Beats aufs Trommelfell, ohne wirklich schneller zu agieren – nur deutlich dominanter lassen die sechs Künstler die berühmten Puppen tanzen. Christian „Flake“ Lorenz hat wieder ein Höhepunkt nach dem anderen aus dem berühmten Hut gezaubert, ohne den Flow von Rammstein zu verbiegen. Zick Zack muss man mögen, wie schon in der Vergangenheit spielen sie erotisch orientierte Asse aus. Wer bislang mit den ähnlichen Stücken kokettiert hat, kommt auch auf Zeit auf seine Kosten. Neben Schönheits-OPs wird auch auf Geschlechtsumwandlungen usw. gespielt, die heute völlig normal ein Teil der Gesellschaft sind. Kirchengesänge rufen OK auf den Plan. Schnellere Riffs zünden kleine Störfeuer. Die eingängige Melodie macht Spaß und könnte live gut funktionieren. Wieder sexuell orientiert, wollen die Berliner die enge zwischenmenschliche Beziehung zweier oder mehrerer Körper nicht unter den Tisch fallen lassen. Nach dem Mut zum Körperkult drehen sie die Uhr ein Stück zurück. Wer von Zeit und Schwarz bereits ergriffen wurde, kommt an Meine Tränen nicht vorbei. Die morbide Geschichte öffnet unglaubliche viele Abgründe des menschlichen Denkens. Häusliche Gewalt in Kombination mit einem sexuellen Missbrauch einer Mutter an ihrem erwachsenen Sohn soll in den Augen der Deutschen wohl keine unausgesprochene Tortur mehr sein. Mit Tabuthemen verhangen, driftet die Platte zügig gen Ende. Mit der geschürten Angst bleiben sie bei ihrem Folterinstrument. Mit ähnlichem Aspekt bringt Till, mit der Rückendeckung der beiden Gitarristen Richard Kruspe und Paul Landers, den schwarzen Man auf das Album. Mit der Melodie Die Partei Die Partei Die Hat Immer Recht ziehen sie Dicke Titten auf. Sie muss nicht schön sein, nicht klug usw. …. na was dürfte wohl wichtig sein? Richtig Dicke Titten! Nach der spaßigen Nummer kommen wir dem Finale spürbar nahe. Lügen hebt noch mal das melancholische Zepter der ersten drei bis vier Kompositionen auf. Last but not least – nach dem elektronischen Feuerwerk folgt Adieu. Um die Spekulationen aus den ersten Zeilen aufzugreifen, sagen Rammstein hier tschüss? Was man sagen kann: Der Vorhang fällt und lässt euch mit dem zurück, was ihr eben glauben wollt.

Rammstein – Zeit
Fazit
Zeit beinhaltet viele spannende Facetten, die mir am Anfang und Ende am besten zusagen. Das bedeutet nicht, dass der Mittelpart weniger gut ein Zeichen setzt. Nur beeindruckt mich persönlich die Thematik weniger als beim wirklich ergreifenden Beginn, der am Ende des Silberlings noch einmal aufgegriffen wird. Gut abgewogen, mit vielen Tücken und menschlichen Sackgassen haben Rammstein es nach drei Jahren Pause nicht verlernt, die Musikwelt mit einem starken Langeisen zu torpedieren. 

Anspieltipps: Zeit und Meine Tränen
René W.
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