Kanonenfieber - Herbstoffensive - 2024- Stefan B.

Das Interview mit Noise von Kanonenfieber über „Die Urkatastrophe“ und die kommende Tour

Kanonenfieber-Frontmann Noise spricht über die Entstehung von "Die Urkatastrophe", den Weg zur historischen Authentizität und warum bei ihm die Musik im Vordergrund steht

Artist: Kanonenfieber

Herkunft: Bamberg, Deutschland

Genre: Death Metal, Black Metal

Label: Noisebringer Records

Link: https://noisebringer.de/index.php/de/projekte/kanonenfieber

Bandmitglieder:

Gesang – Noise
Gitarre – Kreuzer
Gitarre – Sickfried
Bassgitarre – Gunnar
Schlagzeug – Hans

Time For Metal / René W.:
Hallo Noise, es freut mich, dass du trotz der heißen Release-Phase von Die Urkatastrophe Zeit gefunden hast, um über das neue Album und eure anstehende Tour zu sprechen.

Kanonenfieber / Noise:
Heija, wenn du dir die Mühe machst, Fragen zu überlegen, dann ist es ja wohl das Mindeste, diese auch zu beantworten, haha. Also lass uns loslegen.

Time For Metal / René W.:
Die Urkatastrophe
habt ihr früh im Jahr angekündigt, immer wieder Singles veröffentlicht und bereits Material live gespielt. Wie lange hat sich für dich dieses Jahr angefühlt, bis das Album endlich für alle Fans zugänglich gemacht wurde?

Kanonenfieber / Noise:
Tatsächlich kam mir das Jahr verdammt kurz vor. Der Album-Release ging mit einem riesigen Haufen Arbeit einher. Das führte dazu, dass die Tage nur so verflogen. Musikvideodrehs, Marketingpläne erstellen, Produktdesign, Produktmanagement, unzählige Telefonate mit Labels und Agenturen – ich hätte mir gewünscht, dass der Tag dreißig Stunden hätte. Zwischendurch haben wir noch eine Menge Festivals gespielt und Non Est Deus als Liveband etabliert. Ich hatte überhaupt keine Zeit, mir Gedanken über die Release-Phase und die damit verbundene Wartezeit zu machen. Am Ende des Tages hätte ich mir eher mehr Zeit gewünscht als weniger.

Time For Metal / René W.:
Menschenmühle
, das Debütalbum von vor drei Jahren, ist wortwörtlich eingeschlagen wie eine Bombe. Hast du mit diesem Feedback gerechnet und wie schwer war es, eine Liveband zu formen, um dem Wunsch der Fans nachkommen zu können, das Material auch live zu zelebrieren?

Kanonenfieber – Herbstoffensive – 2024- Stefan B.

Kanonenfieber / Noise:
Ich habe nicht im Geringsten mit dem Erfolg gerechnet, den Menschenmühle nach sich zog. Um das mal in Relation zu setzen: Zum Release des Albums hatte ich 300 CDs produziert und hoffte, dass ich diese in den nächsten zwei Jahren abverkaufen würde. Nach nur fünf Tagen hatte ich keine einzige CD mehr übrig. Ich wurde mit positivem Feedback überschüttet. Interviews, Labelanfragen, Auftrittsanfragen – ich hatte keine Ahnung, was ich mit der ganzen Aufmerksamkeit anfangen sollte. Als der Druck, live zu spielen, größer wurde, rekrutierte ich meine Liveband. Zu meinem Glück kenne ich einige gute Musiker, und so war die Band innerhalb eines Abends zusammengestellt. Die erste Probe zeigte dann, dass ich genau die richtigen Jungs ausgesucht hatte.

Time For Metal / René W.:
Mit Die Urkatastrophe seid ihr den Weg von Menschenmühle eins zu eins konsequent weiter gegangen. Wie muss man sich den Entstehungsprozess der einzelnen Werke und des ganzen Albums vorstellen? Werden erst Themen ausgewählt und diese dann historisch aufgearbeitet?

Kanonenfieber / Noise:
Bei mir entsteht zuerst immer die Musik. Während des Songwritings sehe ich dann vor meinem inneren Auge ein Bild, das den emotionalen Rahmen des Liedes vorgibt: energiegeladen, traurig, melancholisch etc. Anschließend beginne ich, die Sammlung an Themen durchzugehen, die ich mit einem befreundeten Hobbyhistoriker zuvor zusammengetragen habe. Früher oder später finde ich dann das perfekte Thema für den jeweiligen Song. Ich suche mir die besten Dokumente heraus und fange an, die Texte zu schreiben.

Time For Metal / René W.:
Für mich ist der Einstieg mit der Großmachtfantasie und dem Song Menschenmühle auf Die Urkatastrophe gradezu perfekt. Kannst du deine Gedanken mit uns zum Start in das Album teilen und den Lesern, die noch nicht hineingehört haben, einmal erläutern, was sie zu Beginn erwartet?

Kanonenfieber – Herbstoffensive – 2024- Stefan B.

Kanonenfieber / Noise:
Mit dem Einstieg ins zweite Album wollte ich eine Brücke zum ersten Album schlagen. Ich habe die gleiche Tonart und einen ähnlichen Anfang gewählt. Ein tiefer, dröhnender Synthesizer, verbunden mit einem fast schon unangenehm ruhigen Gitarrenriff, bildet den Auftakt für die Rede des damaligen Reichspräsidenten Johannes Kampf. Der Aufbau verdichtet sich durch den Einsatz von E-Gitarren, Schlagzeug und Bass. Das Intro Großmachtfantasie mündet in den Track Menschenmühle, dem schnellsten und brutalsten Song, den ich je für Kanonenfieber geschrieben habe. Ich hoffe, die Beschreibung war bildlich genug, haha.

Time For Metal / René W.:
Ihr arbeitet intensiv an der historischen Aufarbeitung. Habt ihr da manchmal ein mulmiges Gefühl, dass euch in einem Song ein geschichtlicher Fehler unterläuft, oder könnt ihr euch von diesem Gedanken weitestgehend freimachen?

Kanonenfieber / Noise:
Geschichtliche Fehler passieren. Ich bin kein Historiker, ich bin Musiker. Das sollte auch jedem bewusst sein, der sich mit Kanonenfieber auseinandersetzt. Nichtsdestotrotz ist mein Anspruch an historische Korrektheit sehr hoch.

Time For Metal / René W.:
Historisch und unverblümt wird kein Blatt vor den Mund genommen, um diese Kunst in einen Black und Death Metal Sound zu weben. Das Leben schreibt die wildesten Geschichten – auch im Krieg. Bleibt dir bei der Faktenlage auch mal der Kloß im Hals stecken? Wie gehst du emotional mit den Themen um, damit sie möglichst authentisch herübergebracht werden können?

Kanonenfieber / Noise:
Da ich meine Inspiration für die Texte vor allem aus persönlicher Korrespondenz ziehe, stoße ich oft auf extrem emotionale Angelegenheiten. Ehemänner, die nach Jahren des Krieges an der Front sterben, aber weiterhin Briefe von ihren Liebsten erhalten. Briefe von Männern, die kurz vor dem Suizid stehen, weil ihre besten Freunde direkt neben ihnen zerfetzt wurden. Frauen, die ihre Kinder nicht ernähren können, weil kein Mann da ist, der die Felder bestellt oder die Ernte einfährt. Das ist knallharter Tobak. Da ich mich möglichst eng an den mir vorliegenden Dokumenten orientiere, habe ich keine Probleme damit, die Authentizität zu wahren.

Time For Metal / René W.:
Namen- und gesichtslos geht ihr den Weg des einsamen Soldaten. Wie kamst du auf diese Idee, dass die Musik und keine Gesichter im Fokus stehen sollen?

Kanonenfieber, RHZ, 03.07.2024, Pic By Kay L.

Kanonenfieber / Noise:
Das Mahnmal des Unbekannten Soldaten war für die Idee der Anonymität ausschlaggebend. Wie du anmerktest, soll die Musik für sich selbst sprechen. Ich arbeite mit einem sehr heiklen und emotional aufgeladenen Thema, weshalb ich es vorziehe, dem Zuhörer nicht ein verzerrtes, schweiß- und speicheltriefendes Gesicht auf der Bühne zu präsentieren. Aber um den Spieß umzudrehen: Warum sollte ich mein Gesicht zeigen? Gibt es dafür einen nachvollziehbaren Grund, außer die Neugier der Hörer zu befriedigen? Ich brauche weder einen Selbstbewusstseinsschub noch Bestätigung. Mein Konzept ist mir einfach wichtiger.

Time For Metal / René W.:
Wollen wir auf die Zielgerade abbiegen, auch wenn ich noch unzählige Fragen habe, die kommen dann gerne zum nächsten Album. Im Herbst geht es auf Headlinertour, das Feedback diesen Sommer auf den Festivals war, man kann ruhig sagen, grandios. Jetzt geht es in die Hallen. Könnt ihr das Bühnenbild ähnlich pompös auffahren und mit Pyrotechnik untermalen?

Kanonenfieber / Noise:
Das kommt leider ganz auf die Hallen und die jeweiligen Auflagen an. Wir würden am liebsten jede Venue mit Tonnen von Pyrotechnik in die Luft sprengen, aber wir dürfen natürlich nur mitnehmen, was uns vom Veranstalter erlaubt wird. In einigen Konzerthallen werden wir aber trotzdem groß auffahren können. Wir haben unsere Show in den letzten Wochen allgemein massiv verbessert. Vor allem im Bereich Licht haben wir einen großen Schritt nach vorne gemacht und viel investiert. Ob mit oder ohne Pyrotechnik – es wird gewaltig. Das kann ich versprechen.

Time For Metal / René W.:
Danke für deine Zeit, ich werde mir eure Show in Bremen ansehen und für unsere Leser berichten und bin schon jetzt aufs Set gespannt! Das letzte Wort gehört dir und kannst du ganz frei wählen.

Kanonenfieber / Noise:
Na dann, bis in Bremen, würde ich sagen! Das letzte Wort: Danke an den Leser, dass du dich durch mein Kauderwelsch durchgekämpft hast und es bis zum Ende geschafft hast. Von mir gibt’s wie meistens nur folgende Ansage: Geht auf Konzerte und unterstützt euren lokalen Underground. Wir haben alle mal klein angefangen – die Jungs und Mädels brauchen euch!