Künstler/In: Jo Quail, Kristof Hahn
Ort: Die Trompete, Viktoriastraße 45, 44787 Bochum
Datum: 28.11.2023
Kosten: 25,00 € AK
Genre: Avantgarde, Dark Ambient, Post Metal, Klassik
Besucher: ca. 90 Besucher
Veranstalter: Die Trompete, live-embassy GmbH
Link: https://die-trompete.de/event/jo-quail-kristof-hahn-swans-live/
Setlisten:
Jo Quail:
- White Salt Stag
- Rex
- No Name / New Piece
- Southern West Night
- Mandrel Cantus
- Maestoso
- Gold
- Adder Stone
- Forge
Kristof Hahn:
- Bochum Ouvertüre
- If There Is Nothing (Roxy Music Cover)
- Regenland (Les Hommes Sauvages Cover)
- Heartbreak Hotel (Elvis Cover)
- Dying On The Vine (John Cage Cover)
- Sad And Lonesome
Gerade 14 Tage sind es her, dass ich die umwerfende Cellistin Jo Quail in Trier im Mergener Hof bei einem atemberaubenden Konzert live erleben durfte. Das hat mich dann auch so geflasht, dass ich direkt beschlossen habe, in Bochum erneut live dabei zu sein, zumal Jo Quail mich in Trier noch dazu eingeladen hat.
Die Trompete in Bochum steht für mich in diesem Jahr für drei wirklich außergewöhnliche Konzerte. Nach Messa und Imperial Triumphant nun also wieder in Die Trompete nach Bochum. Da bietet sich natürlich die Übernachtung in der Jugendherberge direkt an.
Heute gibt es mit Kristof Hahn noch einen exquisiten Support. In Trier trat Jo Quail noch ohne Support auf und dort war es bestuhlt. Heute also mit Support und unbestuhlt. Die Anzahl mit unter 100 Besuchern bleibt wieder überschaubar. Wie ich im Nachhinein mitbekommen habe, haben einige Leute es wohl nicht gewusst, dass Jo Quail nach ihrem Auftritt mit Emma Ruth Rundle in der Christuskirche 2022 erneut in Bochum weilt. Da kann ich nur entgegnen: öfter mal in die Veranstaltungskalender schauen! Die, die hier anwesend sind, erleben allerdings einen extravaganten musikalischen Abend mit Kristof Hahn (der ebenfalls bereits im letzten Jahr in der Christuskirche hier in Bochum weilte) und Jo Quail.
Kristof Hahn eröffnet den heutigen Abend. Auf der Bühne steht seine Lap-Steel-Gitarre auf dem dazugehörigen Gestell. Er setzt sich dahinter, prüft die Funktion, auch die des Mikrofons. Das Mikro verweigert allerdings seinen Einsatz. Er bittet darum, den Ton am Mikro einzuschalten („für das erste Stück brauche ich allerdings auch kein Mikro“). Es braucht doch einige Zeit und den Wechsel des Mikrofons, bis es endlich funktioniert. Der Mann am Ton macht das allerdings unaufgeregt und sehr routiniert. Also kann es beginnen. Der erste Song ist quasi eine Hommage an Bochum und nennt sich Bochum Ouvertüre. Ein rein akustisches Stück, bei dem Kristof Hahn seine Hawaii-Gitarre (so der andere Name der Lap-Steel-Gitarre) regelrecht malträtiert. Auch ein Kamm muss einmal zum Saitenzupfen herhalten.
Das deutsche Mitglied der New Yorker Experimental Rockband Swans weiß hier heute Abend zu überzeugen und das auch mit ganz eigenen Interpretationen bekannter Songs. If There Is Nothing, der zweite Song der heutigen Setlist, ist ein Roxy Music Cover. Kristof lächelnd zum Publikum: „Der nächste Song ist ein Roxy Music Song. Es sind ja so viele junge Gesichter hier, ich weiß nicht, ob die Roxy Music überhaupt noch kennen. Der ist so einfach, es ist erstaunlich, wie viel man aus drei Tönen machen kann.“ Allerdings ist das Publikum so jung nicht, der alte Charmeur weiß, wie er seine Fans fängt! Der nächste Song ist ein Stück mit deutschem Text: Regenland… und es regnete im ganzen Land. Ebenfalls ein Cover, allerdings ein eigenes. Regenland ist im Original von Les Hommes Sauvages, seinem Berliner Herzensprojekt. Rock ’n‘ Roll Noir, eine Melange aus Film Noir Soundtrack, amerikanischem Urban-Western-Surf, deutscher Elektronik und europäischem Post-Punk, wie er selbst anmerkt.
Es folgt das wunderbare Heartbreak Hotel. So toll von Kristof Hahn performt, dass selbst Elvis Fans nicht unbedingt das Cover erkennen würden. Ein Song, der seine Liebe zum Rockabilly zeigt. Auch dazu hat er eine Anekdote: „Ich war zuletzt in Madrid … ich komm ja viel rum … beim Friseur. Der fragt mich, wie ich die Haare haben möchte. Ich sag so Rockabilly-mäßig, wie Elvis Presley. Wie wer, fragt er. Na ja, er ist ja auch erst um die 30 rum.“ Jetzt spielt er Heartbreak Hotel, um Elvis den Zuhörern nochmals ins Gedächtnis zu rufen.
Kristof Hahn versteht es, neben seiner Experimentellen / Art Rock angehauchten Musik, das Publikum vorzüglich zu unterhalten. Mit Dying On The Vine gibt es noch ein Tribut an Altmeister John Cage. Traurig und einsam bleibt Kristof Hahn heute hier zurück, nein Sad And Lonesome ist der letzte Song dieses großartigen Musikers am heutigen Abend. Schon jetzt ein Musikgenuss, den man nicht alle Tage hat.
Das setzt sich nun mit Jo Quail noch weiter fort. Bereits vor zwei Wochen in Trier konnte ich mich von der Wahnsinns-Cellistin berauschen lassen. Vor Trier kannte ich sie bereits von meinem Review zum Debütalbum von Arð – Take Up My Bones, auf dem sie das Cello spielt. Im selben Jahr (2022) durfte ich noch ein Review zu ihrem vorletzten Album The Cartographer (eine Auftragsarbeit für das Roadburn Festival) machen. Ganz frisch am 3. November erschienen ist ihr neues Album Invocation / Supplication.
Heute Abend also mein zweites Konzert mit ihr auf ihrer ersten Europa-Headliner-Solo-Tour. Bereits in Trier konnte ich mich überzeugen, dass Jo Quail nicht nur ihr Instrument, sondern auch innovative Looping-Techniken beherrscht, mit denen sie ihre Klangwelten für das Publikum realisiert. Heute, nicht wie in Trier sitzend, sondern die Fans stehen vorne an der Bühne ganz nahe bei ihr.
Jo Quail kommt auf die Bühne, lächelt und begrüßt ihr Publikum. Vor ihr das typische, avantgardistisch und apokalyptisch anmutende Cello, hinter dem sie steht und mit welchem sie nun den ersten Song White Salt Stag einstimmen wird. Ein paar Klopfer auf das Instrument, die dann geloopt werden und es beginnt die atemberaubende Show. Der Song vom Album Five Incantations entwickelt sich wunderbar. So war auch die Eröffnung im Keller im Mergner Hof in Trier vor zwei Wochen. Jo Quail sagt in den Songpausen meist was zu den Songs oder auch zu ihrer Looptechnik. Einfach faszinierend, wie eine einzelne Künstlerin mit dieser Technik solche Songlandschaften entstehen lassen kann. Es folgt Rex, ein Song ihres allerersten Albums From The Sea. Auf diesem heißt der Song noch Rex Infractus, dies ist Latein und bedeutet so viel wie der „gebrochene König“. Den hat sie allerdings mittlerweile nochmals neu arrangiert, sodass es nun ein Rex – Not Infractus ist. Damit haben wir von den Songs her bisher die gleiche Reihenfolge wie vor zwei Wochen.
Nun folgen allerdings Änderungen in der Reihenfolge der Songs. Nun ist der neue Song, der noch keinen Titel hat, dran. Der Künstlerin ist noch kein Name dazu eingefallen. Den Song hatte sie in Trier nach der Pause gespielt. Eine Pause gibt es heute allerdings nicht. Jo Quail: „This is a piece with no name….If you know a name, or you have an idea, please tell me!“ Nachdem sie den Song gespielt hat, ruft ihr ein junger Mann im Publikum seine Idee eines Titels zu. Allerdings ist sein Titel so komplex, dass sie meint, er solle ihn doch besser für sie aufschreiben.
Mit Southern West Night folgt ihre Hommage an Australien. Der gleiche junge Mann, der ihr eben den Titelvorschlag gemacht hat, fragt sie, ob sie Australierin sei. „Nein, ich bin Britin“, antwortet sie. Der mitreißende Song Mandrel Cantus ist nun an der Reihe. Irgendwie mittlerweile einer meiner Lieblingssongs von Jo Quail. Bei diesem Song bin ich ganz hin und weg.
Beim Song Maestoso vom neuen Album Invocation / Supplication kommt das „gewöhnliche Cello“, welches die ganze Zeit hinter ihr steht, zum Einsatz. Der Song Gold wurde wie der darauffolgende Song Adder Stone auch in Trier gespielt. Sie fragt danach, ob noch Zeit für einen weiteren Song sei. Ja klar, dafür ist noch alle Zeit der Welt. Es folgt mit Forge dann noch ein weiterer außergewöhnlicher Song, ursprünglich auf dem Album Exsolve zu finden. Joe Quail: „A peace oft he goddess in the sea.“
Damit geht hier in Bochum ein außergewöhnlicher und fantastischer Abend zu Ende. Da sind sich hier alle einig. Überschwänglicher und üppiger Applaus für die preisgekrönte Ausnahme-Cellistin, die auf der Bühne dann alles zusammenpackt und sogleich zu ihren Fans an den Merchstand kommt. Hier unterhalte ich mich nochmals mit ihr und teile ihr mit, dass ich meine Aussage in meiner Rezension zu Invocation / Supplication, sie sei eine „Avantgarde Witch“ in „Avantgarde Goddess“ ändern müsse. Ich habe noch ein paar Sachen dabei, die sie mir gerne signiert.
Ein toller Abend geht zu Ende, der sich für mich total gelohnt hat. Selten, dass ich einen Künstler / eine Künstlerin innerhalb so kurzer Zeit gleich zweimal sehe. Die beiden Konzerte (Trier und Bochum) zählen für mich zu den beeindruckendsten Konzerten in diesem Jahr.