Sleep Token – This Place Will Become Your Tomb

Magische Musik des britischen Kollektivs

Artist: Sleep Token

Herkunft: London, England

Album: This Place Will Become Your Tomb

Spiellänge: 52:06 Minuten

Genre: Alternative Metal, Progressive Rock, Progressive Metal, Ambient, Pop

Release: 24.09.2021

Label: Spinefarm Records

Link: https://www.facebook.com/sleeptoken/

Bandmitglieder:

Gesang – „Vessel“ (alle Bandmitglieder treten maskiert und anonym auf)

Tracklist:

  1. Atlantic
  2. Hypnosis
  3. Mine
  4. Like That
  5. The Love You Want
  6. Fall For Me
  7. Alkaline
  8. Distraction
  9. Descending
  10. Telomeres
  11. High Water
  12. Missing Limbs

Musik, die spätestens im Jahr 2021 alle Fans von progressiver, emotionaler und anspruchsvoller Musik auf dem Schirm haben sollten.

Sleep Token ist ein mysteriöses, britisches Bandkollektiv, welches den Titel Post-Metal absolut verdient. Einordnen kann man das Ganze zwischen Progressive Rock, Metal, Ambient und Pop. Die Hintergrundgeschichte der Band beruht auf der Anbetung einer antiken Gottheit mit Namen Sleep. Der Rest der Band bis auf den Sänger, der sich selbst als Vessel bezeichnet, sind namen- und identitätslos. Die Band gibt keine Interviews und versteht sich als Medium (Vessel) zwischen den Irdischen und der schlafenden Gottheit.

Auf allen Bildern, Videos und Konzerten tragen die Mitglieder Masken und lange dunkle Umhänge. Auf dem Euroblast Festival 2019 begeisterte die Band durch eine energische, emotionale Performance und ließ ein sehr beeindrucktes Publikum zurück.

Nach dem ersten Album Sundowning (2019) erschien am 24.09.2021 die neue Platte This Place Will Become Your Tomb. Dabei werden die Themen Wasser, Meer und Liebe sowohl musikalisch als auch textlich und visuell sehr kunstvoll umgesetzt.

In diesem Artikel erzählen euch unsere beiden Redaktionsmitglieder Florian W. und Martha W. ihre Gedanken zu den zwölf Songs des Albums.

Atlantic

Martha W.: Das Album beginnt mit dem Song Atlantic, welcher mich direkt an Filmmusik zu einem mittelmäßig traurigen und nostalgischen Film erinnert. Das seichte Klavier lullt mich ein und der Gesang zieht mich in einen tiefen Ort in mir selbst und ich lausche aufmerksam, was Sänger Vessel zu erzählen hat. Nach zwei Strophen abstrakter Metaphern verändert sich die Stimmung und lässt mich kurz innehalten. Synthies rauschen wie der Wind auf dem Meer, Chor setzt ein und nach Minute drei setzt endlich die für Sleep Token typisch djentige Gitarrenfront ein, die einen komplett wegfegt. Der Gesang setzt wieder ein und verbindet die erste Strophe mit dem Djentpart. Zum Ende wird der Anfang mit dem Text “Don’t wake me” wiederholt.

Was der Song mir genau sagen soll? Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es Teil der Intention, die Hörenden mit viel Spielraum für Interpretationen mit sich selbst alleine zu lassen. Zwischen Leben und Sterben, Reflexion der Vergangenheit und Antizipation der Zukunft reißt mich dieser Song direkt am Anfang der Platte emotional so mit, dass ich zwischen Trauer, Freude und Nostalgie irgendwo verloren in mir selber rumstehe und nicht weiß, wohin mit mir. Gut, dass der nächste Song gleich weitermacht.

Florian W.: Als mich die liebe Kollegin Martha fragte, ob wir zusammen ein Review zur neuen Sleep Token schreiben wollen, wusste ich noch gar nicht, auf was ich mich einlasse. Mir waren bis dato nur vereinzelte Singles der Band wie das grandiose The Offering bekannt. Welcher Mythos Sleep Token in Wahrheit ist, erschließt sich mir erst nach und nach. Das vorliegende Album läuft bei mir seit Tagen und wird wohl noch einige Durchläufe brauchen, um alles zu erfassen.

Der Opener Atlantic trifft mich mit seinen getragenen Klängen und dem Klavier-Intro jedes Mal in einem Moment der Zerbrechlichkeit. Dann diese eindringliche Stimme des Sängers oder Wesens namens Vessel. Sehnsucht nach etwas Unbekanntem, so würde ich diese musikalische Reise umschreiben. Dieser selbstverständliche Übergang von fragilen zu zerstörerischen Parts liegt Sleep Token scheinbar im Blut. Das Album als Leinwand für abstrakte Kunst, die trotzdem nicht nur Musikgenies vorbehalten ist.

Hypnosis

Martha W.: Nachdem wir beim ersten Song des Albums relativ lange auf den Gitarreneinsatz warten mussten, legen Sleep Token relativ zügig nach kurzer Introphase mit dem wohl härtesten Song der Platte los. Ebenfalls typisch ist wieder die eine Melodie, die sich in verschiedenen Gewandungen durch den ganzen Song zieht. Auch als der Gesang einsetzt und die Musik in den Hintergrund tritt, bleibt die Melodie die ganze Zeit da. Textlich tritt das Lyrische Ich im Rahmen einer Hypnose aus seinem Körper und ist einem Antagonisten ausgeliefert. Besonders gefallen mir die Koloraturen für den Text “You know you hypnotise me”, während ein Chor und mehrere Stimmen der Mainvocals scheinbar durcheinanderwuseln. Auch hier müssen wir nicht auf den Djentpart verzichten und es gibt sogar ein paar Shouts. Schließlich schleicht sich besagte Melodie wieder unter die Gitarren und das längere Outro plätschert dahin.

Florian W.: Hypnosis liefert etwas mehr „Bums“ für einen alten Metalhead. Wie sagtest du neulich so schön, Martha: „Der Drummer ist schon der Shit.“ Das wird in diesem Song mehr als deutlich. Diese Beats sind nicht von dieser Welt. Dank deiner Aussage und meinem Kumpel, der ebenfalls Drums spielt, fühle ich mich immer mehr genötigt, den Schlagzeuger in den Fokus meines Hörerlebnisses zu stellen. Passend zum Titel wirken die Gesangsmelodien wirklich hypnotisierend. Für alle Freunde der tiefen Frequenzen gibt es ab Minute 4:20 gar einen waschechten „Brbr Deng“ Part zu bestaunen. Mein erster Highlight-Song der Platte.

Mine

Martha W.: Mit Mine geht es stimmungstechnisch wieder etwas bergauf mit dem Text “You will be mine”. Auf den Dreivierteltakt sehe ich mich in den Sonnenuntergang langsamen Walzer mit meinem Herzensmenschen tanzen. Falls jemand mal einen progressiven Heiratsantragssoundtrack braucht: Dieser Song ist für euch! Die perfekte Mischung aus Ruhe, deftigen Headbang-Sounds und Romantik, ohne dabei cheesy zu sein.

Florian W.: Romantischer Prog Metal? Ganz was Neues. Witterst du etwa eine Geschäftsidee? Bisher dachte ich, das Proggies immer die nerdigen Außenseiter ohne Partner sind. Wenn Musik schon Pop-Appeal haben muss, dann bitte so. Diese von Synthies unterlegten Momente haben auf jeden Fall etwas Erhabenes an sich. Zwischen Minute drei und vier darf auch mein Freund, der namenlose Drummer, wieder zeigen, was er auf den Kesseln hat – großartig.

Like That

Martha W.: Neben Atlantic ist Like That mein zweiter Favorit auf der Platte. Der Grund? Der Song ist sexy! Das liegt neben der allgemeinen Stimmung des Songs bestimmt auch an den fancy Basslines. Auch wenn Vessel im Text immer wieder fragt “Do you like that?”, ist meine Antwort definitiv Ja! Hier tritt auch wieder die bei Sleep Token großartige Drum-Virtuosität in den Vordergrund. Es gibt also mehr als genug Gründe den Song zu feiern.

Florian W.: Mit fancy Basslines bist du bei mir an der richtigen Adresse, denn auch ich habe ein Herz für Bassisten. Was mich bei Like That in erster Linie abholt, ist die Passage gegen Ende des Songs, wo der pumpende Bass wie Donnergrollen zwischen den unfassbaren Drums niederschlägt.

The Love You Want

Martha W.: Die nächsten drei Songs wurden im Vorfeld bereits als Single veröffentlicht und stehen bei mir immer noch hoch im Kurs. Der Song handelt im Groben von großer Anziehung zwischen zwei Wesen und deren Hindernissen, von Aufopferung und Leidenschaft. Bei den ganzen Metaphern muss ich spätestens bei der Textzeile, dass zu viele geschluckte Schlüssel innere Blutungen verursachen können, auch mal schmunzeln, denn Recht hat der Mann! Wobei The Love You Want eine etwas hüpfende Anfangsmelodie hat, die mich beim ersten Hören etwas irritiert, dann jedoch bei ihrem Aussetzen für den ersten Refrain einen umso größeren Effekt durch ihre Abwesenheit erzielt. Zudem erzeugt der Reverb auf den zweiten Mainvocals ein spannend großes Raumgefühl.

Florian W.: Die hüpfende Melodie, wie du sie nennst, fand ich beim ersten Hören gleich faszinierend, denn sie erzeugt einen „muss ich wieder hören“ Effekt. Da stört mich eher die übertrieben starke Phrasierung bei den Vocals zu Beginn. Der folgende Wechsel zwischen Synthie und Klavier ist wundervoll umgesetzt. Moderner Rock der feinsten Sorte.

Fall For Me

Martha W.: Fall For Me ist für mich quasi ein Statement Interlude zum Unterstreichen der gesamten Thematik. Auch wenn der Song gut auf die Platte passt, kann ich mich mit dem Autotune auf den Vocals auch nach mehrmaligem Hören nicht wirklich anfreunden.

Florian W.: Fall For Me war meine erste Berührung mit dem neuen Material von Sleep Token, da die Nummer als News auf meinem Tisch landete. Nach diesen zweieinhalb Minuten befürchtete ich das Schlimmste. Ein Dance-Pop-Album aus der generischen Computerabteilung. Gut, dass die Band nicht zu dieser Fraktion gehört und lediglich versucht, den lyrischen roten Faden zu spinnen.

Alkaline

Martha W.: Wenn ich raten müsste, würde ich darauf tippen, dass Alkaline die meisten Assonanzen und Reime im Songtext hat, was den Song für mich lyrisch noch mal extra herausstellt. Der Song handelt von Gegensätzen, von Säure und Lauge, Tag und Nacht, die sich trotzdem an- und in ihren Bann ziehen. Dabei lässt einen die Stimmung des Songs diese Spannungen richtig spüren.

Florian W.: Du gibst die Steilvorlage, denn die Atmosphäre ist in meinem nächsten Highlight auf This Place Will Become Your Tomb der wichtigste Faktor. Wenn sich verträumte Melodien und tonnenschwere Gitarren die Waage halten, sind Sleep Token für meinen Geschmack am stärksten.

Distraction

Martha W.: Der Anfang von Distraction lebt vom Kontrast zwischen rhythmischem Klavier im Sechzehnteltakt und langgezogenen Vocals. Das ist in der Tat „distracting“ und mal wieder passt die Musik zum Inhalt des Songs. Der Beat erinnert mich hier an japanische Taiko-Drums, was dem Ganzen noch mal eine besondere Note gibt.

Florian W.: Der seichte Song tröpfelt mir etwas zu sehr vor sich hin, ohne einen Gegenspieler ins Rennen zu schicken. Das Ende mit der repetitiven Zeile „It’s too late for me“ und den erneut genialen Drumpatterns reißt das Ruder noch mal herum.

Descending

Martha W.: Diesen Song könnte man gefühlt auch in einem Club mit Pop- und R’n’B Musik laufen lassen und es würde nicht groß irritieren. Wieder ein ruhiger Anfang und sehr beatlastig. Da bewegt sich die Hüfte quasi automatisch von rechts nach links. Ich vermisse trotzdem etwas Gitarren.

Florian W.: Tja, was soll ich zu diesem Titel sagen. Laut meinen Notizen ist lediglich das scheppernde Ende gelungen. Die dunkle Färbung der Drums passt gerade gut zum grauen Wolkenvorhang vor meinem Fenster. Du sagst es, keine Gitarren, keine Party.

Telomeres

Martha W.: Endlich wieder seichtes Klavier mit Gesangsuntermalung. Der Anfang des Songs hat etwas Auflösendes, bevor es mit dem Gesang wieder konzentriert wird. Endlich setzten auch wieder Gitarren ein und ich kann headbangen.

Florian W.: Nach diesem kleinen Knick in der Formkurve wird es Zeit für meinen nächsten Anspieltipp. Die viel zitierte perfekte Mischung wurde in den gut fünf Minuten gekonnt verpackt – mit Schleife drum. Das Klavierintro nebst Gesang versprüht einige Deftones-Vibes. Verträumte Härte mischt sich im Verlauf des Songs dazu und es wird sogar ein authentisches Blues-Solo (!) serviert. Sleep Token können zu jeder Zeit überraschen.

High Water

Martha W.: Mit High Waters haben wir meinen letzten Favoritensong im Rennen. Nachdem es im Verlaufe des Albums ganz gut für die zwei Menschen aussah, suggerieren die Lyrics und der Songaufbau in High Water allerdings eine tragische Wendung, die mich emotional mit in den Abgrund des Meeres zieht. Der Song hätte für meinen Geschmack auch der Letzte des Albums sein können, am Ende die Katastrophe. Allerdings kommt noch ein Song.

Florian W.: Die Gesangsmelodien sind mir zunächst etwas zu anstrengend. Der Songaufbau steigert sich allerdings so wirksam, dass ich dir nur zustimmen kann: High Water, zack, aus – alle sterben. Vessels verzweifelte Schreie und die zunehmende Härte haben etwas Endgültiges.

Missing Limbs

Martha W.: In Missing Limbs verabschiedet uns ein ruhiger Song mit Gitarren und Klavierbegleitung, der auffällig simpel daherzukommen scheint und an irgendwas zwischen Johnny Cash und Cat Stevens mit Klavier erinnert.

Und was jetzt? Direkt wieder von vorne anfangen und hören, was man beim ersten Mal alles verpasst hat zu entdecken.

Florian W.: Eine Ballade zum Abschluss zählt für mich selten zur richtigen Wahl. Im Gegensatz zu den zuletzt rezensierten Alben holt die Band jedoch alles aus dieser Singer-Songwriter Nummer heraus. Danke, liebe Martha, dass du mich in das Universum von Sleep Token entführt hast.

Sleep Token – This Place Will Become Your Tomb
Fazit
Martha W.:
Sleep Token machen für mich magische Musik. Das liegt nicht nur am psychologisch ausgefeilten Songwriting und der großen Emotionalität der Songs, sondern auch an dem Genremix und der Verweigerung, sich in eine Schublade stecken zu lassen. Besonders bin ich immer wieder verblüfft, wie diese Band die Momente zwischen der Musik mit so viel Atmosphäre füllen kann. Seien es die nicht weggeschnittenen, sondern taktisch eingesetzten Atemgeräusche von Sänger Vessel, der häufige Teppich aus Synthies oder das total anspruchsvolle und teilweise unscheinbare Drumming.

Alles in Allem hat die Band mit This Place Will Become Your Tomb genau das gemacht, was viele Fans glücklich macht: Es klingt absolut nach Sleep Token und entwickelt sich genau da weiter, wo der Vorgänger Sundowning aufgehört hat. Für mich jetzt schon in den Top 5 für 2021!

Anspieltipps - Martha W.: Atlantic, Like That, Alkaline, The Love You Want und High Water

Florian W.:
Sleep Token machen Musik, für die sich stunden- oder tagelange Aufmerksamkeit lohnt. Völlig vorbei an der kurzen Aufmerksamkeitsspanne der Generation YouTube. Musik für Menschen, die einfach etwas mehr Detailverliebtheit in ihrem Sound mögen. Zugegeben, etwas mehr „auf die Fresse“ hätte es für mich schon sein dürfen. Da ich This Place Will Become Your Tomb seit Tagen ohne die geringste Abnutzungserscheinung hören kann, stelle ich jedoch keine weiteren Kritikpunkte auf dem neuesten Werk der Briten fest. Mit Untermalung einer geschickt inszenierten Lichtshow auf einem Konzert stelle ich mir die Band noch besser vor.

Anspieltipps - Florian W.: Hypnosis, Alkaline und Telomeres
Florian W.
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