Artist: Igorrr
Herkunft: Frankreich
Album: Spirituality And Distortion
Spiellänge: 55:38 Minuten
Genre: Avantgarde Metal, Experimental Metal
Release: 27.03.2020
Label: Metal Blade Records
Link: https://www.facebook.com/IgorrrBarrroque/
Bandmitglieder:
Alle Instrumente – Gautier Serre
Alle weiteren Beteiligten findet Ihr unten im Review.
Tracklist:
- Downgrade Desert
- Nervous Waltz
- Very Noise
- Hollow Tree
- Camel Dancefloor
- Parpaing
- Musette Maximum
- Himalaya Massive Ritual
- Lost In Introspection
- Overweight Poesy
- Paranoid Bulldozer Italiano
- Barocco Satani
- Polyphonic Rust
- Kung-Fu Chèvre
Da ich neben dem doch mittlerweile ziemlich durchorganisierten – nicht negativ gemeint – Modern Metal auch gern mal die „etwas“ ungewöhnlicheren Klänge höre, wurde mir irgendwann einmal aus meinem Bekanntenkreis ans Herz gelegt, mir mal Songs von Igorrr anzuhören. Das habe ich getan, aber ein ganzes Album habe ich von diesem Klangkünstler bislang tatsächlich noch nicht geschafft. Das soll sich nun ändern. Am 27.03.2020 erscheint über Metal Blade Records das neue Album Spirituality And Distortion, und nachdem ich bereits zu zwei Songs die Videos gesehen habe, war ich so mutig, mir das Teil zum Review zu greifen. Das Album ist, nach zwei Demos aus 2006 und 2008, das fünfte Album in der Diskografie von Igorrr, die sich im Laufe der Jahre von einer „One-Man-Show“ zu einer Art Kollektiv entwickelt haben.
Der Pressetext liest sich ziemlich unaufgeregt und kann demzufolge auch nicht ansatzweise das beschreiben, was mir an Klangcollagen aus den Boxen entgegenschleudert. Aber das Statement von Gautier Serre lässt schon ansatzweise erahnen, wo die Reise wieder mal hingeht: „Sich nur in einer einzigen Emotion zu verstricken, ist für mich sehr langweilig; das Leben ist eine große Bandbreite an Emotionen – manchmal ist man glücklich, manchmal traurig, wütend, sauer, nostalgisch oder wie weggeblasen. Das Leben ist nicht nur eine Farbe. Diese 14 Tracks sind eine Reise durch verschiedene Geisteszustände, die ich durchlebt habe.“ Nach dem ersten Durchlauf kann ich das Wort „Geisteszustände“ umso besser verstehen, denn das Album wirkt tatsächlich wie eine halluzinogene Droge.
Ganz besonders hat Gautier auch darauf hingewiesen, welche Sänger/innen auf dem Album zu hören sind, wie viele traditionelle Instrumente gespielt wurden und welche Musiker/innen dafür ins Studio kamen. Die Liste ist ziemlich lang, die Namen sollen aber natürlich nicht unerwähnt bleiben: Geigerin Timba Harris, Bassist Mike Leon, Pianist Matt Lebofsky, Oud-Spieler Mehdi Haddab, Akkordeonspieler Pierre Mussi, Kanoun-Spieler Fotini Kokkala, Cembalist Benjamin Bardiaux, Sängerin Laure Le Prunenec, Sänger Laurent Lunoir, Sänger Pierre Lacasa und Sängerin Jasmine Barra. George ‚Corpsegrinder‘ Fisher von Cannibal Corpse ist in Parpaing zu hören.
Auf YouTube gibt es übrigens ein Video von Metal Injection, in dem die fünf skurrilsten „Instrumente“, die jemals bei Igorrr zum Einsatz kamen, vorgestellt werden. Unbedingt sehenswert!
So, jetzt habe ich schon ziemlich viel geschrieben, bevor ich überhaupt zu dem komme, was auf Spirituality And Distortion zu hören ist. Und tatsächlich waren die einleitenden Sätze viel leichter zu schreiben, als die folgenden es jetzt werden.
Beim ersten Hören war es mir schon aufgefallen; bei vielen Songs auf diesem Album ist der Name Programm. Das geht beim ersten Track Downgrade Desert los, der von einem orientalisch klingenden Saiteninstrument und dem dazu passenden Gesang eingeleitet wird. In meinem Kopfkino entsteht sofort das Bild einer Oase inmitten der sich unendlich ausdehnenden Wüste. Für Igorrr-Verhältnisse ist dieser Song noch relativ „harmlos“ 😀 Auch der Nervous Waltz macht seinem Namen alle Ehre. Der Wechsel zwischen Walzerklängen und Blastbeatattacken sowie die Reminiszenzen an die „gute alte“ Atari-Zeit mit ihren 8-bit-Klängen ergeben zusammen eine großartige Soundcollage. Nachdem es mit Very Noise und Camel Dancefloor ordentlich Dubstep auf die Ohren gab, erweist uns George ‚Corpsegrinder‘ Fisher von Cannibal Corpse bei Parpaing die Ehre, seinen Death Metal Growls zu lauschen. Die dann noch mit den auf dem Album immer wieder auftauchenden 8-bit-Klängen zu kombinieren, ist mal wieder so ein wahnwitziger Einfall, der aber tatsächlich sehr gut funktioniert.
Ohne irgendjemandem zu nahe treten zu wollen, habe ich bei Musette Maximum dann „abgedrehte bayerische Volksmusik mit Akkordeon“ auf meinem Zettel stehen, während Himalaya Massive Ritual dann tatsächlich in die Welt der dort in ihren Klöstern lebenden Mönche entführen kann. Manche Riffs erinnern mich hier ein wenig an die, die Tom Englund bei Evergrey so unnachahmlich darbietet. Bei Lost In Introspection finde ich mich tatsächlich schunkelnderweise vor den Boxen stehend wieder, und bin bei Overweight Poesie froh, dass der dazu passende Gesang dann irgendwann in Screams umschlägt.
Bei Paranoid Bulldozer Italiano hat jedes einzelne Wort seine Berechtigung. Der wieder mal sehr geile Dubstep in Kombination mit Metal UND den barocken Klängen UND dem weiblichen Operngesang haut mich tatsächlich wie ein Bulldozer aus den Socken. Der Teufel höchstpersönlich hätte wahrscheinlich auch seine Freude an dem krassen Mix in Barocco Satani, das man wohl beschreiben kann mit „Barock meets Female Opera Voice meets Big Choir meets Extreme Metal“.
Noch einmal vollkommen abgedreht geht es mit dem letzten Track Kung-Fu Chèvre zu, französische Folklore meets Russkaja trifft es wohl ganz gut. Chèvre ist im Deutschen übrigens eine Ziege, und ich muss natürlich noch einmal laut auflachen, als mittendrin sogar ganz kurz aber deutlich ein „Mäh“ zu vernehmen ist 😀