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Swans + Jessica Moss am 06.11.2025 im Trabendo, Paris

Spiritualität im Experiment, oder: Wie macht man ein Live-Album?

Eventname: Swans Europe/UK Tour 2025

Headliner: Swans

Special Guest: Jessica Moss

Ort: Le Trabendo, Paris, Frankreich

Datum: 06.11.2025

Ticketpreis: 37,78 € VVK

Genre: Post Rock, Experimental Rock, Noise Rock

Besuchende: ca. 900

Veranstaltung von: Persona Grata und Swamp Booking

Link: Swans im Pariser Trabendo – Facebook

Setliste Swans:

  1. The End Of Forgetting
  2. The Merge
  3. Paradise Is Mine
  4. Little Mind
  5. A Little God In My Hands
  6. Newly Sentient Being

Swans Europe/UK Tour 2025 with Special Guest Jessica Moss

Stille, Explosion und alle erdenklichen Vibrationen dazwischen: An diesem Donnerstagabend kribbelte es auf allen Frequenzen und bis in die hinterste Ecke des kleinen, aber feinen Pariser Trabendo.
Bereits am Eingang hat das Publikum die Vibes dabei und wartet unter herbstfarbenem Gestrüpp zwischen Philharmonie und Zénith mit der Geduld kleiner Kinder kurz vor Weihnachten auf die ersten Vorwärtsbewegungen der Leute, die früh genug da waren, um die lange Schlange anzuführen.

Dieser Abend ist ausverkauft – er wird groß! Schnell füllt sich der Saal vor der doch leider recht beengten Bühne. Das Publikum ist musikerfahren, unabhängig von den sehr gemischten Altersgruppen. Auf die Frage „Was ist dein Lieblingsalbum von Swans?“ kommt die Antwort „Das kommt drauf an…“. Enthusiastisch und völlig ohne diese berühmte Prätention, mit der Fans von weirdem Post-/Noise-Rock schon mal negativ auffallen können, unterhält man sich weiter, bis es losgeht.

Jessica Moss – Zeit existiert nicht

Jessica Moss tritt auf ihren persönlichen roten Teppich, auf dem kleine Leuchtanzeigen und Lichterketten dezente Stimmung zaubern.
Ihre kurze Einleitung beschließt die Violinistin mit dem bedeutenden Satz, den ohrenscheinlich niemand im Raum unbeklatscht lässt: „No one is free until all are free.“ Die beiden gleichnamigen Stücke leben im Unbewussten, mit ihren langen, dissonanten Tönen und der traurigen Wahrheit in den Vocals.

Jessica Moss, Paris 2025 | Foto: Eva Beck

Danach könnte man eine Stecknadel fallen hören: Die Gespanntheit der Menge und die Spannung in der Musik treffen sich auf demselben Level.
Mit ihrem Hauptinstrument baut Moss die Post-Rock-Experimente aus ihrem im Oktober erschienenen Album Unfolding live nach. Fachfraulich werkelt sie an Pedals und dreht an Reglern, fängt Klänge ein, teilt sie auf, führt sie zusammen und lässt sie im Saal wieder frei. In Zwischentönen und der Stille zwischen den Noten lässt Moss uns unsere persönlichen Zeilen lesen und unsere Gedanken eigene Wege finden. Mit Glocken leuchten kleine Geheimnisse auf, dunkle Sounds erheben und senken sich, als würde das Universum atmen. Wenn Moss ihre Stimme beimischt, kommt ihr verzerrter Klang aus einer anderen Welt bei uns an. Alle Augen folgen der Musikerin, wenn sie mit ihrer Geige von einer Seite der Bühne zur anderen wandert. Das Publikum ist wie gebannt, wenn das Instrument erzittert, die Spannung sachte steigt und die Musik in dröhnendes Nichts entschwindet.
Zeit hat bereits jetzt keine Bedeutung mehr, denn sie existiert hier nicht. Wie eine Zauberin führt uns Jessica Moss auf diese kleine Insel inmitten eines wahnwitzigen Kosmos, wo wir für den Rest des Abends auch bleiben.

Swans – Koryphaios

Erwartungen entladen sich in Beifall, als Swans die Bühne betreten. Bevor sie beginnen, bittet Bandleader Michael Gira darum, keine Aufnahmen zu machen. Ich bin mit Kamera in der Hand und Pressepass auf der Brust zwischen Vorfreude und Schuldgefühlen hin- und hergerissen, doch mit einem kurzen registrierenden Blick, gefolgt von keinem einzigen Wimpernzucken, segnet Gira meine Präsenz ab. Ansonsten gehorcht die Menge größtenteils, ob aus Angst vor dem Bösen Blick, Respekt, oder der eigenen Sehnsucht nach Immersion heraus, das müsste man die Leute fragen. In jedem Fall sind alle ab dem ersten Ton mit Geist und Seele anwesend.

Swans, Paris 2025 | Foto: Eva Beck

Nur die Hälfte der Songs stammt von Studioalben, vom aktuellen Release Birthing hat The Merge seinen Platz erhalten. Der Rest der Setlist besteht aus langen Kompositionen für den Livemoment und aus ihm heraus – ein Live-Album dieser Tour ist in Arbeit! Die Band erweitert die Stücke gemeinsam vor unseren Augen und lässt sie neu wachsen, immer unter den wachsamen Ohren Giras und dirigiert von dessen willensstarken Gesten. Mit seinen Noten vor sich und Klangvisionen im Kopf bestimmt er Einsätze, Dauer und Crescendi bis hin zu kleinen Tonnuancierungen. Ohne eine solch brillante und aufmerksame Band hinter sich, würde hier allerdings nichts gelingen: Alle haben den Orchesterchef im Blick, warten auf seine Zeichen und wissen exakt, was zu tun ist, wenn sich auch nur ein Finger hebt. So spielt Gira oft mit dem Rücken zum Publikum, doch in der Swans’schen Liveerfahrung steht ohnehin der Sound im Mittelpunkt. Dieser ist vielschichtig und fein, noisig, groß und lupenrein! Welten entstehen, verändern sich und uns mit ihnen.

Bei allem Fokus und Finetuning ist es eine ebensogroße Wonne, die Band in befreiteren Momenten zu erleben: Gira tanzt, als ob ihm niemand zusieht, im Gesicht von Bassistin/Lap-Steel-Gitarristin Dana Schechter ist leicht zu lesen, wie sehr sie mit ihren Instrumenten verschmilzt, Bassist Christopher Pravdica ist in seinem Genuss extrovertierter und freut sich sichtbar auf jeden neuen Energieschub. In den seltenen Augenblicken, in denen Kristof Hahn die Miene verzieht, ist diese der Spiegel der Intensität, die wir alle spüren, und wenn Larry Mullins von seinem Mellotron aufschaut, lächelt er verschmitzt und zufrieden.

Swans, Paris 2025 | Foto: Eva Beck

In seiner Ansage der Mitmusizierenden zeigt Gira seinen Hang zu verquerem Humor und eigenwilliger Poesie: Schechter ist die “giant woman” in der Band, die „junge Frau“ hinter den Drums (Phil Puleo) ist zufälligerweise auch Giras Mutter, neben ihm steht seine „Schwester“ Pravdica am Bass und natürlich muss auch Norman Westberg als „future president of the world“ Erwähnung finden.

Lacher und Applaus sind auf einem Konzert nun wirklich keine Störfaktoren, sodass die Band den Fluss der Musik mit Leichtigkeit wieder aufnimmt. Verträumte Keyboards malen den Hintergrund für Giras warme Stimme, bluesige Rhythmen entzünden das Tanzfeuer in der Menge, und in der Dichte an Soundschichten führt man uns zur Ursuppe der Kreativität der Band zurück. Lange bleiben die Stücke in der Bewegung ihrer Höhepunkte und halten uns in der Schwebe der Atmosphäre – wir haben Zeit, uns gehenzulassen und Emotionen zu entfalten. Dieses gesamte Erlebnis hat etwas Hochspirituelles! Den Zenit erreichen wir inmitten von Newly Sentient Being: Wenn sich Gira mit geschlossenen Augen und in die Höhe gerissenen Armen immer und immer wieder vor dem Saal verbeugt, wirkt seine Anziehung so stark, dass die hypnotisierte Menge es ihm nur gleichtun kann. In spirituellen Wogen verneigen sich Kunstschöpfer und Anhängerschaft voreinander, und für ein paar glorios ewige Minuten sind wir alle eins in der Musik.

Swans, Paris 2025 | Foto: Eva Beck

Nach über zwei Stunden ohne Pause rufen Giras Hände die Band ein letztes Mal zusammen, um alle Energie zu ballen. Menschen bewegen sich selbstverloren und scheinen sich noch nie so gefunden zu haben. Mit ihrem gewaltigen Sound treiben uns Swans in die Nacht und die Weiten des Universums hinaus.

Diese Eindrücke werden noch lange in Körper und Geist derjenigen nachvibrieren, die sie live sahen und die nächsten Tage noch sehen werden. Sollte dies wirklich die letzte Tour von Giras Projekt gewesen sein, werde ich diese Erinnerung wie eine funkelnde Goldmünze im Wunschbrunnen meines Geistes umso mehr zu schätzen wissen. Swans gehören nach Jahrzehnten der Legendenbildung noch immer und für immer zu den großen Vorbildern der Musikinnovation!