Artist: Heriot
Herkunft: Swindon, Vereinigtes Königreich
Album: Devoured By The Mouth Of Hell
Spiellänge: 34:03 Minuten
Genre: Metalcore, Industrial, Doom, Progressive
Release: 27.09.2024
Label: Century Media Records
Link: https://www.instagram.com/heriotmetal/
Bandmitglieder:
Vocals & Bass – Jake Packer
Vocals & Gitarre – Debbie Gough
Gitarre – Erhan Alman
Schlagzeug – Julian Gage
Tracklist:
- Foul Void
- Harm Sequence
- Opaline
- Siege Lord
- Sentenced To The Blade
- Solvent Gaze
- Lashed
- At The Fortress Gate
- Visage
- Mourn
Seit ein paar Jahren geht kein Raunen mehr durch die britische Metalszene. Es sind Standing Ovations für eine der heaviesten neuen Bands des UK. Dass es Heriot in die lobpreisenden Zeilen von Metal Hammer, Kerrang!, NME und auf Mark Mortons X-Account gebracht haben, und das ohne eine einzige LP am Merch-Stand oder sonst wo, haben sie sich deswegen nicht minder verdient.
Dabei wäre die Band fast im Erdboden der Alltäglichkeiten des Lebens verschwunden. Nachdem die ehemaligen Schulkameraden Julian Gage, Jake Packer und Erhan Alman mit zwei selbst veröffentlichten EPs und etlichen Gigs durchaus Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten, stellten sich Uni und Arbeitsleben zwischen sie und weitere Musik. Drei Jahre lang. Mit der Aufnahme von Debbie Gough schlug 2019 dann das Motivationsbarometer aus und die Band neue Töne an: Auf der bisher eher doomigen Stilbasis experimentierten sie während der Pandemie mit Elementen aus Industrial, Death, Noise und Hardcore, die ersten beiden Singles landeten ihnen innerhalb weniger Monate einen Vertrag beim Underground-Label Church Road Records. Nach der Veröffentlichung ihrer EP Profound Morality (2022) kamen Heriot vor lauter Festivalauftritten auf u.a. Bloodstock, Download und Wacken, sowie Tourneen mit Bands wie Rolo Tomassi, Architects und Lamb Of God nur selten zum Schreiben eines längeren Follow-Ups. Das tat dem Schreibprozess während 2023 letztlich sogar gut, denn was ist für eine derart talentierte Liveband ein besserer Vibe-Check als Publikumsreaktionen auf unveröffentlichte Songs, um sich weitere Inspiration zu holen?
Ein Jahr voller Shows, Songwriting, Demos, Labelwechsel zu Century Media Records und finaler Aufnahmen später, wiegen die Erwartungen so schwer wie nie.
Und selten hat eine junge Metalband diesen ein derartig massives Debütalbum entgegengeschlagen wie Heriot!
Der gespenstische Tunnel von Foul Void führt ohne Umwege hinein ins Brachiale. Gitarren singen wie ein ächzendes Tor, das sich zur Unterwelt des Bewusstseins öffnet, trampeln alles nieder oder surren wie eine Bienenschwarmplage direkt entsandt aus dem Black Metal. Goughs Klargesang birgt ein Geheimnis, das ihre Screams einem ins Gesicht spucken, Packer speit aus seiner Kehle den schwarzen Tod.
Siege Lord ist mit seiner ungefilterten Aggression einer der fettesten Banger überhaupt, und das nicht nur auf dieser Scheibe oder von dieser Band. Wenn ich nicht mehr mitnicke, sondern nur noch den Kopf schüttle, ist das bereits ein gutes Zeichen, aber diese Brutalität treibt mir meine eigenen Fingernägel ins Gesicht, bevor der Breakdown mit seinem fiesen Groove sein Übriges tut. Der Puls des Songs wird mit seiner Komplexität zudem vor allem an Bass und Schlagzeug vergebene Herzen schneller wummern lassen!
Überhaupt sind die hochtechnischen Abschnitte in diesen beiden Songs wie auch in Mourn große Highlights und ziehen die Aufmerksamkeit auf die virtuose Drumarbeit von Julian Gage. Die Präzision seiner Schläge und Kreativität in seinen Fills sind Zeugnisse harter Arbeit am Album sowie spürbarer Hingabe, was umso mehr zu betonen ist, wenn man bedenkt, dass er die Sticks zwischen Windstille um die Band und Pandemiebeginn fast für immer niedergelegt hätte. Was für ein Talent wäre hier verloren gegangen!
Im Prog von Mourn liegt dazu noch ein Groove in Form von Gewehrschüssen an Gitarrenriffs und einem wunderbar anschmiegsamen Bassspiel. Über unerwartete, doch absolut glatte Übergänge hinweg lässt es sich leicht wie im Rausch mit den Gitarren mitrennen, bis man ein letztes Mal von ihnen umgenietet wird.
In der Disziplin Grooviness geht aber At The Fortress Gate in einer Vielzahl an Tempi als klarer Sieger hervor und hat bereits auf diversen Festivals im Liveset und Moshpit von Heriot seine Wirkung entfaltet. Diese Eingängigkeit reißt auch in den „langsameren“ Momenten nicht weniger mit; von der sludgig-zähen Energie des Breakdown mit seinen stampfenden und stöhnenden Riffs kann man genüsslich zehren (über eine Minute lang!), ohne eine Sekunde lang genug zu haben. Dazu rennt das Schlagzeug um einen herum und verdreht einem den Kopf in alle Richtungen, während die Gitarren kreischend von der Seite attackieren – ein sauber komponiertes Chaos in all seiner Herrlichkeit!
Wenn die Gitarre die Hauptrolle spielt, ist das Ehrfurcht einflößend. Und doch zeigt Gough mit irren, Finger verwischenden Gitarrensoli in Harm Sequence und Sentenced To The Blade nur die Spitze des Eisbergs ihrer Shredding-Skills, für die sie von Jackson Guitars in einen Werbespot für deren American Series Virtuoso geholt wurde. Sie hätte jedes Recht, mehr zu protzen. Dass sie es nicht tut, sagt einiges über den Stellenwert aus, den die Band ihren Songs und deren Stimmigkeit gegenüber individuellem Spotlight gibt. Und genau darum verdient die Band auch jedes Spotlight, das die letzten paar Jahre auf sie gerichtet war!
So haben die Songs natürlich noch mehr zu bieten:
Der Hardcore in Harm Sequence tut dem Metal darin verdammt gut, und mit seinen gnadenlosen Blast Beats und Breakdown walzt er in die Stilrichtung von Bands wie Nails.
Sentenced To The Blade rast durch ähnliche Gefilde, und obwohl strukturell etwas simpler, überrascht er mit interessanten rhythmischen Tricks und Schnörkeln.
Auf dieses Album wurden Vocals gebrannt, von denen die Haut Blasen schlägt: Packer grollt als Monster aus den Tiefen des Erdkerns, Gough kreischt wie eine Banshee über unseren Köpfen. Zum ersten Mal haben Heriot in der Produktion zwei Paar Augen mehr auf die Vocals fokussiert: Produzent Josh Middleton (Sylosis, Ex-Architects) und Mixer Will Putney (Grammy für die Produktion des Albums Carnivore von Body Count, Mitglied von Fit For An Autopsy) wussten an den richtigen sängerischen und technischen Reglern zu drehen! Unter den verschiedenen Sound-Effekten fügen sich die Stimmen im Vergleich zu frühen Releases noch besser in diese metallische Anderswelt ein und erweitern sie.
Besonders in den atmosphärischen Momenten des Albums. Mit dem Timbre einer Chelsea Wolfe vermag uns Debbie Gough inmitten des Industrials in wohliger, falscher Sicherheit zu wiegen, lässt uns kurz durchatmen und lockt uns damit nur tiefer in die drückende Hitze.
Im Song Opaline umspielen heimsuchende Gitarren den federleichten Klargesang, bevor sich die Instrumente langsam erheben, um dann mit Packer zusammen alles niederzureißen und uns mit nichts als vergehendem Puls und noisigem Zittern zurückzulassen.
Lashed spielt mit solchen Kontrasten anders, aber nicht weniger ausbalanciert. Mit seiner Basslast und Kickdrum-fokussierten Rhythmik, fizzelnden Keyboards und Goughs melodischer Klage ist der Song eine Art psychedelisches Experiment am Industrial in den Kellerlaboren des Deep House. Dass er keinen einzigen Schritt außerhalb des Metal-Terrains von Heriot setzt, liegt nicht alleine an Packers Urmenschlauten in der köstlich dicken Sound-Suppe, sondern ist auch der Kunstfertigkeit in Arrangements und Produktion zu verdanken. Es fügt sich alles perfekt zusammen!
Die ätherische Ambient-„Ballade“ Visage ist auf diesem massigen Album eine außergewöhnliche Hörerfahrung. Als würde uns Gough in den Unterwassertiefen ihres Ichs ihre Verwundbarkeit preisgeben. Klang ist Schwingung und Echo ohne Antwort, Raum ist ein Tunnel Richtung Ende der Welt. In einem Geysir aus Instrumenten und Emotionen explodiert der Song und nimmt einen letzten Scream mit in die Katharsis. Ich dürfte nicht die Einzige sein, die nach diesem Track eine Minute braucht. Er besitzt eine völlig andere Art von Heaviness – und würde sich zudem verdammt gut als Song für den Trailer eines Endzeit-Videospiels eignen.
Diese experimentellen Soundscapes sind Teil des Stils, den Heriot seit der Formation ihres aktuellen Line-ups in relativ kurzer Zeit (bereits auf Profound Morality) erstaunlich veröffentlichungsreif gefeilt haben.
Doch nicht nur dahingehend ist Solvent Gaze einer ihrer dichtesten Tracks – denn Dichte ist auch bei der Textur das Schlüsselwort: Die Screams sind meist nur als eine von vielen Schichten an Riffs, Distortion und Übersteuerung integriert, und so wirkt der Song eher wie ein instrumentales Interlude, das trägt oder über einem zusammenbricht. Mit bedrohlicher Subtilität sticht die Düsternis des Basses umso mehr ins Ohr, und bis zum Ende verbieten ein nervöses Ticken und sterbende Gitarrengeister einem das Atmen. So klingt die Welt wohl nach ihrem Ende.
Wie Noise auf dem Album wirkt, alle Sounds hörbar, auf unheimliche Art aber in ihrem Wabern und Wummern nicht immer bestimmbar sind, wie Gitarren und Bass dabei gleichzeitig den Gehörgang runterlaufen können wie Butter – auch das ist Will Putneys Fingerspitzengefühl am Mischpult zu verdanken, mit dem er die Handschrift der Band noch weiter herausarbeitete.
Heriot vermitteln den Eindruck, als befände man sich im Inneren einer beseelten Maschine aus der Höllenfabrik, durchgerüttelt von einem rebellischen Puls und dem Kampf mit sich selbst.
Das reflektieren auch die Lyrics. Sprachen sie auf ihrer Pandemie-inspirierten EP noch von Moralkonzepten und dem Schaden, den Klassenunterschiede in Gesellschaft und bei Individuen anrichten, geht es auf Devoured By The Mouth Of Hell in Songs wie Foul Void und Siege Lord um innere Konflikte mit Glaube und Gewissen; auch wenn der weitere Blick auf die Welt dabei nicht eingeschränkt wird.
Das alles muss man gehört haben: auf diesem Album, und ab Ende November 2024 auf Tour mit Fit For An Autopsy.