While She Sleeps – Self Hell

Mit erhobenem Mittelfinger haben die Briten nichts zu verlieren

Artist: While She Sleeps

Herkunft: Sheffield, England

Album: Self Hell

Spiellänge: 45:07 Minuten

Genre: Metalcore, Nu Metal

Release: 29.03.2024

Label: Sleeps Brothers / Spinefarm Records

Link: https://whileshesleeps.com/

Bandmitglieder:

Gesang – Lawrence ‚Loz‘ Taylor
Gitarre und Gesang – Mat Welsh
Gitarre – Sean Long
Bassgitarre – Aaran Mckenzie
Schlagzeug – Adam Savage

Tracklist:

  1. Peace Of Mind
  2. Leave Me Alone
  3. Rainbows
  4. Self Hell
  5. Wildfire
  6. No Feeling Is Final (Feat. Aether)
  7. Dopesick (Feat. Fin Power – Stone)
  8. Down (Feat. Alex Taylor – Malevolence)
  9. To The Flowers
  10. Out Of The Blue
  11. Enemy Mentality
  12. Radical Hatred / Radical Love

„Welcome to the Sleeps Society“ und dann Abfahrt! Kaum ein Song und eine Textzeile bestimmten mein musikalisches Jahr 2021 mehr als der Song des fünften Albums Sleeps Society der Band While She Sleeps. Jetzt sind die sympathischen Briten zurück, mit Album Nummer sechs, das auf den Namen Self Hell hört und von der Band als „zweites Debütalbum“ bezeichnet wird. Frontmann Loz Taylor bezeichnete WSS im Interview vor drei Jahren als „DIY-Band mit Punk-Ethik“ und genau diese kleinen Rotzgören aus Sheffield graben wieder einmal in ihrer eigenen Vergangenheit und stoßen dabei auf Outsider-Kunst, Vintage-Synthesizer und eigene Dämonen. „Ich weiß genau, wie du dich fühlst.“ Die Phrase könnte unwahrer nicht sein und dennoch haben alle, die ihre Päckchen zu tragen haben, einen gemeinsamen Nenner und stehen vor der Frage: Stelle ich mich der Welt und mir selbst? Entscheide ich mich für Erlösung oder ewige Verdammnis?

„Leave me the fuck alone“ – direkt nach dem Intro täuschen While She Sleeps keine Müdigkeit vor und zeigen der Falschheit dieser Welt den erhobenen Mittelfinger. Nach einem kurzen Wutausbruch wird musikalisch nicht damit hinter dem Berg gehalten, dass Nu Metal, Rap-Parts und crazy Synthesizer-Abfahrten ganz oben auf dem Speiseplan der selbst ernannten Hölle stehen. Passend zum Titel wird es in Rainbows deutlich fluffiger. Loz kreischt sich heiser und beschwört in einigen Passagen mit monotoner Stimme Dämonen herauf. Deeper Text, stadiontauglicher Refrain und Van-Halen-Gefrickel auf der Gitarre (oder ist es doch wieder einer der angestaubten Korgs bzw. Behringers?).

„Let’s praise the love inside of us“ – der Beginn des Titelsongs schreit förmlich nach Nu Metal der 2000er. Plötzlich bin ich wieder 16, trage Baggypants und die Welt ist etwas unbeschwerter. Die aufkommende Nostalgie soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Song etwas arg repetitiv aus den Kopfhörern dröhnt. Einmal werden die „Dicke-Hose-Riffs“ mit tief hängender Gitarre serviert, um dann eine Thrash-Metal-Keule mit einem merkwürdigen Klatschlaut zu unterbrechen. Mal schauen, ob Wildfire einen besseren Eindruck hinterlässt. Faust hoch! Punk/Hardcore der Marke Rise Against lässt grüßen. Mucke, die man laut im Auto hören sollte, um dem Alltag für kurze Zeit zu entfliehen. Das Blatt wendet sich hin zu einer bittersüßen Melancholie, wie man sie nur als Teenager erfahren konnte, und nach drei Minuten ist man wieder zurück in der Realität.

Photo Credit: Enzo Iriarte

Es folgt ein Dreierpack aus Gastmusiker-Auftritten. Den Anfang markiert der schottische Ambient-Produzent Jason Taylor aka Aether. No Feeling Is Final erzeugt genau dessen Kernkompetenz mit breit gestreuten Ambient-Landschaften und fungiert so als Zwischenspiel zum nächsten Feature des Sängers Fin Power. Power ist Frontmann der aus Liverpool stammenden jungen Punkband Stone. Die elektronischen Spielereien ziehen ihre Kreise auch in Dopesick, werden aber durch geschmackvolle Gitarrensoli und den Wechselgesang zwischen Loz und Fin getragen.

Der Alarm verkündet Unheil. Dürfen es ein paar Härtegrade mehr sein? Gerne doch! Passend dazu holen sich While She Sleeps Verstärkung aus der Nachbarschaft in Form von Malevolence-Schreihals Alex Taylor. Gitarren tief, Beat bedrohlich, Stimmung angepisst. Lediglich der eingängige Refrain sorgt für Abwechslung in dieser räudigen Steel-City-Connection.

Die Single To The Flowers war der Grund, mich erneut mit der Entwicklung der Band zu beschäftigen. Der Song ist musikalische Ekstase und wird durch ein Meisterwerk eines Musikvideos, das ihr euch gerne unten ansehen könnt, zur absoluten Perfektion getrieben. Hören, weinen, Repeat drücken. Out Of The Blue wirkt anschließend mit seinen Uptempo-Beats wie aus einer anderen Welt und WSS unterstreichen ihren Mut zu Experimenten.

Falls es so etwas überhaupt gibt, ist Enemy Mentality ein klassischer Sleeps-Song. Warum ich neue Alben generell mit dem Kopfhörer konsumiere? Weil einem dabei diese spitzen Nadelstiche, die kleinen Details, nicht entgehen. Hört selbst und ihr wisst, was ich meine. Akustikgitarren und dicht gewebte Gesangsharmonien wechseln sich im abschließenden Radical Hatred / Radical Love gekonnt mit in sich gekehrten Passagen ab und erzeugen somit erneut den Eindruck der unerschöpflichen Experimentierfreude der Briten.

While She Sleeps – Self Hell
Fazit
While She Sleeps gehen mal wieder erhobenen Hauptes und mit dem Mittelfinger voran vom Platz. Dass das Ganze aneckt und polarisiert, dürfte den Briten so klar wie egal sein. Der Erfolg gibt ihnen recht, obwohl mir persönlich der Vorgänger noch etwas mehr gegeben hat. Eines steht fest: Die Wörter Wiederholungstäter, Selbstbeweihräucherung und „Auf Nummer sicher“ existieren im Wortschatz der Band nicht.

Anspieltipps: Leave Me Alone, Wildfire und To The Flowers
Florian W.
8.3
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