Moonspell – The Butterfly Effect (Re-Release)

Moonspells Emanzipation und Rettung

Artist: Moonspell

Herkunft: Portugal

Album: The Butterfly Effect (Re-Release)

Spiellänge: 57:29 Minuten

Genre: Industrial Metal, Gothic Metal

Release: 07.08.2020

Label: Napalm Records

Links: https://www.moonspell.com/
https://www.facebook.com/moonspellband/

Bandmitglieder:

Gesang – Fernando Ribeiro
Gitarre – Ricardo Amorim
Gitarre, Keyboard – Pedro Paixão
Bass – Aires Pereira
Schlagzeug – Miguel Gaspar

Tracklist:

01. Soulsick
02. Butterfly FX
03. Can’t Bee
04. Lustmord
05. Selfabuse
06. I Am The Eternal Spectator
07. Solitary Vice
08. Dissapear Here
09. Adaptables
10. Angelizer
11. Tired
12. K
+ 7″ Vinyl Bonus Tracks:
13. Never Stop to Hurt You (Lustmord Remix by Pedro Paixão)
14. Angelized (Angelizer Remix by Pedro Paixão)

Die Portugiesen Moonspell sind in ihrer Heimat wahrlich keine Unbekannten. Selbst viele absolut nicht-Metal affine Zeitgenossen aus dem östlichen Teil der Iberischen Halbinsel haben zumindest den Namen schon einmal gehört. Ähnliches konnte ich auch schon bei den Griechen Rotting Christ feststellen, die selbst bei irgendwelchen Businessmenschen aus dem Land nicht für Stirnrunzeln, sondern wissendes Nicken sorgten. Offensichtlich gehört „extremer“ Metal in manchen Ländern zu einem gewissen Teil zum nationalen Kulturverständnis und wird daher auch mit einem gewissen Stolz honoriert.

1995 wurde Moonspells Debüt Wolfheart veröffentlicht und ist damals eingeschlagen wie eine Bombe. Ich erinnere mich noch wage an die folgende Tour mit Crematory, The Gathering und Secret Discovery. Hätten eigentlich nur noch Amorphis und Tiamat gefehlt, und die Speerspitze des damaligen Gothic/Dark Metals wäre komplett vereint gewesen.

Wolfheart war ein unglaublich düsteres Album. Thematisch gefüllt mit Vampiren, Mystik, Sex und viel Dunkelheit. Songs wie Wolfshade, Vampiria, Trebaruna oder das übergroße Alma Mater klingen so gar nicht nach Sonne und Algarve, sondern entführen den Hörer in dunkle Täler, zu heidnischen Tänzen und in Labyrinthe in modrigen Kellern. Was für ein Album!

Der Nachfolger Irreligious setzte 1996 diesen Weg fort. Mit einer fetten Produktion versehen, wurden die Songs noch epischer und größer. Opium, Awake, Rawen Claws oder das finale Full Moon Madness strotzen vor Selbstbewusstsein und Kreativität. Intensiv und mitreißend.

Der erste Schock für einige Fans folgte dann 1998 mit dem Album Sin/Pecado.
Auf der einen Seite war es fast klar, dass man den Stil der beiden Vorgänger nicht noch weiter perfektionieren kann, ohne sich selbst zu wiederholen. Dass der Stil der Band dann aber weg vom typischen Gothic Metal der Anfangstage, hin zu rockigeren, mit elektronischen Elementen gespickten und tanzbaren Songs führte, musste auch ich damals erst mal verdauen. Zwar ist das alles nicht so cheesy und glatt wie auf dem 2001er Darkness And Hope, dennoch schon relativ weit entfernt von den ersten beiden Szene-Leuchttürmen.

Im Nachhinein betrachtet, ist Sin/Pecado aber ein richtig gutes Ding. Sänger Fernando entdeckte damals seine Stimme neu. Klare Gesangslinien, eine gewisse Wärme und eben weniger brachiale Ausbrüche erinnern hier und da an Sisters Of Mercy oder Peter Steele.

Kommen wir nun zum eigentlichen Thema dieses Reviews.
Es ist schon ungemein spannend, wie sich die Band damals weiterentwickelt hat.
Das Thema Gothic Metal wurde bis zur Perfektion ausgeschöpft, das etwas alternativ-düstere Sin/Pecado sorgte für einigen Unmut unter den Fans.
Die sichere Bank wäre jetzt natürlich, ein zweites Irreligious zu schreiben. Doch Stillstand – und das würde es sein – ist bekanntlich der Tod, und somit klatschen uns die Portugiesen 1999 The Butterfly Effect um die Ohren.

Der Opener Soulsick knallt dann gleich richtig los: Tief gestimmte, fette Gitarren, ein leichtes Industrial-Riff, donnernde Drums und ein hoher Elektronik-Anteil lassen aufhorchen. Moonspell klingen ein Jahr vor der Jahrtausendwende deutlich moderner als zuvor.

Auch Butterfly FX sorgt mit der Depeche Mode-artigen Strophe und der kurzen, aber eruptiven Krawallorgie – nennen wir es einmal den Refrain – für Erstaunen. Das ist nicht leicht verdaulich, voller Ecken und Kanten. Ungehobelte Energie.

Im Gegensatz dazu kontert das teils ruhige, teils rockige Can’t Bee mit seinem minimalen Fusion-Einschlag und sorgt für einen bittersüßen Gegensatz.

Genrekollegen wie Tiamat oder Paradise Lost hatten zwischenzeitlich einen ähnlichen Weg eingeschlagen, wobei Moonspell hier härtetechnisch doch am wenigsten eingebüßt haben.

Fernando brüllt den Lustmord voller Energie und mit Brachialgewalt ins Mikrofon und transportiert das Böse der ersten beiden Alben perfekt in die damalige Neuzeit.

Dazu passt auch, dass Fear Factory bei I Am The Eternal Spectator einmal grüßend aus Los Angeles über den Großen Teich winken. Etwas während der Strophe und wirklich GANZ gewaltig im Refrain.

Und so schlängelt sich das Album zwischen modernem Metal, etwas Industrial-Flair und der typischen Düsternis durch zwölf sperrige Songs (das finale K besteht ausschließlich aus Krach und Soundcollagen). Kein Easy Listening und schon gar kein Soundtrack für nebelige Vollmondnächte oder erotische Abenteuer im Burghof.

Das Re-Release könnt ihr euch als LP, Digipak und Kassette (!) sichern. Die limitierte Band Edition
LP beinhaltet zusätzlich noch zwei Remixe (Angelizer & Lustmord).

Moonspell – The Butterfly Effect (Re-Release)
Fazit
The Butterfly Effect war Moonspells befreiender Arschtritt und sorgte für die perfekt getimte Emanzipation der Band. Immer noch düster, teilweise steinhart und ungewohnt modern. Doch was wäre damals die Alternative gewesen? Ein Verharren, bzw. eine Wiederholung oder Kopie von bereits Geschaffenem hätte die Band irgendwann in die Bedeutungslosigkeit geworfen. Musik, bzw. Kunst ist ein dynamischer Prozess und sorgt durch immer neue Einflüsse und Ideen für Bewegung und Relevanz. Moonspell haben sich in ihrer langen Karriere mehrmals neu erfunden, den Wiedererkennungswert aber immer hoch gehalten. Natürlich auch nicht zuletzt durch Fernando Ribeiros markante Stimme. The Butterfly Effekt hört man nicht bei einem Glas Rotwein und Kerzenlicht. Das Album steht - nicht nur durch den Titel - für Chaos, Zerstörung und Irritation.

Anspieltipp: Soulsick, Can’t Bee und I Am The Eternal Spectator
Andreas B.
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