Oil: begeisterten beim WeLive-Musikfestival auch ohne Publikum – Ein Blick hinter die Kulissen

Lahrer Rockwerkstatt e.V. und punchline studio Lahr machen sich verdient im Kampf um den Erhalt der Musikkultur

Das Coronavirus hat die Welt auch nach Monaten noch im Griff und ein Ende ist längst noch nicht in Sicht. Zwar werden viele Maßnahmen, die zur Eindämmung des Virus eingeführt wurden, nun nach und nach wieder gelockert, doch von Normalität sind wir noch weit entfernt. Die meisten Geschäfte haben wieder offen, Kneipen, Bars und Restaurants haben unter gewissen Sicherheitsaspekten wieder geöffnet und selbst die Grenzen wurden wieder auf gemacht, sodass einem Sommerurlaub im europäischen Ausland nichts mehr im Wege steht. Selbst die Bundesliga ist wieder durchgestartet und spielt aktuell zumindest ohne Publikum. Die Menschen tun fast schon wieder so, als wäre nie etwas gewesen. Dennoch – für Konzerte, Festivals und weitere Großveranstaltungen sieht es noch immer düster aus, sie wurden bis Ende Oktober untersagt. Eine Verlängerung ist durchaus möglich, solange es keinen wirksamen Impfstoff gibt. Die Veranstaltungsbranche war die erste, die vom Lockdown betroffen war, und sie wird die Letzte sein, die wieder durchstarten kann. Während andere Branchen langsam wieder Gas geben können, kämpft die Veranstaltungsbranche, und damit viele Bands, Veranstalter, Live-Clubs, Eventagenturen, Techniker, Cateringfirmen … etc., noch immer ums Überleben. Auch wenn es eine harte Entscheidung ist, die eventuell vielen Branchen die Existenz kostet und den Fans noch viele langweilige Stunden zu Hause beschert, so ist es doch die einzig richtige, denn die Sicherheit und Gesundheit aller muss auch jetzt noch Priorität haben. Auch wenn wir alle mittlerweile nichts mehr davon wissen wollen und einfach wieder Livekonzerte erleben wollen, die Gefahr ist noch nicht gebannt, denn wie jüngst bekannt wurde, ist in China mittlerweile die zweite Welle des Coronavirus angekommen.

Auf gute Musik, satten Sound und Live-Atmosphäre muss hierzulande dennoch niemand verzichten, denn auch wenn aktuell keine Livekonzerte mit Publikum stattfinden können, sind viele Bands, Veranstalter, Live-Clubs, Film-Crews, Techniker … etc. bemüht, ein Ersatzprogramm auf die Beine zu stellen, um die Musikkultur auch über die Krise hinweg am Leben zu erhalten. Schon seit vielen Wochen wird so auch der Langeweile in der konzertfreien Zeit entgegengewirkt und der hart rockende Konzertbesucher kann sich via Internet mit online Livestreams/Geisterkonzerten über die Durststrecke retten. Zwar ist die tägliche Dosis Konzertfeeling im eigenen Wohnzimmer kein vollwertiger Ersatz für die wegfallende Freiluftsaison und auch die neuesten Trends in Form von Auto- und Strandkorbkonzerten schmecken irgendwie ein wenig bitter, aber mehr ist aktuell einfach nicht drin. In diesen sauren Apfel muss einfach jeder von uns beißen, ob er nun schmeckt, oder faul ist.

Dominik Büchele & Umleitung @ WeLive – Musikfestival:

Wie in allen Event-Locations ging im März auch im Schlachthof – Jugend & Kultur in Lahr das Licht aus und der Lockdown versetzte alles in den Pausemodus. Mittlerweile geht hier zumindest zeitweise das Licht wieder an und es ist auch nicht mehr gar so leise, denn die Lahrer Rockwerkstatt e.V. hat gemeinsam mit dem Schlachthof und dem punchline studio Lahr das WeLive – Das Online Musikfestival ins Leben gerufen und kämpft seit einigen Wochen um den Erhalt der Musikkultur in der Region. Geplant waren und werden mittlerweile auch in die Tat umgesetzt, hochwertige Konzertfilme im großen Stil mit sechs regionalen Bands und Künstlern aus ganz unterschiedlichen Genres. Unter dem Motto We Live – Kultur Ist Systemrelevant! will man regionalen Bands und Künstlern trotz des Corona-Lockdowns die große Konzertbühne ermöglichen, zwar ohne Publikum, denn man will sich natürlich an die Vorgaben halten, aber dafür vor zehn Kameras des punchline studios. Alle 14 Tage soll es einen neuen hochprofessionellen High End-Konzertfilm kostenlos im Netz zu sehen geben, der mit zehn Kameras aufgenommen und in einer aufwendigen Post-Produktion bearbeitet wurde. Zum Auftakt der Dreharbeiten standen die Pop Band Umleitung rund um den durch Deutschland Sucht Den Superstar bekannten Dominik Büchele und die Rap ’n‘ Roll Band Qult auf der Bühne des Schlachthof Lahr. Beide Konzertfilme waren zwischenzeitlich im Netz zu betrachten und begeisterten jeweils zwischen 20.000 und 25.000 Zuschauer.

Qult @ WeLive Musikfestival:

Die Film-Brüder Pirmin und Maik Styrnol des Lahrer punchline studios, die natürlich genauso von dem Lockdown betroffen sind wie auch die gesamte Veranstaltungsbranche, stehen also wieder hinter den Kameras und tun das, was sie am besten können. Das Filmteam um die Brüder Styrnol vom punchline studio hat im letzten Jahr einen hervorragenden Konzertfilm über die Hardrock Band Oil, deren Musiker schon in den 80er und 90er Jahren bei Acres Wild und Scaramouche aktiv waren, gedreht und arbeiteten mit einigen Szenegrößen wie z.B. Nazareth, Uriah Heep, Wishbone Ash und Deep Purple. Zuletzt machten sie durch das Project United auf sich aufmerksam, bei dem 70 Musiker aus zwölf Ländern zu Hause in der Corona-Quarantäne gemeinsam den Song Side By Side spielten und damit vielen Menschen Mut machten. Nun sollen Oil ein weiteres Mal vor ihren Kameras stehen, im Rahmen des WeLive – Das Online Musikfestivals. Nachdem wir von Time For Metal schon einige Male über die Arbeiten des punchline studios berichteten, bekamen wir nun eine Einladung und durften bei den Dreharbeiten während des Konzertes von Oil einen Blick hinter die Kulissen werfen. Vielen Dank dafür an Wolfgang Richter von der Rockwerkstatt Lahr e.V. und das punchline studio!

Das Konzert von Oil ist auf 13:30 Uhr angesetzt, alleine das ist schon eine neue Erfahrung, denn wann, außer in Zeiten von Corona, finden Indoor-Konzerte am frühen Nachmittag statt. Ich komme gegen 12:30 Uhr in Lahr an und bin überrascht, dass es rund um den Schlachthof recht ruhig zugeht …, habe ich im Vorfeld doch ein wildes Gewusel erwartet. Ein paar Autos stehen vor der Location, doch niemand ist zu sehen und vor allem, es ist nichts zu hören. Als ich ins Innere komme, ziehen Nebelschwaden durch die Dunkelheit und der Bühnenaufbau ist offenbar abgeschlossen. Ein Techniker steht am Mischpult, alle anderen, Filmcrew, Techniker und Band, sitzen ganz entspannt im Backstage-Bereich bei Kaffee und Hopfenkaltschale. Offenbar sind die Vorbereitungen abgeschlossen und es kann pünktlich losgehen. Schnell zeigt sich dann aber, der erste Schein trügt, denn kann es bei Konzerten schon leicht zu Verzögerungen kommen, so ist eine Filmproduktion noch sehr viel aufwendiger. Nachdem Oil noch schnell ihre Setlist abgesprochen und ihr Bier ausgetrunken haben, setzt dann tatsächlich noch das erwartete Gewusel ein und plötzlich sind alle schwer beschäftigt. Es folgen noch letzte Absprachen mit dem Filmteam, bevor dann der Soundcheck absolviert, die Lichtanlage durchgetestet und Kameraeinstellungen durchgeführt werden. Auch die Pyrotechnik muss noch getestet werden, was sich als nicht ganz so einfach entpuppt, da kein professioneller Pyrotechniker vor Ort ist. Hier noch ein paar Einstellungen, da noch eine kurze Besprechung und schnell ist der vorherige Zeitplan für die Tonne. Kommentar Pirmin Styrnol: „So ist das beim Film!“

Nichtsdestotrotz, da man mittlerweile schon einige Bands abgedreht hat, hat das alles inzwischen eine gewisse Routine und die ganze Crew ist perfekt aufeinander eingespielt. Zuhause vor dem PC oder TV sieht das alles so einfach aus, die Bühne ist gerichtet, die Band spult ihr Programm runter und fertig ist das heimische Konzertvergnügen. Die Wahrheit sieht ein klein wenig anders aus, denn der Aufwand für einen solchen Konzertfilm ist enorm und dabei habe ich den ganzen Bühnenaufbau noch nicht einmal mitbekommen. Obwohl ich von all dem keinen Plan habe und somit nicht helfen kann, quasi ein stiller Beobachter am Rande bin, ist es zu keinem Moment langweilig und die Zeit vergeht wie im Flug. Mittlerweile ist es 15:00 Uhr durch und es steht noch eine letzte Regiebesprechung an, bevor es dann für Gert Endres (Guitar, Vocals), Marc Vetter (Drums, Vocals) und Rainer Jauch (Bass, Vocals) ernst wird. Neben dem Gig mit Oil soll heute noch ein weiteres Konzert mit der Ska-Punk-Band No Authority mitgeschnitten werden und die Band wurde im Vorfeld zu 16:00 Uhr bestellt, was nun natürlich so nicht wie geplant funktionieren kann, aber so ist das halt beim Film und niemand lässt sich hier aus der Ruhe bringen. Nur für mich wird es nun ziemlich eng und es ist absehbar, dass ich dem Oil-Konzert nicht mehr bis zum Ende beiwohnen kann, bevor ich mich hier für heute verabschieden muss.

Danach ist es dann aber tatsächlich soweit, die alten Ölfässer der Bühnendekoration werden entzündet und Oil dürfen die Bühne entern. Das Power-Trio steigt mit Adrenaline vom 2017er Feed Your Brains Album in ihr Set ein, doch der Einstieg misslingt und muss noch einmal wiederholt werden. Danach ist dann jedoch alles im grünen Bereich – der gradlinige Hardrock dröhnt souverän aus den Boxen und lässt den alten Lahrer Schlachthof erbeben. Der Band, die zu zwei Dritteln aus Mitgliedern der ehemaligen Bands Scaramouche/Acres Wild besteht, die schon in den 80er und 90er-Jahren für ein gewisses Aufsehen nicht nur in der regionalen Ortenau-Szene sorgten, ist die langjährige Bühnenerfahrung durchaus anzumerken. Spätestens mit Killer, der zweiten Nummer des späten Nachmittags, hätten Oil ihr Publikum nun voll im Griff, doch Geisterkonzerte haben ihren Namen leider nicht umsonst, denn Publikum gibt es heute im Schlachthof nicht. Jedoch geht es heute nicht nur um das Onlinekonzert, denn die Tonspuren des Auftrittes werden heute ebenfalls mitgeschnitten und sollen in das kommende Album mit einfließen. An Bewegung mangelt es vor der Bühne dennoch nicht, denn die Kameraleute sind ständig in Bewegung und wuseln wild durcheinander, um wirklich jede Szene eindrucksvoll für das heimische Publikum festzuhalten. Aber auch den restlichen Anwesenden gelingt es nicht, sich dem Sound zu entziehen, und so zappelt manch einer hinter den Mischpulten herum und zwischen den Songs wird sogar applaudiert und gejohlt, fast wie bei ganz gewöhnlichen Konzerten. Dementsprechend ist die Band auch gut drauf, spielt sich sprichwörtlich den Arsch ab und hat auch die eine oder andere witzige Ansage und Anekdote parat. Für die Zuschauer zu Hause wird es dann auch noch ein kleines Gewinnspiel geben. Ein paar Songs kann ich mir heute noch geben, doch dann muss ich mich leider viel zu früh verabschieden. Gerne wäre ich bis zum Schluss dageblieben, denn Oil geben alles und können vollauf begeistern. Mittlerweile weiß ich, dass ich ein furioses Finale verpasst habe, und so freue ich mich schon jetzt auf den fertigen Konzertfilm des punchline studios, welchen es ab dem 9. August zu sehen geben wird. Wer auf soliden Hardrock der frühen Ära steht, sollte sich das keinesfalls entgehen lassen.

Für Pirmin und Maik Styrnol ist damit allerdings nur der erste Teil der Arbeit erledigt, denn nun muss das mit zehn Kameras mitgeschnittene Material gesichtet und bearbeitet werden, was auch noch einmal ein bis zwei Wochen Arbeit und diverse Nachtschichten mit sich bringt. Dennoch haben die Jungs längst noch nicht die Nase voll und würden gerne mit weiteren Konzerten und Bands der Region nachlegen. Die Filme können zu Hause zwar kostenfrei angesehen werden, was jedoch nicht heißt, dass die ganze Sache für die Verantwortlichen völlig kostenlos zu realisieren ist. Der Aufwand, der hier bei den Ausnahmebedingungen und unter strengen Vorgaben und Regeln betrieben wird, ist enorm. Hier geht es nicht um die allseits bekannten Wohnzimmerkonzerte, die seit einigen Monaten im Netz präsent sind, sondern man will regionalen Bands und Künstlern eine echte Chance geben, mit großer Bühne und großem Licht. Dabei, und auch bei der aufwendigen Nachbearbeitung, entstehen erhebliche Kosten und die Verantwortlichen, der Schlachthof Lahr, der Verein Rockwerkstatt Lahr e.V. und das punchline studio, gehen ein großes finanzielles Risiko ein. Gesucht werden deshalb nun Sponsoren, die bereit sind, dieses Projekt und die kulturelle Zukunft in Lahr und der Region Ortenau zu unterstützen. Des Weiteren wurde eine flexible Crowdfunding-Kampagne gestartet, die dafür sorgen soll, dass alle Beteiligten nicht völlig umsonst arbeiten und einen fairen Anteil bekommen. Die Einnahmen des Crowdfunding werden unter dem Schlachthof, dem Verein Rockwerkstatt Lahr e.V., den auftretenden Künstlern und dem Filmteam aufgeteilt. Eine gute Sache, die jeder kunst- und musikinteressierte Mensch gerne unterstützen darf.

Hier geht es zum Crowdfunding We Live – Das Online Musikfestival.

Crowdfunding Trailer: