Alluvial – Sarcoma

Hat hier jemand einen Abriss bestellt?

Artist: Alluvial

Herkunft: Atlanta, Georgia, USA

Album: Sarcoma

Spiellänge: 38:24 Minuten

Genre: Extreme Metal, Technical Death Metal

Release: 28.05.2021

Label: Nuclear Blast Records

Link: https://www.facebook.com/alluvialmetal

Bandmitglieder:

Gesang – Kevin Muller
Gitarre und Gesang – Wes Hauch
Bassgitarre – Tim Walker
Schlagzeug – Matt Paulazzo

Tracklist:

  1. Ulysses
  2. Thy Underling
  3. Sarcoma
  4. 40 Stories
  5. Zero
  6. Exponent
  7. Sleepers Become Giants
  8. The Putrid Sunrise
  9. Sugar Paper
  10. Anodyne

Ganz schön was los im privaten und musikalischen Leben von Wes Hauch: Der ehemalige Gitarrist der Tech Deather The Faceless gründete 2016 das Projekt Alluvial. Zusammen mit seinem „Partner in crime“ Keith Merrow wurde 2017 das erfolgreiche instrumentale Extrem-Metal-Album The Deep Longing For Annihilation veröffentlicht. Den Erfolg, der vor allem auf Streamingplattformen zu sehen war, verdankte das Album nicht zuletzt der unermüdlichen Arbeit mit Gitarren-Playthroughs von Hauch und Merrow, dem YouTube-Pionier auf diesem Gebiet. Die stetig wachsende Fanbase ermöglichte eine Tour mit Animals As Leaders und Veil Of Maya.

Doch Erfolg bringt oft auch Leid mit sich und so flüchtete Hauch im Kampf mit Alkohol, Drogen und Depressionen aus LA und suchte Zuflucht in seiner neuen Heimat Atlanta. Zu diesem Zeitpunkt entstanden die ersten Ideen zum kommenden zweiten Album Sarcoma. Da der erste Langspieler ebenfalls schon mit Vocals geplant war, wurde Hauch während des Songwritings auf Fronter Kevin Muller (The Merciless Concept) durch dessen Arbeit bei Suffocation aufmerksam. Seitdem Muller seine Stimmbänder für die Sarcoma-Demos malträtierte, resultierte daraus nicht nur die vorliegende musikalische Zusammenarbeit, sondern auch eine enge Freundschaft. Bassist Tim Walker und Drummer Matt Paulazzo komplettieren das neue Line-Up von Alluvial. Gitarrist Keith Merrow ist nicht mehr an Bord, vermutlich auch aufgrund der neuen Ausrichtung einer „klassischen“ Band mit Gesang. Um dem Neuanfang die Krone aufzusetzen, unterschrieb die Band kürzlich beim legendären Label Nuclear Blast.

Trotz meiner Vorliebe für Genre-Vorreiter wie Death, Atheist, Cynic oder den leider nicht mehr aktiven deutschen Todesfricklern von Necrophagist, hat sich keine noch so gute aktuelle Band aus den extremen Gefilden nachhaltig in meinem Langzeitgedächtnis festsetzen können. Ob Alluvial meine alte Liebe für gruftige Polyrhythmen wieder aufleben lassen?

Sarkome sind bösartige Tumore, die sich aus Muskel- oder Bindegewebe entwickeln. Nachdem alle Songs für das neue Album fertiggestellt waren, stellte Muller fest, dass letztendlich alle Stücke vom Leiden handeln, welches Menschen durch die Hand anderer erfahren – der Titel Sarcoma war geboren. So erinnert sich Hauch im Opener Ulysses an seine leidvolle Erfahrung beim US-Militär während seiner Zeit im Irak. Unheilvolle Gitarren-Echos schleichen sich in meine Gehörgänge, bevor das Sperrfeuer in Form von mächtigen Riffs und Breaks nichts als verbrannte Erde zurücklässt – holy shit! Ich habe wahrlich nicht viele Lieblingssänger auf dem Gebiet des Extreme Metal, aber Kevin Muller könnte mit seinem brachialen Mix aus Growls und Screams einer davon werden. Hervorzuheben ist auch die Zusammenarbeit mit Soundengineer John Douglass (u. a. Job For A Cowboy, The Contortionist). Der Mix hebt einem glatt den Kopf von den Schultern.

Thy Underling wartet mit unverschämt eingängigen Gitarrenriffs auf und erzeugt durch den Refrain eine dichte Wand aus atmosphärischem Death Metal. Spätestens bei den Soli bekommen „Bedroom Guitarists“ wieder feuchte Träume. Der Titelsong ist eine getunte Dampfwalze, bei dem Orthopäden Angst vor verknoteten Halswirbeln bekommen. Unerbittlich wird aufs Gaspedal getreten, nur um dann wieder abrupt zu stoppen. Die letzten 30 Sekunden eröffnen dann endgültig den Moshpit im Wohnzimmer.

40 Stories ist in jeder Hinsicht besonders. Zum einen lehnen sich die Lyrics lose an den Selbstmord des Amerikaners Conrad Roy, dessen Prozess, der umgangssprachlich als „SMS-Selbstmordfall“ bezeichnet wurde, sorgte 2014 in den USA für Aufsehen. Zum anderen übernimmt Wes Hauch persönlich den Gesang. Dieser präsentiert sich so stark, dass es mir schon fast ein Rätsel ist, warum er bei der gescheiterten Suche nach einem Sänger für das Debüt nicht selber das Zepter in die Hand genommen hatte. Jazzige Rhythmen eröffnen den Song, bevor Hauch fast schon im Stil des Schweden Mikael Åkerfeldt (Opeth) intoniert. Auf warme Gesangslinien folgen harsche Parts, auf Jazz folgt Geknüppel. Progressiver Extreme Metal zum Niederknien.

Zero ist irgendwie ein verstörendes Zwischenspiel, bevor in Exponent wieder die Hölle losbricht. Vereinzelt kommen mir Meshuggah in den Sinn, jedoch ohne deren Hang zu maschinengewehrartigen Stakkato-Riffs. Dafür sind Alluvial auch einfach zu vielschichtig. Besonders schön nachzuhören im Part nach der Zeile „I am the god you hate“. „Mindfuck incoming“, oder so. Genau auf diesem Level geht es in Sleepers Become Giants weiter. Hier wird allerdings das instrumentale Gefrickel zurückgefahren und eine zäh fließende Masse mit dichter Atmosphäre verwoben. Für sich genommen vielleicht nicht der stärkste Song, integriert er sich dennoch perfekt in den Gesamtsound.

The Putrid Sunrise (dt. Der faulige Sonnenaufgang – sick!) steht uns bevor. Die Geschwindigkeit zieht wie im Song Sarcoma wieder voll an. In erster Linie bekommen wir von Sänger Kevin Muller alles „ausgekotzt“, was seine Stimme zu bieten hat und ich meine auch Wes Hauch wieder am Mikro zu hören. Die Nummer ist wilde Thrash-Raserei gespickt mit diversen kleinen Finessen, die zum Ausrasten animieren.

Sugar Paper ist dann kurz vor Schluss doch noch die Versöhnung mit den alten Fans, die lediglich auf instrumentale Spielchen stehen. Das Stück lege ich sogar Proggies ans Herz, die sonst einen großen Bogen um das Thema Death Metal machen. An dieser Stelle sollte auch mal die neue Rhythmusabteilung um Drummer Matt Paulazzo (Aegaeon) und Bassist Tim Walker (Entheos) hervorgehoben werden. Beide dürfen sich nach Herzenslust austoben. Zusammen mit Kevin Muller eine gute junge Truppe, die Wes Hauch um sich versammelt hat. Bleibt zu hoffen, dass diese Besetzung noch das eine oder andere Album zusammen einspielt.

Mit dem Rausschmeißer namens Anodyne überlasse ich dem Mastermind noch mal das Wort: „Meine Lieblingsalben waren für mich schon immer so eine Art Zufluchtsort. Mit diesem Album können wir hoffentlich für viele Menschen dasselbe erreichen.“

Alluvial – Sarcoma
Fazit
Unholy Moly, was haben die Mannen um Wes Hauch hier vom Stapel gelassen. Extreme Metal oder Tech Death hatte für mich in den letzten Jahren oft einen faden Beigeschmack. Entweder hatte man alles schon mal gehört oder es entlockte nur ein müdes Lächeln. Sarcoma ist das genaue Gegenteil und nach unzähligen Durchläufen entdecke ich immer neue Details. Extreme Metal Highlight des bisherigen Jahres. Punkt. Aus.

Anspieltipps: Ulysses, 40 Stories, Exponent und The Putrid Sunrise
Florian W.
9.5
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