Seven Spires – A Fortress Called Home

Eine Festung, in der epische Musik ein würdiges Zuhause findet

Artist: Seven Spires

Herkunft: Boston, Massachusetts, USA

Album: A Fortress Called Home

Spiellänge: 64:05 Minuten

Genre: Symphonic Metal, Progressive Metal, Melodic Death Metal, Symphonic Death Metal

Release: 21.06.2024

Label: Frontiers Records

Link: https://sevenspiresband.com/home

Bandmitglieder:

Gesang und Keyboard – Adrienne Cowan
Bass und Backgroundgesang – Peter De Reyna
Gitarre – Jack Kosto
Schlagzeug – Chris Dovas

Tracklist:

  1. A Fortress Called Home
  2. Songs Upon Wine-Stained Tongues
  3. Almosttown
  4. Impossible Tower
  5. Love’s Souvenir
  6. Architect Of Creation
  7. Portrait Of Us
  8. Emerald Necklace
  9. Where Sorrows Bear My Name
  10. No Place For Us
  11. House Of Lies
  12. The Old Hurt Of Being Left Behind

Zuweilen lohnt es sich, das Schaffen eines Künstlers oder in diesem Fall einer Künstlerin, die einem beim ersten Hören gefällt, genauer zu studieren. So geschehen mit Adrienne Cowan. Die Ankündigung, dass die junge Amerikanerin beim Rock In Rautheim 2024 (zum Bericht) mit Sascha Paeth’s Masters Of Ceremony die altwehrwürdigen Heavens-Gate-Songs als Sängerin interpretieren würde, versetzte mich in helle Vorfreude, die nicht enttäuscht werden sollte. Sowohl bei den Klassikern der Wolfsburger als auch bei den eigenen Songs der Masters Of Ceremony traf sie mit klassischem Power-Metal-Gesang und Harsh Vocals meinen Nerv. Doch ließ mich eine Frage nicht los: Woher kenne ich ihren Namen? Die Antwort lieferte Tobias Sammet. Seit einigen Jahren gehört Adrienne als Backgroundsängerin zum Live-Ensemble seiner Metal-Oper Avantasia. Bei aktuellen Auftritten bekam die Sängerin sogar die Möglichkeit, Avantasia-Klassiker wie Reach Out For The Light zu performen oder sich in Book Of Shallows mit Ronnie Atkins (Pretty Maids) zu duellieren.

Heute kommen wir zu Seven Spires, die 2013 von Adrienne Cowan zusammen mit Gitarrist Jack Kosto (nicht zu verwechseln mit Jacques Cousteau 😛) in Boston, im US-Bundesstaat Massachusetts, gegründet wurden. Zwei Jahre später kamen Bassist Peter De Reyna und Drummer Chris Dovas hinzu. Letzterer ist zwar auf dem vorliegenden Album zu hören, aber inzwischen zur Bay-Area-Legende Testament gewechselt. Wenn eine Band aus dem Umfeld des renommierten Berklee College Of Music in Boston kommt, löst diese Tatsache seit geraumer Zeit starkes Bauchkribbeln bei mir aus. So hat die Stadt in jüngster Zeit großartige Bands wie Bent Knee, Aviations und Ok Goodnight (bei denen De Reyna ebenfalls den Bass zupft) hervorgebracht.

A Fortress Called Home ist das vierte Studioalbum der Amerikaner und folgt drei Konzeptalben, die die Geschichte der tapferen Solveig erzählen – eine Reise einer verlorenen Seele durch eine sonnenlose, dekadente Unterwelt, die von einem alten Dämon beherrscht wird. Da ich mich auf den musikalischen Aspekt konzentrieren möchte, lege ich euch die Handlung (Klick) zum Nachlesen bzw. -hören ans Herz.

Das titelgebende A Fortress Called Home leitet als Intro direkt in dieses epische Abenteuer ein. Die Festung auf dem Cover wurde vom Finnen Tuomas Välimaa atemberaubend in Szene gesetzt. Ohne Umschweife steigt die Band mit dem längsten Stück Songs Upon Wine-Stained Tongues ein. Das pompöse Orchester liefert sich ein Duell mit Kostos halsbrecherischen Gitarrenläufen, ehe Adrienne Die Schöne Und Das Biest in einer Person verkörpert. Eine männliche Stimme betritt die Bühne, um ein weiteres Duell zu fordern. Wenn mich nicht alles täuscht, handelt es sich hier um Twilight-Force-Sirene Alessandro Conti. Dieser bildet zwar einen gekonnten Widersacher, spielt aber stimmlich nicht in der gleichen Liga wie Adrienne. Vor allem die kurze Verschnaufpause im Mittelteil wird von ihr meisterhaft intoniert und lädt zum Träumen ein. Bereits jetzt rufen Seven Spires ihr gesamtes Potenzial ab. Man darf schon traurig sein, dass sich Testament Dovas geschnappt haben. Was für ein Drummer! Von Blastbeats bis hin zu gefühlvollem Spiel beherrscht er einfach alles. Das soll allerdings nicht von der grandiosen Saitenfraktion ablenken. Kosto und De Reyna spielen so manch gefeiertes Duo an die Wand, ohne in Selbstbeweihräucherung zu verfallen. Wenn man diesem über sieben Minuten langen Start etwas vorwerfen kann, dann dass etwas „zu viel“ passiert und man schnell den Überblick verliert.

Photo credit: Seven Spires

Almosttown war die erste Single zum neuen Werk und machte mich mehr als neugierig. Was symphonischen Metal angeht, war ich seit den Veröffentlichungen von Zauberstimme Dianne Van Giersbergen nicht mehr so gehypt. Langsam baut sich der Song mit einer fesselnden Keyboardmelodie auf, explodiert förmlich im Refrain und leuchtet hell wie eine Sternschnuppe. Keine Frage, würde hier Nightwish auf dem Umschlag stehen, gingen die Streaming-Zahlen bereits durch die Decke. Nur leider schreiben die Finnen längst keine Songs dieser Güteklasse mehr. Anderen Bands, (Nightwish mit ihrem Budget mal außen vor) mit dem Stempel Symphonic Metal, haben Seven Spires zudem voraus, dass diese Produktion viel klarer und gleichzeitig druckvoller ist. Wohl dem, der einen Gitarristen wie Jack Kosto in seinen Reihen hat, der gleichzeitig das Album produziert hat. Immer, wenn Adriennes Gesang zu Screams und Growls wechselt, schlägt auch die Stimmung des Orchesters um. Wer noch einen Beweis dieser harmonischen Übergänge benötigt, dem sei die Passage ab Minute 3:50 ans Herz gelegt. Ich meine, wie gut ist das bitte, wenn der Gesang fließend in das Gitarrensolo übergeht?

Nach diesem aufbauenden Tritt in den Allerwertesten geht es in die Tiefen der Unterwelt. Impossible Tower ist bereit, alles Leben mit sich in die Tiefe zu reißen. Mit Inbrunst und Verachtung spuckt Adrienne die Zeilen „I walk these corridors alone, Fingertips trailing along worn stone“ heraus und sorgt für ein beklemmendes Gefühl. Die Wände kommen näher und die Luft wird langsam knapp. Wie in einem Theaterstück gleitet die Protagonistin hinüber in den Wahnsinn. Die Gitarren- und Bassläufe werden bis zur Ekstase getrieben und bringen mich um den Verstand. Kurz durchatmen, denn Love’s Souvenir bringt eine Portion Jazz (!) ins Spiel. Peter legt den Grundstein mit Fretless- oder sogar Upright-Bass-Harmonien. Das Schlagzeug groovt still vor sich hin und dann? Dann betritt sogar eine Violine, gespielt von Jason Anick, das Geschehen. Lediglich bis zur Halbzeit bleibt es bei diesem Schema. Danach wird der Bombast-Hammer geschwungen, Blastbeats abgefeuert und feinster Symphonic Death Metal im Stil von Septicflesh zelebriert. Wer gedacht hat, dass Seven Spires berechenbar wären, muss sich spätestens jetzt eingestehen, auf der falschen Fährte zu sein.

Architects Of Creation wurde ebenfalls vorab veröffentlicht und bietet einen Querschnitt der Stärken der Band. In hohem Tempo, untermalt mit tödlichen Gesangspassagen und wahnwitzigen Instrumental-Parts, hat die Band ihre „Beute“ fest im Würgegriff. Adrienne wechselt scheinbar mühelos zwischen den Stilen. Dieser Song ist eine Blaupause und wenn er euch nicht schmeckt, wird es schwierig, Zugriff zum Schaffen der Amerikaner zu bekommen. Bis hierhin war nahezu alles Gold, was glänzt. Portrait Of Us kann bei mir auch nach zahlreichen Durchläufen nicht so richtig zünden.

Einfach mal was Schönes: Das folkige Emerald Necklace (so wird ein Zusammenschluss von Parks in Boston und Brookline genannt) startet mit Worten, die mich nicht mehr loslassen: „Never cared much for religion, you’re the one that I believed in. I don’t know if I believe in gods or afterlives, but if there’s a heaven, then wait for me there …“ Wer möchte nicht gerne als „Empfänger“ dieser Zeilen herhalten? Dank Adriennes gefühlvoller Darbietung kullern bei mir die ersten Tränen. Das Gitarrensolo reiht sich nahtlos ein und ist ebenso zum Niederknien. Nach der Reprise werde ich das Gefühl nicht los, dass dieser Song auch aus der Feder von Herrn Sammet stammen könnte. Das meine ich als Kompliment in seiner höchsten Form. Knapp vier Minuten Gänsehaut.

Düster und schleppend fließt Where Sorrows Bear My Name durch meine Gehörgänge. Lasst den „Dämon“ frei: Adriennes Worte sind wie Gift und dennoch kann man sich vor ihren Erzählungen nicht verschließen. Fast schon simpel und offenherzig wirkt dagegen das anschließende No Place For Us. Kaum wahrnehmbar rauschen Worte durch den Sturm und werden von Streichern davongetragen. Das Hauptriff lädt zum Headbangen ein und erneut tritt Kosto mitsamt seiner Axt ins Scheinwerferlicht. Er beweist, wie man ein Solo songdienlich verpackt, ohne den starken Mann markieren zu müssen.

Adrienne Cowan gönnte sich eigenen Berichten zufolge kürzlich eine Auszeit in den Wäldern Norwegens. Ob dort wohl auch diese Eindrücke in Textform entstanden sind? „I know a place where dreams have died, buried beneath a house of lies. Here in the darkness, we survive, chanting the lessons learned in life.“ So oder so trifft die Sängerin zum wiederholten Male einen Nerv bei mir. Es gibt eben nicht nur platte Lyrics in diesem Genre. Die Instrumente lassen trotz ihrer Virtuosität jederzeit genügend Platz zum Atmen. Das Orchester darf wieder aufspielen und einen weiteren Todesstoß in gesanglicher Form einleiten. Diese Leidenschaft, diese unbändige Power. Ich kann sie spüren. Solange es Musiker dieses Formats gibt, mache ich mir keine Sorgen um das Fortbestehen unserer Szene.

Was hat das Finale zu bieten? Spoiler-Alarm: Einen echten Hit! The Old Hurt Of Being Left Behind ist vertonte Therapie. Wird die Protagonistin ihren Weg aus der Dunkelheit ihrer eigenen Vergangenheit finden? Hört selbst! Und wenn ihr bis hierhin gekommen seid und genauso von der epischen Musik auf A Fortress Called Home eingefangen wurdet, dann sehen wir uns hoffentlich beim Rock In Rautheim 2025, denn dort sind Seven Spires im Mai nächsten Jahres live zu sehen.

Seven Spires – A Fortress Called Home
Fazit
Wer die Kommentare der drei verbliebenen Bandmitglieder bei Social Media verfolgt hat, weiß, dass Adrienne, Jack und Peter ihr gesamtes Herzblut und jede freie Minute in dieses Werk gesteckt haben. Dieser Ehrgeiz zahlt sich aus. Seven Spires kehren ihr Innerstes nach außen und lassen den Hörer zu jeder Sekunde an diesem wilden Ritt aus Bombast, Tiefgang, Verzweiflung, Leid und Liebe teilhaben. Ich lehne mich aus dem Fenster und verkünde, dass anno 2024 kein schmackhafteres Album als A Fortress Called Home auf dem fruchtbaren Boden des symphonischen Metals wächst.

Anspieltipps: Almosttown, Impossible Tower, Love’s Souvenir und Architect Of Creation
Florian W.
9
Leserbewertung2 Bewertungen
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