31. August 2023. Ein Video auf Instagram, ein gigantischer Braunbär rennt auf Alex Terrible zu, Frontmann von Slaughter To Prevail. Sie ringen miteinander, brüllen und knurren einander an, und nach einer halben Minute ist der Spaß vorbei, sie gehen auseinander. Alex und der Braunbär scheinen auf Augenhöhe. Zwei Giganten, die sich respektieren. 30 Millionen Klicks.
16. März 2024. Alex reitet den Braunbären, provoziert ihn ein bisschen und ringt wieder mit ihm. 97 Millionen Klicks auf Instagram.
21. August 2024: Alex verputzt rohes Hühnchen gemeinsam mit einem knurrenden und wenig amüsierten sibirischen Tiger. Klicks nach wenigen Stunden: über eine Million.
Alex Terrible, das menschgewordene Monstrum am Mikrofon von Slaughter To Prevail, hat in den vergangenen zwei Jahren wohl eine der spektakulärsten Karrieren im Metal hingelegt und sich vom russischen Underground-Sänger mit rechtsextremer-Vergangenheit zum internationalen Phänomen gemausert, das mal eben auf dem Hellfest die größte Wall of Death aller Zeiten anzettelt, und dessen Videos auf Instagram regelmäßig millionenfach geklickt werden. Doch was mit absurd anmutenden Covern von Popsongs seinen Lauf nahm, in denen Alex die bösesten Growls auf weichste Instrumentierung packte, artet derzeit zu einer Art One-Man-Soap mit Testosteronüberschuss aus und zieht gleichzeitig die Reichweite einer Deathcore-Band in ungeahnte Höhenflüge.
Nie war neben Lorna Shore eine Extrem-Metal-Band so erfolgreich wie Slaughter To Prevail, und der Erfolg scheint vor allem an Alex‘ Präsenz in den sozialen Medien zu liegen. Kaum ein Metal-Sänger ist so aktiv und erfolgreich in den sozialen Medien unterwegs wie Alex. Neben dem üblichen Musik-Content sehen wir hauptsächlich Boxkämpfe im Backstage-Bereich, Extrem-Eisbaden und dann Ringen mit einem gigantischen Braunbären, Abhängen mit riesigen sibirischen Tigern.
Doch irgendwie ist es auch wie bei einem Kind, auf das man ständig aufpassen muss, dass es keinen Unsinn baut und nicht nur sich selbst in Gefahr bringt, sondern durch seine beträchtliche Reichweite auch noch ein Millionenpublikum mit fragwürdigen Inhalten auf geistiger Zimmertemperatur versorgt. Denn während vieles irgendwie unterhaltsam sein mag, birgt der Gesamteindruck dann doch gewisse Problematiken, die zwar jedem bewussten Social-Media-Konsumenten bekannt sein mögen, an unserem aufstrebenden Sternchen am Metal-Himmel vermutlich aber vorbeiziehen wie Festivalbesucher am Stand für alkoholfreies Bier. Je länger man Alex‘ Instagram-Seite begutachtet, umso klarer wird das Bild einer Persönlichkeit, die zwar musikalisch jede Hochachtung verdient, sich jedoch dringend einer kritischen Auseinandersetzung mit ihrer öffentlichen Rolle stellen sollte.
Dabei geht es nicht um seine russische Herkunft oder Jugendsünden in rechtsradikalen Kreisen. Die langjährige Skepsis über sein Verhältnis zum Kriegsverbrecher Wladimir Putin konnte er durch glaubhafte Distanzierung vom Diktator und dessen Militarismus sowie eindeutige Verurteilung des Kriegs gegen die Ukraine beiseite räumen, zumal er 2022 kurzerhand in die USA auswanderte. Seine Neonazi-Tattos, darunter eine Schwarze Sonne, hat er mittlerweile überstechen lassen und sich von rechtem Gedankengut deutlich und auch glaubhaft distanziert. Dadurch repräsentiert Alex öffentlich nicht nur die gelungene Reintegration eines Ex-Mitglieds der rechten Szene und stellt unter Beweis, dass eine zweite Chance im Leben auch genutzt werden kann, sondern ist zugleich ein prominentes Beispiel eines russischen Exilanten, der sich nicht als Kanonenfutter in einem sinnlosen Krieg verheizen ließ und stattdessen im gegnerischen Lager den amerikanischen Traum lebt.
Während diese Transformation beeindruckend ist, ist es vor allem seine Selbstdarstellung in den sozialen Medien, die oft negativ auffällt. Alex präsentiert sich als Inbegriff übersteigerter Männlichkeit: restlos tätowierte Muskeln im knallgrünen Luxus-SUV der Marke Mercedes, mit dem Alex durch seine Nachbarschaft in einem kalifornischen Villenviertel tuckert, lebensgefährliche Stunts wie das Ringen mit einem Braunbären oder brachiale Faustkämpfe, bei denen er Schläge in die Magengrube heroisch erträgt. Für seine Kämpfer-Karriere suchte Alex zuletzt auf Instagram sogar einen Coach, den er künftig gerne mit auf Tour nehmen möchte. Das mag alles irgendwie lustig, heftig, beeindruckend und schräg zugleich sein, doch letztlich spricht Herr Terrible mit derartigem Content auch ein Klientel an, das sich leicht von der Symbolik beeinflussen lässt, die Alex hier zur Schau stellt: überbordende Maskulinität, Stärke, lebensgefährliche Stunts, absurder Reichtum und absolute Fuck-It-Attitüde, während das geistige Niveau nach langem Sinkflug gefühlt dem Bären und seinem muskelbepackten Bezwinger zum Fraß vorgeworfen wurde. Inhaltlich kohärente und grammatikalisch einwandfreie Sätze ohne verbale Ausfälle und Flüche findet man auf Alex‘ Profilen jedenfalls eher selten.
Es ist nachvollziehbar, warum manche in Alex ein Vorbild sehen. Der Sänger symbolisiert gleichermaßen den Bad Boy „Made in Russia“, wie auch den amerikanischen Traum in Rekordzeit, Stärke, Selbstdisziplin und Durchsetzungsfähigkeit. Doch in letzter Konsequenz spielt Alex damit ein durchaus fragwürdiges Spiel, bewegt er sich mit derartigem Content doch bedenklich nah an toxischen Männlichkeits-Bubbles à la Sneako oder Joe Rogan, und vermittelt ein Weltbild, das emanzipierten und modernen Weltsichten eher entgegensteht. Darüber hinaus spricht sich Alex deutlich für ein extrem konservatives Familienbild aus und steht Fragen zur sexuellen Identität eher skeptisch gegenüber. Damit überschreitet er freilich längst nicht die Grenze des Sagbaren. Alex gestand zuletzt auch jedem jede sexuelle Freiheit zu, die er oder sie möchte, fiel aber dann im selben Kontext durch Aussagen auf, deren intellektuelle Fallhöhe in etwa der eines Donald Trump entsprachen. So wären beispielsweise grade Kinder besonders beeinflussbar durch sexuelle Vielfalt, würden alles „wie Schwämme aufnehmen“ und kaum über ihr eigenes Schicksal und ihre sexuelle Identität selbst entscheiden. Das klingt schon fast verschwörungstheoretisch und brandmarkt letztlich Kinder als Blackbox ohne freie Entscheidungsfähigkeit und jeden Diskurs zu sexueller Vielfalt als Gehirnwäsche und Kindeswohlgefährdung. Es ist dabei schon fast ironisch, dass Mr. Terrible mit der Beeinflussbarkeit von Kindern und jungen Erwachsenen argumentiert, während sein eigenes Verhalten letztlich in dieselbe Kerbe schlägt.
Doch es ist wohl genau dieser musikfremde und polarisierende Content, der maßgeblich auch zum Erfolg von Slaughter To Prevail beiträgt. Alex‘ Omnipräsenz in den sozialen Medien und die Viralität seiner Videos auf Instagram und TikTok beleben einen Personenkult, der auf die Popularität der Band zurückfällt. Alex inszeniert sich ganz bewusst nicht ausschließlich als Metal-Sänger und erreicht über Kurzvideos mit absurd anmutenden, gefährlichen Stunts mit riesigen Raubtieren und die Zurschaustellung von Disziplin, Stärke und Männlichkeit ein Publikum, das nicht das geringste Interesse an Metal hat, und erweitert so seinen Radius weit über die Musik hinaus, wird gar zur Online-Persönlichkeit. Andererseits zieht er als Metal-Sternchen auf diese Weise die Aufmerksamkeit fast aller Metal-Medien auf sich, so ja auch dieses wunderbare Magazin. Aus Marketing-Sicht ist das schlichtweg genial, die Konsequenz ist beispiellose Aufmerksamkeit auf einen Künstler einer (eigentlich) Nischen-Musikrichtung.
Metal und insbesondere Deathcore sind nicht zuletzt dank Alex größer und erfolgreicher denn je. Er kann als Solokünstler und mit seiner Band auf Millionen monatliche Hörer zählen – etwas, wovon sich vor wenigen Jahren Top-Acts des Genres wie Thy Art is Murder oder Whitechapel kaum zu träumen wagten. Der Erfolg steht seiner Band, denn aller Kritik zum Trotz sind Slaughter To Prevail musikalisch grundsolide und live die reinste Naturgewalt, Alex Terribles Qualität als Frontmann ist unbestritten. Seine Vocals zählen zu den brutalsten, lautesten und bemerkenswert wiedererkennbarsten im Metal. Die Gruppe um Herrn Terrible verdient die Aufmerksamkeit, ob man das nun gutheißt oder nicht.
Vielleicht wäre dieser Ruhm aber auch nicht halb so groß ohne die Kontroversen, die Alex lange Zeit in den Schlagzeilen hielten. Doch so böse und „terrible“ Alex auch stets daherkommt – irgendwie drollig ist er auch. Erst neulich fuhr er mit besagtem quietschgrünen SUV wieder durch die Nachbarschaft und skandierte im Deathcore-Tonus die Melodie zu Spongebob Schwammkopf. Jemand kommentierte im Netz: „Alex, can you be normal for one moment, please?“, und Alex antwortete knapp: „No“. Ja, es ist wirklich wie mit einem Kind. Nur, dass man eben nicht weiß, ob man es nun lieben oder hassen soll.