Die große Metalkolumne – Die ganze Wahrheit über die Szene! – Teil 1

Wie individuell ist die Metalszene wirklich?

Überdurchschnittlich lange Kopf- und/oder Bartbehaarung, ein unkontrollierter Konsum an Bier und anderer Alkoholika, böse Gesichter und angsteinflößende Gesichtsbemalungen. Die weiblichen Versionen fallen gerne durch unangenehme Lautstärke auf, wanken grölend und betrunken umher, lassen kaum weibliche Züge erkennen und in ihren Kleiderschränken sucht man vergebens nach bunten Kleidern, kein Make-up und kein Modetrend bedeutet ihnen etwas.
Beide Geschlechter tragen gerne abgetragene Shirts mit großen unleserlichen Bandlogos, abgewetzte und ungewaschene Jeanswesten mit zahlreichen Aufnähern und Nieten – dazu harte, meist schwarze britische Arbeiterstiefel, akzentuiert mit Nietenarmbändern und -gürteln, wahlweise mit Patronenimitaten oder großen grotesken Nieten. Zeitgenossen, mit denen man sich besser nicht anlegt und bei zufälligen Begegnungen lieber sofort die Straßenseite wechselt.

So oder so ähnlich könnte eine typische Beschreibung ausfallen, wenn man den Normalo-Mensch nach dem Aussehen eines Metalheads befragen würde. Alles Klischee – natürlich! Aber wie so oft steckt doch ein Fünkchen Wahrheit darin und sicher hat sich jeder Metalhead irgendwie in einem oder mehreren Punkten wiedererkannt. Doch was ist eigentlich dran an diesem Klischee vom dauerbetrunkenen, ungepflegten Langhaar-Nerd, dessen Musikgeschmack überwiegend viel zu laute, für einen Großteil der Weltbevölkerung eher unverständliche Klänge und Töne beinhaltet?

Als Szenezugehörige wissen wir natürlich, dass es so einfach nicht ist. Metal ist und bietet mehr. Mehr als nur Screams und Growls. Mehr als nur Gitarrengeshreddere, mehr als nur „Krach“! Diese heutige Kolumnenausgabe soll sich auch gar nicht um die Grundsatzfrage des Klischees drehen. Wir wollen auch nicht mit Klischees aufräumen – wir alle wissen, dass es sie gibt und dass sie teilweise auch wahr sind. Heute soll es darum gehen, inwieweit die nicht von der Hand zu weisende Uniformierung innerhalb der Szene, die sogar auch noch innerhalb der Genres und Subgenres besondere Formen annimmt, es schafft, die Individualität des Einzelnen zu vergraben und zu beeinflussen. Wie drückt ein Metalhead innerhalb seiner Subkultur Einzigartigkeit aus? Tut er dies überhaupt? Ist es überhaupt nötig, einzigartig zu sein? Ein Versuch, diese Frage zu beantworten, soll hier und heute gestartet werden.

Beginnen wir von vorn. Natürlich sticht jeder Metalhead im Alltag unter den normalen Menschen heraus. Schaut man sich beim nächsten Metalfestival aber mal bewusst um, findet man kaum Auffälligkeiten. Man hebt vielleicht mal erkennend die Augenbrauen, begegnet man jemanden auf Wacken mit demselben Bandshirt aus den Tiefen des Buxtehudener Undergrounds oder lässt den Blick etwas länger auf der Haar- oder Bartpracht des Nebenmanns verweilen. Hier und da überrascht vielleicht jemand mit einer außergewöhnlichen Kuttengestaltung. Gibt es aber signifikant viele Individualisten unter Metalheads?

Ich kann diese Frage aus meiner Sicht mit einem klaren NEIN beantworten. Das Starterpaket aus Bandshirt, Kutte und Dr. Martens Stiefeln hat der Großteil nie abgelegt. Wenn man sich doch ein wenig modisch entwickelt hat oder einen Hang zur Besonderheit hat, bestellt man vielleicht noch bei den großen Szenekatalogen. Die mit niederer Qualität produzierten und ethisch fragwürdig hergestellten Teile sind dann aber auch schon das höchste Maß an modischer Entwicklung. Daran ist ja grundsätzlich auch gar nichts dran auszusetzen. Mit diesem Stil geht man immerhin auf Nummer sicher. Schlimm und nervig wird es nur dann, wenn diese Starter-Metalheads sich auf ihren individuellen Style etwas einbilden. Sie prahlen damit, dass sich die Menschen auf der Straße nach ihnen umdrehen und dass sie ja so auffallen. Natürlich tun sie das auch in einer gewissen Weise– aber eben auch nur, wenn keine anderen Metalheads in der Nähe sind. Gesammelt in einer Gruppe verschwimmt diese Individualität und spätestens beim Eintreten in die nächste Metalkneipe oder die Konzerthalle weicht die vermeintliche Einzigartigkeit wieder der uniformierten Szene.

Die „Nummer sicher“ Version ist eben aber auch genau das. Eine Garantie, in der Gruppe akzeptiert zu werden – egal, wer man eigentlich ist. Man taucht damit wunderbar unter und verschwindet zumindest optisch in der Masse. Fällt nicht wirklich auf, regt keinerlei Interesse der umliegenden Menschen und suggeriert damit unterbewusst auch andersherum kein Interesse an denselben. Ein modisches „Lasst mich bloß in Ruhe. Ich bin eh langweilig.“ Statement.

Die große Frage ist nun, ob es in einer Subkultur wie der unseren überhaupt gewünscht ist herauszustechen. Überwiegt das wohlig warme Gefühl der Zugehörigkeit zu einer großen familienähnlichen Ansammlung von Gleichgesinnten, dem Drang des Einzelnen, sich selbst zu verwirklichen und sich so zu zeigen, wie man ist? Denn mal Hand aufs Herz! Wie sehr kann man sich mit auf ein Standard T-Shirt gedruckte „Vogelscheißeschrift“ wirklich identifizieren und ausdrücken? Natürlich gibt es außerordentlich künstlerische Merchdesigns, doch wenn diese Designs 1000-fach produziert worden sind – wie besonders sind sie dann? Ist man dann nicht doch wieder einer unter vielen? Man kann jetzt natürlich auf die ebenfalls massenhaft angefertigten Kleidungsstücke der großen Modeketten hinweisen, aber hier gibt es doch etwas mehr Spielraum, diese Teile in einen eigenen Stil zu verwandeln und zu kombinieren. Wenn sich im Metalstyle mit dem neuen Shirt nur dieser Teil des Outfits ändert, ist es im Grunde genommen keine wirkliche Änderung. Selbst wenn das Shirt eine rare Sonderedition von Dying Fetus, Mayhem oder Slayer ist, spielt es doch im Gesamteindruck kaum mehr eine Rolle.

Nun haben wir bisher nur das äußerliche Erscheinungsbild der Szene betrachtet und festgestellt, dass es schon mit einem gewissen Aufwand verbunden ist, mithilfe des Kleidungsstils aus der (Metal)masse ins Auge zu stechen. Wie sieht es nun aber mit den charakterlichen Individualitäten aus? Auffallen kann man ja nicht nur oberflächlich und optisch – sondern oder vielleicht vor allem durch charakterliche Züge, durch Auftreten und Verhalten. Wie nah dran sind die Klischee-Trunkenbolde am tatsächlichen Metalhead?
Natürlich gibt es in jeder Situation und Umgebung diese eine Gruppe der unfassbar nervigen Typen von Metalheads, die auf Konzerten oder Festivals bzw. in Bars unterwegs sind und sich gemeinsam mit Vollgas betrinken. Meist sind das auch diejenigen, die aus dem Metal-Starter-Paket nie rausgekommen sind und deren Gruppenmitglieder rein optisch betrachtet tatsächlich irgendwie verwandt sein könnten. Selbe Frisuren, selbe Shirts, ähnliche Ausdrucksweisen. Von diesen Charakteren ist wohl wenig Individualität zu erwarten.
Ein guter Bierkonsum gehört ja auch irgendwie zum Metaldasein dazu. Wie so oft im Leben ist aber auch hier das Maß entscheidend und der Grad von gut drauf sein zu durch den Promillepegel einfach nur peinlich sein ist schmal – sehr schmal. Wer sich hier fragt, ob er dazugehört, kann ja mal seine letzten Konzertselfies auf dem Handy bei Nüchternheit anschauen. Sind diese überwiegend verwackelt, hat man selbst ein eher dümmliches Grinsen, auf jedem Bild ein alkoholisches Getränk in der Hand und sind auf manchen Bildern peinlich berührte, vielleicht sogar unbekannte Gesichter zu sehen? Glückwunsch, du bist wahrscheinlich einer dieser nervigen Suffköppe! Was du nun dagegen tun kannst, behandeln wir in der nächsten Kolumnenausgabe.

Ganz einfach lässt sich Frage nach der charakterlichen Individualität also nicht beantworten. Denn Menschen sind unterschiedlich. Das ist auch in unserer Szene nicht anders und so stößt man am ehesten auf interessante Individualisten, wenn man mal hinter die uniformierte Fassade blickt. Bandshirts oder Kutten haben hier nun auch einmal einen Vorteil. Bieten sie doch gleich einen guten Eisbrecher für ein Gespräch. Und bei einem gemeinsamen Bier in der Umbaupause des Festivals lernt man die ungewöhnlichsten Menschen kennen. Menschen, die irgendwie besonders sind und mit denen man den Hang zu Krachmusik und dem Geschreie der Buxtehudener Underground Thrash-Death-Grindcore Metalband teilt. Und darum geht es doch im wahren Metal. Vor allem anderen ist es doch die Liebe zur Musik, die Offenheit in der Szene, der Zusammenhalt untereinander und die Akzeptanz eines jeden Familienmitgliedes und Genres, das den Metallifestyle lebenswert für uns alle macht. Das ist doch vorbehaltlos nun wirklich ganz realistisch so – oder?