Ende 2021 krachte mit Musa Dagh eine neue, massiv noisige Formation aus profilierten Könnern in die deutsche Alternativerock-Welt. Ihr gleichnamiges Debütalbum, aufgenommen im Homestudio und Arbeitsraum des Beatsteaks-Drummers Thomas Götz, gehörte laut Medienstimmen „klar zu den spannenden Überraschungen des Alternative-Sektors“ (laut.de). Es bot „Verspieltheit und kompositorische Unberechenbarkeit“ (musikreviews) und war „ein wunderbares Noiserock-Album wie aus den Neunzigern. Mit hohen Gitarrenwänden, raffiniertem Schlagzeug und einer Stimme, die aus jedem Track einen Popsong machen kann. Impulsiv, fiebrig und gewaltig.“ (Ox). Mit anderen Worten: Es war ein verdammt lauter, musikalisch anspruchsvoller Husarenritt von drei absoluten Profis, die wissen, was sie da tun.
Nur gut ein Jahr später erscheint nun mit No Future das zweite Musa Dagh-Album; dabei hat sich in der Zwischenzeit viel getan. Thomas Götz hat die Band rund um Gitarrist Aren Emirze (ex-Harmful, Emirsian, Taskete) und Sänger Aydo Abay (ex-Blackmail, Abay, Freindz) verlassen, an seine Stelle trat der Madsen-Schlagzeuger Sascha Madsen. Sie optimierten zunächst die Arbeitsbedingungen – kurze, impulsive gemeinsame Sessions im Proberaum – und anschließend auch jene der Aufnahmen: zusammen mit Produzent Moses Schneider, der schon das Debüt betreut hatte, enterten sie die Hamburger Clouds Hill-Studios und prügelten innerhalb von einer Woche dieses unfassbar dichte, druckvolle, teils derb knatternde und sagenhaft verspielte zweite Album ein.
„Das Komponieren der Songs für das zweite Album ist mir viel leichter von der Hand gegangen als beim Debüt: Man weiß durch die vorherige Arbeit nun viel schneller, was einem gefällt und was nicht“, erklärt Aren Emirze. „Wir konnten uns deshalb viel stringenter darauf fokussieren, was wir durchziehen wollen und was man lieber bereits zu einem frühen Stadium aussortiert. Der Rest kam dann zusammen, als wir zu dritt im Proberaum standen. Das hat sich wunderbar gegenseitig befruchtet. Man hofft in solchen Momenten auf eine Magie, dass da einfach etwas Stimmiges und Gutes von oben runterprasselt, und das ist uns regelmäßig passiert.“ Und auch Aydo Abay sieht in No Future eine existenzielle Weiterentwicklung: „Ich bin an die erste Platte gegangen mit der Haltung: Gut, dann singe ich da jetzt mal drauf, hast du eben noch ein Projekt gemacht. Der große Unterschied zum neuen Album war, dass mir sofort klar war: Wenn ich das mache, dann auch mit bedingungslosem Herzblut. In der Betrachtung jetzt finde ich selber extrem krass, wie groß der Unterschied ist, ob man etwas nur mit Interesse und einer gewissen Erfahrung tut – oder ob man sein Herzblut da reinsteckt. Auch, was da in einem selber noch an neuen Impulsen zusammenkommt.“
Der Übergang vom Beatsteaks-Drummer Thomas Götz zu Sascha Madsen, da sind sich alle einig, war ein „extrem harmonischer und unkomplizierter“. Thomas, der zwar an den ersten neuen Songs noch mitwirkte und mit seinem signifikanten Drumming eine spezielle Atmosphäre schuf, ließ zu einem frühen Zeitpunkt verlauten, dass er für ein zweites Album nicht zur Verfügung stehen kann. Die Wahl von Aren und Aydo fiel auf Sascha Madsen, weil, so Aydo, „ich wusste, dass Sascha das Debüt sehr mochte.“ Einen Anruf später war Sascha dabei – und beweist nun mit seinen rasanten Hi-Speed-Beats, was für ein unglaublicher Instrumentalist in ihm steckt. „Sascha hat sich ans Drumkit gesetzt, dort, wo es bereits Ideen gab, die Beats von Thomas adaptiert und sein eigenes Ding draus gemacht. Dieser Prozess – und Sascha im Allgemeinen – ist ein großes Geschenk für diese Band“, weiß Aren. Zumal nicht nur Thomas, sondern obendrein auch der Beatsteaks-Gitarrist Bernd Kurtzke in Proberaum und Studio vorbeischaute und einigen Songs mit besonderen Sounds und Elementen seinen Stempel aufdrückte.
Als Beispiele, wie gut die „neuen“ Musa Dagh miteinander harmonieren, höre man etwa Rhythm Pigs, ein Monster an Schubkraft und verspieltem Wahnsinn, und im Gegenpol der geradezu poppige Titeltrack No Future, der an die besten Momente eines 90s-aufgeladenen Indierocks mit gebleckten Zähnen erinnert. Algorithms & Alcohol wiederum macht mit seinen stakkatohaften Repetitionen seinem Namen alle Ehre und beweist, in welchem absurden Affentempo Aren und Sascha trotzdem unisono auf den Punkt spielen können. Weekend Warrior – bei dem Bernd Kurtzke mit Aydo im Duett um die Wette screamt – beweist, dass sich Musa Dach selbst einer Metal-Ästhetik bemächtigen und zugleich ihr ganz eigenes Ding draus machen können. Und dass es auch anders geht als laut, krass und noisig, beweist das atemberaubend schöne 0200 Hours. Was für ein Album! Was für eine Vielseitigkeit!
Kurz gesagt: No Future ist noch mehr Musa Dagh als das Album zuvor. Es ist dichter, weiser, weiter. Und es wird – und das ist sodann die zweite gute Nachricht – nunmehr auch live zu Gehör gebracht. Die erste Musa Dagh-Tour im Mai ist bereits gebucht. Und die Konzerte werden, so viel kann man versprechen, für jeden, der spannende, individuelle Rockmusik schätzt, ein Ereignis werden, von denen man in diesem Jahr nicht viele vergleichbare finden wird.
No Future Tracklist:
1. Bossanova USA
2. Rhythm Pigs (A.F.D.M)
3. No Future
4. Algorithms & Alcohol
5. 0200 Hours
6. Congaah
7. VU
8. Weekend Warrior
9. Your Garden
10. Me Two
Im Mai sind Musa Dagh auf Tour:
17.05. Hamburg – Molotow Skybar
18.05. Köln – Artheater 19.05. München – Strom 21.05. Leipzig – Naumanns 22.05. Nürnberg – Club Stereo 23.05. Frankfurt/Main – Nachtleben 24.05. Berlin – Badehaus Berlin