Oceans – Happy

Wut tut gut

Artist: Oceans

Herkunft: Deutschland, Österreich

Album: Happy

Spiellänge: 39:37 Minuten

Genre: Nu Metal, Death Metal

Release: 27.09.2024

Label: Nuclear Blast Records

Link: https://oceansofficial.com/

Bandmitglieder:

Gesang und Gitarre – Timo Rotten
Gitarre – Patrick Zarske
Bassgitarre – Thomas Winkelmann
Schlagzeug – J.F. Grill

Tracklist:

  1. Parasite
  2. Spit
  3. Click Like Share
  4. Let It Burn
  5. Self Doubt 24/7
  6. Happy
  7. Slaves To The Feed
  8. Breed Consume Die
  9. The Birth Of Death
  10. Father?
  11. In The End There’s Always Pain

Seit Jahrzehnten ist Musik DER Weg, um mich mit meinen persönlichen Dämonen auseinanderzusetzen. Einen kleinen, aber unheimlich wichtigen Teil dieses Weges gingen in den vergangenen Jahren die Jungs von Oceans mit mir. Werke wie We Are Nøt Okay und Hell Is Where The Heart Is waren und sind Anker, die mich davor bewahrten, in den tiefschwarzen Abgrund zu sinken. Nach zahlreichen Rezensionen und Interviews fehlte nur noch ein entscheidendes Puzzleteil – ein Livekonzert. Dieses Teil konnte ich im März auf der Tour der Band gemeinsam mit Our Mirage hinzufügen. Und was soll ich sagen? Oceans und allen voran Frontmann Timo sind auf der Bühne eine Urgewalt. Die Vorboten zum dritten Album Happy zeigen, dass Oceans versuchen, diese rohe Gewalt auf dem neuesten Werk zu kanalisieren. Es reicht dem Goldfisch, der das Cover von Happy ziert, eben nicht, sich innerhalb seiner Wände mit seinen Gedanken zu befassen, er möchte raus in die Weiten des Ozeans und einfach glücklich sein.

„I used to be happy“ – die ersten Zeilen von Parasite sind in der Ferne zu vernehmen. Das Monster schleicht sich an, das Adrenalin beginnt zu kochen. Doch halt! Bin ich etwa selbst das Monster in meinem Kopf, vor dem ich jahrelang Angst hatte? Keine Sorge, du bist nicht allein mit dieser Erkenntnis. Musikalisch stehen alle Zeichen auf Kampf. In unter zwei Minuten liefern Oceans eine Mischung aus ihrem bekannten Nu-Death-Sound und wilder Melodic Black Metal Raserei.

Wer kennt es nicht, das Gefühl, alles läuft gegen mich und wo bleibt der verdammte Soundtrack, um dieses Gefühl zu vertonen, und alles kurz und klein zu schlagen? Damit das neu gewonnene Kampfgefühl nicht versiegt, ist Spit der hocherhobene Mittelfinger in Richtung toxischer Menschen und einem Leben, welches mal wieder aus der Umlaufbahn geraten ist. Der melodische Keyboardsound aus Parasite, der durchaus aus dem Cradle Of Filth-Universum stammen könnte, bleibt erhalten. Dazu gesellen sich Low-Slinger-Riffs und eine unbändige Wut, die ich seit dem Slipknot-Debüt nicht mehr gehört habe. Dieses Raubtier ist verdammt böse.

Social Media, du böser Geist, auch wenn du mich zu Boden reißt, ich stehe auf, du boxt mich nieder, ich schalt‘ dich aus und konsumier‘ dich wieder! Wie sagte schon der deutsche Rapper Alligatoah so treffend: „Willst du dir ’nen Namen machen, musst du auf die Straße kacken!“ So beginnt die wilde Fahrt in Click Like Share mit einem Soundsample aus der saudämlichen „Sprite Challenge“, die auf TikTok ihre Runden drehte. Alles für Likes, egal, wie tief wir dabei sinken. Passend zu diesem Albtraum aus „witzigen Spielchen“ zeigt sich der Song noch angepisster als zuvor Spit. J.F. knüppelt sich wie ein Berserker durch die zweieinhalb Minuten und die Lyrics rechnen mit allem ab, was in der heutigen Onlinewelt schiefläuft.

Passend zum Titel startet Let It Burn erneut mit einer ordentlichen Portion Zorn. Doch anders als das bisher Gehörte liefern Oceans einen hymnischen Refrain und dazu cleane Vocals, die sich mit coolen, geflüsterten Parts im Hintergrund duellieren. Bevor die Ader am Hals wieder anschwillt, gibt es einen Part mit Sprechgesang, der das Szenario weiter auflockert. Guter Kontrast zum bisherigen Massaker.

Quelle: Nuclear Blast Records

Wir leben in einer Gesellschaft, die darauf konditioniert wurde, die bestmögliche Wirkung nach außen zu erzielen. Doch wo bleibt mein Selbstwertgefühl? Bin ich wirklich glücklich oder nur glücklich, anderen zu dienen? Mit diesem Thema beschäftigt sich Self Doubt 24/7 und hält feine musikalische Details parat. Als da wären: Ein verträumter Refrain, ein moderner Part, der mit seinen verzerrten Vocals an Sleep Token erinnert und dicke Grooves, die niemanden stillsitzen lassen.

Das Leben steht im ständigen Wandel. Früher war ich doch so glücklich, wo ist die Leichtigkeit hin? Der Titelsong startet ungewohnt ruhig, die Lyrics gehen unter die Haut. Tränen bahnen sich an. Was als waschechte Ballade startet, schwenkt ab der Hälfte in eine Post-Hardcore-Melancholie um, wie ich sie bisher nicht von Oceans kannte. Zum Ende gibt es noch schräge Sounds, die wie ein verzerrtes Saxofon klingen. Das Wichtigste ist jedoch, dass die Band die Gedanken, die viele von uns haben, perfekt vertonen kann.

Doomscrolling for the win! Auch wieder so eine Sache, die viele von uns kennen. Man scrollt und scrollt durch Feeds und fühlt sich am Ende kein Stück besser. Ganz im Gegenteil, Doomscrolling kann sogar krank machen. Für diese erneute Abrechnung mit dem Teufel namens Social Media haben sich Oceans Verstärkung aus Down Under geholt. Genauer gesagt, sind Keyboarderin Misstiq und Frontbrüllwürfel Josh Collard von Earth Caller auf dem Track zu hören. Sprechgesang setzt ein und die erwähnte Abrechnung nimmt ihren Lauf. Was jetzt folgt, klingt einfach nur genial in meinen Ohren. Bombastische Keyboardteppiche, epische Chöre und darüber rappt Josh Collard seinen Part. Erinnert mich an Falling In Reverse, was als Kompliment gemeint ist. An alle Hater in den YouTube-Kommentaren: Schon mal überlegt, dass die „cringy-lyrics“, wie ihr sie nennt, absichtlich in eure Richtung zielen?

Die beiden erwähnten Gäste bleiben im Spiel, dennoch kann ich Breed Consume Die nicht die gleiche Liebe zuteilwerden lassen wie Slaves To The Feed. Der Gesang klingt teilweise etwas neben der Spur und der Songaufbau schleppt sich so durch. Ja, Christoph Wieczorek von Annisokay hat an der Nummer mitgearbeitet, aber warum zum Teufel klingt der Refrain dann genauso wie der Song Human seiner eigenen Band? Ebenso ratlos stehe ich auf einmal vor dem anschließenden The Birth Of Death. Völlig zerfahrene Parts, die für mich nicht zusammenpassen. Geht der Band auf den letzten Metern etwa die Luft aus?

Wenn man wie ich seinen Vater erst ein Jahr zuvor auf tragische Art und Weise verloren hat, könnte ein Lied mit dem Titel Father? eine ganz eigene Wirkung erzielen. Der melancholische Death Metal erinnert ein wenig an Oceans‘ Debütalbum The Sun And The Cold. Die verzweifelten Schreie spiegeln den lyrischen Inhalt gut wider. Auch das eigene „Duell“ im Refrain, bestehend aus Harsh- und Clean-Vocals, entfaltet eine starke Energie. Ein kleines bisschen fehlt jedoch, um mich in dieser Nummer komplett fallen zu lassen.

Nachdem mich das Album mit den letzten drei Titeln etwas „verloren“ hat, bleibt zum Abschluss noch ein Longtrack, um mich wieder auf den Weg zu führen. Wow, 7:14 Minuten dürfte die bisherige Bestmarke der Jungs sein. Nichts ist mit „Ende gut, alles gut“. Auf Happy (nur ein leeres Versprechen?) bleibt am Ende nur der Schmerz. In The End There’s Always Pain startet mit einer melancholisch getragenen Einführung. Doch danach wird das Tempo gekonnt variiert. Hier fügen sich die Puzzleteile schlicht besser zusammen als im zerfahrenen The Birth Of Death. Ja, ich bin wieder dabei. Die Post Black Metal Riffs sitzen, der Bass knarzt, die Keyboardsounds spielen eine Rolle, drängen sich aber nicht in den Vordergrund. Zwischendurch spielen sogar beinahe Mathcore-artige Riffs eine Rolle. Dazu liefert Timo eine starke Gesangsleistung ab. Nicht gerade eine typische Oceans-Nummer, falls es so etwas überhaupt gibt, aber genau aus diesem Grund ein großartiger Schlusspunkt.

Oceans – Happy
Fazit
Happy ist ein sehr menschliches Album geworden. Voller Wut, Verzweiflung, Schmerz und einer Prise Glück. Genau wie jeder Mensch hat das Werk auch seine Fehler. Doch sind es nicht genau die kleinen Fehler, die uns zu dem machen, was wir sind? Ich bin davon überzeugt. Das, was mich an Oceans drittem Studioalbum glücklich macht, entlockt anderen vielleicht nicht mal ein müdes Lächeln. Das, was mich bei einigen Songs vor Rätsel stellt, ist wiederum der Schlüssel zum Glück für andere. DAS Rezept für Glückseligkeit gibt es nicht, Happy liefert aber eine ganze Menge Argumente, um der Soundtrack im Leben zahlreicher Musikfreaks zu werden.

Anspieltipps: Self Doubt 24/7, Slaves To The Feed und In The End There’s Always Pain
Florian W.
8.5
Leserbewertung2 Bewertungen
9.3
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