The Devil Wears Prada – Flowers

14.11.2025 - Metalcore, Post-Hardcore - Solid State Records - 42:19 Minuten

Trotz der ca. 7.000 km, die den Harz vom US-Bundesstaat Ohio trennen, fühle ich mich der weit entfernten Region an diesem goldenen Herbsttag etwas näher. Der Blick auf die Wetter-App verrät, dass es mit 15 Grad und Sonnenschein in Dayton – der Gründungsstadt von The Devil Wears Prada – ähnlich herrliches Wetter ist wie in meiner Heimat. Zurück vom Spaziergang, bei dem das aktuelle Album der Amerikaner schon einige Runden drehte, fühle ich mich bereits mit dem Material vertraut. Ein Gefühl, das mir die Band bisher nicht unbedingt vermittelte. Weder in diesem Jahr noch in den vergangenen 20 Bandjahren standen Prada auf meiner Shopping- bzw. Playlist. Der einprägsame Name war mir schon ein Begriff, dennoch haben The Devil Wears Prada nie den Weg zu mir gefunden. Das soll sich mit dem neunten Studioalbum Flowers ändern. Die ersten Singles zum Album fanden schnell den Weg in meine Playlist und die Vorfreude stieg. Schnell wurde klar, dass sich TDWP mit Themen wie Depressionen, Existenz und Tod auseinandersetzen. Themen, die mich persönlich begleiten und mehr Gehör finden müssen. „Das Album handelt davon, zu verstehen, warum man sich immer noch mit Dunkelheit und Dämonen auseinandersetzen muss, obwohl man alles erreicht hat, was man sich gewünscht hat“, erläutert Sänger und Gitarrist Jeremy.

The Devil Wears Prada – Quelle: Kinda

Die Bandbesetzung hat sich zum letzten Album Color Decay (2022) nicht geändert: Mike Hranica (Gesang), Jeremy DePoyster (Gitarre, Gesang), Kyle Sipress (Gitarre), Jonathan Gering (Keyboard, Synthesizer, Programmierung, Percussion) und Giuseppe Capolupo (Schlagzeug). Einen tragischen Verlust gab es dennoch zu verzeichnen: Mitbegründer und Drummer Daniel Williams kam im Mai dieses Jahres bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Ein schwarzes Kapitel mehr, welches The Devil Wears Prada begleitet. Doch nun schlagen wir die 14 Kapitel im neuen Werk Flowers auf.

Emotionen en masse

Das gesprochene Intro That Same Place nebst Klavierklängen und Streichern gibt die Richtung vor: Rechnet heute nicht mit einem Happy End. Der verkappte Titeltrack Where The Flowers Never Grow folgt und löst in mir jede menschenmögliche Emotion aus. Wut, Machtlosigkeit, Sentimentalität und mehr. Wir gehen an einen einsamen Ort, dort, wo die Blumen niemals wachsen. Die Zeilen „I’m barely hangin‘ on, kept in the darkness … goodbye to who I used to be, something’s fucking wrong with me“ klingen wie eine Anklage, ein Aufschrei der Verzweiflung. Das glockenhelle Keyboardthema macht Hoffnung, der Beat treibt nach vorne. Ich bin umhüllt von den mächtigen Vocals, die eine großartige Produktion mit sich bringen. Der Bass gewinnt die Oberhand, ehe sich eine erneute Wall of Sound mitsamt orchestraler Thematik aufbaut. Der positive Sound verwischt die tiefgreifenden Lyrics. Doch diese Feststellung hält nur kurz: Wutausbrüche schlagen in hektischen Breakdowns nieder. TDWP haben ihr Inneres nach außen gekehrt und einen der besten Songs des Jahres geschrieben.

Ein unruhiger Beat leitet Everybody Knows ein, ehe eine leicht verzerrte Gitarre übernimmt. Der Refrain ist stadiontauglich. Fäuste geballt und raus aus dieser Sackgasse. Vielleicht finde ich den Weg nach Hause. Begleitet werde ich von einer wohligen Eingängigkeit, die zu keiner Sekunde platt wirkt. So Low wirkt energetisch und getrieben und enthält mit „Tell me why the highs always feel so low, I only feel alive when I lose control“ die vermutlich besten Zeilen des Musikjahres. Während des Spaziergangs habe ich diese Zeile mehr als einmal in den Himmel geschrien. Muss ich erst alles in Schutt und Asche legen, bevor ich wieder meinen Puls fühle? Die Drums treiben weiter voran und leiten den explosiven Breakdown ein. Das Schöne im Gesamtkonzept der Band sind die gekonnt produzierten Synthies von Jonathan Gering und die oft nur kurz eingestreuten Akustikparts.

Alles ist toxisch

For You behandelt eine einseitige Liebesbeziehung. Während der eine Teil voller Hingabe agiert, kann der andere Part diese Liebe nicht erwidern. Sozusagen das englischsprachige Pendant zu Alles Aus Liebe. Der mal wechselnde, mal ineinander greifende Gesang von Mike und Jeremy sorgt dafür, dass ich unmittelbar in dieses Wechselbad der Gefühle eintauche. Wir bleiben beim Thema Beziehungen. Im Song All Out stellt ein selbstsüchtiger Freund seine Bedürfnisse über die Beziehung. Musikalisch befinden wir uns nach wenigen Sekunden mitten im Moshpit. Die Riffs brennen wie Feuer, das Glas bricht und die Drums untermalen die Szene mit Urgewalt. Ich fühle jeden Schlag auf die Snare. Der sphärische Gesang im Mittelteil erinnert an Deftones.

Erneut bestimmt ein Synthie-Thema das Geschehen. Der Gesang besteht größtenteils aus einem Hauptteil und der „Stimme im Kopf“. Man kann die Produktion der Vocals nicht genug loben. Der Refrain schmeißt mit Hooks um sich. Die dreckigen Riffs, gepaart mit besagten Synthies, haben sogar was von Industrial Metal. An Abwechslung mangelt es jedenfalls nicht. Das Stimmungsbild verdunkelt sich mit When You’re Gone deutlich. Akustikpassagen wechseln sich mit schrillem Riffing und eindringlichen, teils gesprochenen, Vocals ab. Ein finsterer Trip in die Tiefe der Seele, der mit dem typischen „Nachrichtensignal“ endet (Kids der 90er/2000er werden sich erinnern).

Zufriedenheit im Mittelmaß?

The Sky Behind The Rain enthält eine Nachricht, die gewissermaßen den zweiten Teil des Albums einleitet. Ab hier wird der Sound auf Flowers deutlich elektronischer und gelöster. Hier sticht besonders Wave hervor, das im Kurzfilm That Same Place Where The Flowers Never Grow zusammen mit dem Titelsong eine unzertrennliche Einheit bildet. Zurückhaltende Instrumentierung führt uns zu der Maxime, dass man nicht alle Kämpfe gewinnen kann. Manchmal muss man sich von der Welle des Lebens treiben lassen. Das abschließende My Paradise liefert dann das Beste beider Welten. Die beatlastigen Elektroparts in den Strophen und die ausufernden Arrangements im Refrain gehen Hand in Hand. Die Lyrics warten ein letztes Mal mit der abschließenden Erkenntnis auf: Möge diese Mittelmäßigkeit mein Paradies sein.

HIER! geht es für weitere Informationen zu The Devil Wears Prada – Flowers in unserem Time For Metal Release-Kalender.

The Devil Wears Prada – Flowers
Fazit zu Flowers
Obwohl sich Flowers zum Abschluss textlich mit dem Mittelmaß zufrieden gibt, brauchen es The Devil Wears Prada nicht zu tun. In der Szene sind die Amerikaner längst etabliert und können mit ihrem neunten Album sogar einen alten Hasen wie mich auf ganzer Linie überzeugen. Die Texte gehen unter die Haut und können sowohl mein heutiges Ich als auch den Teenager in mir berühren. Die Vocal-Produktion sowie die Performance der beiden Sänger sind ein echtes Statement und heben die Band von der grauen Masse ab. Für Hörer, die modernen Metalcore, Post-Hardcore und alte Schinken (das kam doch gerade erst raus, oder?) wie The Black Parade gleichberechtigt in ihrer Playlist haben. Skinny Jeans und Eyeliner sind hier Pflicht!

Anspieltipps: Where The Flowers Never Grow, So Low und All Out
Flo W.
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