Cynic – Ascension Codes

Die überirdischen Klänge leben weiter

Artist: Cynic

Herkunft: Florida, USA

Album: Ascension Codes

Spiellänge: 49:06 Minuten

Genre: Progressive Metal, Progressive Rock, Ambient

Release: 26.11.2021

Label: Season Of Mist

Link: https://www.facebook.com/Cynicofficialpage

Bandmitglieder:

Gesang und Gitarre – Paul Masvidal
Bass-Synthesizer, Keyboard – Dave Mackay
Schlagzeug – Matt Lynch

Tracklist:

  1. Mu-54*
  2. The Winged Ones
  3. A‘-va432
  4. Elements And Their Inhabitants
  5. Ha-144
  6. Mythical Serpents
  7. Sha48*
  8. 6th Dimensional Archetype
  9. DNA Activation Template
  10. Shar-216
  11. Architects Of Consciousness
  12. DA’z-a86.4
  13. Aurora
  14. DU-*61.714285
  15. In A Multiverse Where Atoms Sing
  16. A’jha108
  17. Diamond Light Body
  18. Ec-ka72

Masvidal, Reinert, Malone: Drei Namen, die im Prog-Universum über Jahre hinweg scheinbar unzertrennlich miteinander verschmolzen waren. Ein Album wie Focus, welches 1993 einen Klangkosmos erschaffen hatte, der seiner Zeit weit voraus war, legte den Grundstein der Band Cynic. Zwei Jahre zuvor waren Gitarrist Paul Masvidal und Drummer Sean Reinert auch am Death-Meisterwerk Human beteiligt. Später fanden ihre kreativen Geister den Weg auf zwei Alben unter dem Namen Aeon Spoke. Leider zerstörte nicht nur die Pandemie, sondern auch das Schicksal die Zusammenarbeit von Cynic. Anfang 2020 verstarb Sean Reinert im Alter von 48 Jahren an Herzversagen. Ende desselben Jahres folgte ihm sein langjähriger Weggefährte Sean Malone im Alter von 50 Jahren durch seinen Freitod. Dass der verbliebene Cynic-Mitbegründer Paul Masvidal Ende letzten Jahres trotzdem die Kraft aufbrachte, das vierte Album der Band namens Ascension Codes aufzunehmen, ist angesichts dieser Rückschläge erstaunlich.

Doch wo das Schicksal hart zuschlägt, öffnet es gleichzeitig auch Türen für neue Wege. So geschehen nach dem Ausstieg Reinerts im Jahr 2015. Zu dem Zeitpunkt fanden Cynic den passenden Ersatz in Matt Lynch, dessen hybrides Spiel zwischen Drum ’n‘ Bass und Prog für heruntergeklappte Kinnladen sorgt. Lynch kam auf Empfehlung von BTBAM-Bassist Dan Briggs in die Band. Malones Ableben war allerdings noch zu frisch. Masvidal versuchte gar nicht erst, den Bass- und Chapman-Stick-Virtuosen zu ersetzen. Die Basslinien, die auf Ascension Codes zu hören sind, entstammen dem Bass-Synthesizer von Keyboarder Dave Mackay. Der erfahrene Mckay tourte unter anderem schon mit Größen wie Art Garfunkel und Plini. Letzterer steuerte ein Solo zum Song The Winged Ones bei. Neben Plini luden Cynic eine ganze Armada an Gastmusikern zu den Aufnahmen ein, die allerdings nicht gerade Instrumente von der Stange spielen. So sind auf dem vierten Studioalbum der Amerikaner z. B. „holografische Reptilienstimmen“, Kristallklangschalen und harfenartige Ambient-Gitarren zu hören.

Auch das fantastische Cover hat eine Geschichte, die zum wirren Stil und den Ereignissen passt: Es zeigt das Motiv The Landing und die Ankunft eines Mutterschiffs aus Licht und Fleisch. Es stammt aus der Feder der deutschen Künstlerin Martina Hoffmann. Diese wiederum war die langjährige Partnerin von Robert Venosa († 2011) dessen Gemälde auf allen Cynic-Alben zwischen 1993 und 2018 zu sehen sind. Alles gute Vorzeichen für eine magische Klangreise durch die Hirnwindungen von Mastermind Paul Masvidal?

Was ich vorwegnehmen kann: So viel gesungen wie auf dem Vorgänger Kindly Bent To Free Us wird auf Ascension Codes nicht. Die Growls der ersten beiden Outputs fallen ebenfalls weg. Masvidal und die anderen Sänger bzw. Sängerinnen setzen ihre Stimme mitunter durch Vocoder-Effekte verzerrt eher wie zusätzliche Instrumente ein. Die Anzahl der Titel täuscht, denn die etwas kryptischen Titel sind allesamt sogenannte „Code-Interludes“ des Ascension Codes (dt. Aufstiegs-Codes). Die eigentlichen Songs bieten Cynic in Reinkultur. Jeder Genre-Schublade trotzend, kann man Spannendes entdecken, wenn man sich dem Mix aus Prog, Jazz und Ambient anvertrauen möchte. Die Jazz-Death-Zeiten sind definitiv vorbei. Neben den wirklich beeindruckenden sphärischen Ergüssen verblüffen mich in erster Linie die Drum ’n‘ Bass Salven von Matt Lynch. Die sorgen für Risse in der Schädeldecke.

Am besten klingt es, wenn die Instrumente etwas Luft zum Atmen bekommen und nicht jede Spur auf der Aufnahme zugemauert wird. Nachzuhören auf dem Videospiel-artigen The Winged Ones oder Mythical Serpents, der fast schon als Ohrwurm durchgeht. Cynic wirken futuristisch und könnten ohne Probleme den Soundtrack zu einem Science-Fiction-Film liefern. Mit dem Mutterschiff, welches das Cover ziert, gleite ich durch Raum und Zeit, ohne zu wissen, welcher Song gerade beginnt oder aufhört. Eine musikalische Droge, die das Bewusstsein erweitert. Für einen kleinen Break im Code sorgt Aurora, dass nicht so bedrückend wirkt wie seine Kameraden. Momente, die an Aeon Spoke erinnern. Der federleichte Drumsound zu Beginn lädt ebenso zum Träumen ein wie Masvidals Gesangsharmonien. Wie viele Rhythmus- und Akkordwechsel bekommt ihr in knapp vier Minuten unter? Cynic: Ja! In A Multiverse Where Atoms Sing ist der Beweis, dass der Spirit von Bands wie Watchtower und Psychotic Waltz noch immer lebt. Da hat die Drei-Akkorde-Fraktion nichts zu lachen. Die gesamte Spieldauer von Ascension Codes ist mitunter etwas anstrengend, aber auch unheimlich schön. Danke fürs Weitermachen nach all den Rückschlägen, Paul.

Cynic – Ascension Codes
Fazit
Knapp 30 Jahre nach dem Debütalbum wirken Cynic noch immer vollkommen überirdisch und sind ihrer Zeit voraus. Ascension Codes ist ein Vermächtnis an gefallene Brüder und einen Schritt in Richtung Zukunft der Band.

Anspieltipps: The Winged Ones, Mythical Serpents und Aurora
Florian W.
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