Artist: Future Palace
Herkunft: Berlin, Deutschland
Album: Distortion
Spiellänge: 39:10 Minuten
Genre: Metalcore, Modern Metal, Post-Hardcore
Release: 06.09.2024
Label: Arising Empire
Link: https://future-palace.com/
Bandmitglieder:
Gesang – Maria Lessing
Gitarre – Manuel Kohlert
Schlagzeug – Johannes Frenzel
Tracklist:
- Uncontrolled
- Malphas
- Panic Paralysis
- The Echoes Of Disparity (feat. Charlie Rolfe)
- Dreamstate
- Decarabia
- In Too Deep
- Rays Of Light
- A Fool On A Devil’s Reins
- They Take What They Want
- Amethyst
So höret, ihr Altvorderen der metallischen Spezies, diese Spielleute sind gekommen, um die Mauern in euren Köpfen einzureißen und darauf den Palast ihrer eigenen Zukunft zu erbauen. Wurden die Grundsteine von Future Palace auf ihrem Debütalbum Escape noch behutsam aufgebaut, so konnte man zwei Jahre später auf Run schon aus dem Turmfenster in Richtung goldene Zukunft blicken. Distortion (dt. Verzerrung) heißt das aktuelle Werk aus der Feder von Maria, Manuel und Johannes aus Berlin. Verzerrung kennen wir Metalheads nur zu gut. Doch soll es hier nicht nur um verzerrte Gitarren, sondern vorrangig um das psychologische Konzept der kognitiven Verzerrung gehen. Das Album handelt von persönlichen Dämonen, Unterdrückung und psychischen Krankheiten wie Depressionen, ADHS oder auch Narzissmus. Future Palace halten der Gesellschaft einen Spiegel vor.
Dass die Band hart für ihren Erfolg arbeitet, kann man anhand der Liveaktivitäten der Berliner ablesen. 2022 ritten Future Palace noch Seite an Seite mit Battle Beast, nur um ein Jahr später die Kohlen im Tekkno Train der Jungs von Electric Callboy zum Glühen zu bringen. In diesem Jahr bespielte die Gruppe nahezu alle Festivalbühnen mit Rang und Namen. Darunter das Reload, Summer Breeze oder das Wacken Open Air.
Wird das Trio mit seinem dritten Streich endgültig alle Widersacher in die Flucht schlagen und seine Tore verteidigen? Die kommende Spielzeit wird es zeigen.
Den Kontrollverlust über scheinbar einfachste alltägliche Aufgaben musste ich persönlich schon viel zu häufig erleben. Uncontrolled beschreibt genau diesen Umstand. Musikalisch lassen ungeahnt brachiale Riffs aufhorchen. Maria schreit ihre Machtlosigkeit in die Welt hinaus, ehe sie sich im Refrain von ihrer sensiblen Seite zeigt. Ein echtes Statement, das Future Palace direkt zum Auftakt droppen.
Malphas war vor über einem Jahr nicht nur der Vorbote zum aktuellen Material, sondern bezeichnet auch einen höllischen Dämon, halb Mensch, halb Rabe. Machte sich im vorherigen Lied noch ein Gefühl der Hilflosigkeit breit, so wird jetzt der Kampf mit den inneren Dämonen angenommen. Unterkühlte Synths treffen erneut auf tonnenschwere Gitarrenwände. Entschlossene Gesangspassagen wechseln sich mit wütenden Shouts und fast schon gesprochenen Parts ab. Der Refrain setzt sich aufs Neue in meinem Gedächtnis fest.
Panic Paralysis gehört in die Kategorie „braucht ein bisschen“. Nimmt man sich die Zeit, wird man belohnt. Etwas getragener und auch poppiger startet die Nummer und baut wieder auf Fragmente des Sprechgesangs. Hauptsächlich clean vorgetragen, werden die Shouts dieses Mal etwas in den Hintergrund gerückt. Definitiv ein Song, den man seinen Nicht-Metal-Freunden unterjubeln kann, um sie zu bekehren.
Vor ca. einem Jahr sprachen die liebe Kollegin Pia und ich in Podcastfolge 104 noch mit Frontfrau Maria über ihre Verbindung zu anderen visuell auffällig agierenden Bands wie As Everything Unfolds. Bestand damals nur ein loser Kontakt zu deren Sängerin Charlie Rolfe, so dürfen wir in The Echoes Of Disparity das einzige Feature auf Distortion erleben. Nein, ich weiß als Mann nicht, wie man sich im Körper einer Frau fühlt. Was ich jedoch gut weiß, ist, dass es sich die Herren der Schöpfung noch immer herausnehmen, Frauen zu unterdrücken und als Objekte zu betrachten. Männer, versucht besser zu sein! Maria und Charlie präsentieren sich dem Thema entsprechend richtig angepisst und erheben den Mittelfinger. Ein düsterer Beat treibt den Frontalangriff voran. Wut, Hass, Tränen, Unverständnis, hier wird einiges an Gefühlen freigesetzt – auch in mir. Mit einem wütenden „sorry, it’s 2024, I can’t take this anymore“ schließe ich im Namen aller Frauen und füge noch „was für ein Abriss“ hinzu.
Warum berühren mich Future Palace mit jedem neuen Song? Diese Frage stellte ich mir vor wenigen Monaten, als Dreamstate veröffentlicht wurde. Ganz einfach: Weil sie ihre Gefühle nicht hinterm Berg halten und in unnötige Metaphern verpacken. Darüber hinaus schreibt das Trio einfach brutal eingängige Hooks. Ich meine, hört euch diesen atemberaubenden Refrain an. Anschließend hat mein Monitor keine andere Wahl, als von mir mit einem zornigen „I feel angry and alone“ angeschrien zu werden.
Wer längere Zeit mit Electric Callboy unterwegs ist, entwickelt einen Hang zu tanzbaren Rhythmen. Decarabia macht es vor. Was klingt wie eine entkoffeinierte Kaffeespezialität, ist in Wahrheit ein Dämon aus der okkulten Mythologie, der sich in Gestalt eines Seesterns oder eines Pentagramms zeigt – krasser shit! Unterm Strich bleibt ein waschechter Dancefloor-Hit aus Berlin, der live abgehen wird wie ein Zäpfchen. Weniger Dancefloor, mehr Moshpit ist die Devise im darauffolgenden In Too Deep. Mal Abrissbirne, mal Kuscheldecke. Diese Mischung haben Future Palace im Blut.
Gerade sind Linkin Park wieder zurück aus der Versenkung, schon macht sich ein nostalgisches Gefühl zu Beginn des nächsten Stücks breit. Ist es nur der gewählte Synthesizer-Klang, oder spielt mir mein Unterbewusstsein einen Streich? Sei’s drum, denn Rays Of Light hat noch mehr zu bieten. Ein weiteres Mal erhält der Refrain eine Dauerkarte für die Fahrt durch meine Hirnwindungen und es gibt auch richtig aufs Maul. Was ist da bitte ab Minute 2:18 los? Doublebass-Abfahrt und fast schon Death-Metal-Auswüchse durchbrechen die Schallmauer. A Fool On A Devil’s Reins offenbart weitere Facetten von Marias Gesang: Rap-Einlagen sowie aggressive Vocals, ohne zu Shouten, stehen ihr gut zu Gesicht. „You’re gonna watch me bleeeeeeed“ – fühle ich, Freunde.
Elektronische Beats eröffnen They Take What They Want. Macht, Ego und Erfolg über allem anderen. Davon handeln die eindringlichen Lyrics. Die eher düstere Grundstimmung untermalt das Szenario. Bitterböse Shouts werden durch fast schon gregorianisch anmutende Chöre und ein Orchester unterstützt. Das ist an Intensität nicht zu überbieten. Isoliert man diesen Part, gehört er für mich zum Besten, was die Band bisher hervorgebracht hat. Diese negative Energie muss erst mal absorbiert werden. Diese Fähigkeit sagt man auch einem Stein namens Amethyst nach. Der „Stein“, auf den sich ein Mensch gerne in dieser kaputten Welt stützen möchte, ist in diesem Fall ein anderer Mensch. Der Partner, ein Freund, einfach eine Person, die als Halt dient, wenn alles zu zerfallen droht. Musikalisch bleibt alles im Fluss des bisher gehörten: melancholisch, wütend, kämpferisch. Mal poppig anmutend, dann wieder Post-Metal-Ebenen erklimmend, erschaffen Future Palace einen homogenen Ausklang ihres Albums Distortion.