Jethro Tull – The Zealot Gene

Ian Anderson mit seiner Soloband schafft es nicht, die großen Fußstapfen auszufüllen

Artist: Jethro Tull

Herkunft: Blackpool, England

Album: The Zealot Gene

Spiellänge: 46:42 Minuten

Genre: Progressive Rock, Folk Rock

Release: 28.01.2022

Label: InsideOut Music / Sony

Link: https://jethrotull.com/

Bandmitglieder:

Gesang, Flöte, Akustikgitarre, Mundharmonika – Ian Anderson
Gitarre – Joe Parrish-James
Gitarre – Florian Opahle (Gast)
Bass – David Goodier
Schlagzeug – Scott Hammond
Piano, Keyboard und Akkordeon – John O’Hara

Tracklist:

1. Mrs Tibbets
2. Jacob’s Tales
3. Mine Is The Mountain
4. The Zealot Gene
5. Shoshana Sleeping
6. Sad City Sisters
7. Barren Beth, Wild Desert John
8. The Betrayal Of Joshua Kynde
9. Where Did Saturday Go?
10. Three Loves, Three
11. In Brief Visitation
12. The Fisherman Of Ephesus

In steter Regelmäßigkeit beehrt uns die britische Progressive-Rock-Legende Ian Anderson mit einer neuen Veröffentlichung. 1967 gründete er Jethro Tull, 1968 kam das noch Blues-orientierte Debüt This Was heraus. 2003 erschien das bis dato letzte Studioalbum. Das mittlerweile Einundzwanzigste war das The Jethro Tull Christmas Album. Ian Anderson beehrte die Fans indes mit Soloalben. Als 2012 der 1969 in die Band gekommene Gitarrist und Co-Songschreiber Martin Barre die Band offiziell verließ, war sie im Grunde genommen aufgelöst. Jetzt, 18 Jahre nach dem letzten Album, bringt Anderson mit seiner Soloband im Grunde die Platte The Zealot Gene unter falschem Namen heraus. Lässt sich der alte Name vielleicht besser verkaufen?

Bereits 2017, während einer Tour nach der Veröffentlichung des Jethro Tull String Quartets-Albums, hatte Ian Anderson mit der Arbeit an dem neuen Material begonnen. Die Band hatte die ersten sieben Backing-Tracks für das damals noch unbetitelte Werk aufgenommen, bevor die Pandemie während einer weiteren ausgiebigen Tournee zuschlug und ein geregeltes Treffen und Arbeiten nach traditioneller Art unmöglich machte. Also mussten ein paar andere Projekte als Ersatz herhalten. Die Jethro-Tull-Biografie The Ballad Of Jethro Tull und das Buch Silent Singing nahmen in den nächsten Monaten einen Großteil von Andersons Zeit in Anspruch. Danach reifte der Plan, das Album alleine fertigzustellen und 2021 zu veröffentlichen. Aber auch hier sollte es keine Chance geben, auf Tour zu gehen. Da, wo es dann kurz möglich war, konnten die Vinyl-Presswerke nicht liefern. Die Lieferzeit von 14 Wochen stieg bekanntermaßen auf etwa sechs Monate und bremste die Veröffentlichung weiter aus.

Photo Credit: Assunta Opahle

Was erwartet uns nun musikalisch mit dem neuen Album? Textlich verarbeitet Anderson hauptsächlich Geschichten aus der Bibel, die aber sinnbildlich interpretiert werden sollen. Dies kommt im Prinzip einem Konzeptalbum gleich. Der Opener Mrs. Tibbets ist ein ausgereifter Song, der im Melodic Rock der vergangenen Jahrzehnte mit einem Hardrock-Gitarrensolo von Florian Opahle und der betörenden Flöte Andersons durch die Genres pflügt. Hier gleich ein Stück Geschichte, denn mit Mrs. Tibbets ist die Mutter von Paul Gibbets gemeint. Er war der Pilot, der mit der Enola Gay die Atombombe über Hiroshima abgeworfen hat. Mein erster Gedanke: Hoffentlich geht es so weiter! Jacob’s Tales beginnt mit der Mundharmonika eines Folk-Rock-Songs. Was sich spätestens jetzt abzeichnet, ist, dass sich Ian in Erzähllaune befindet. Die zu erzählenden Geschichten stehen im Vordergrund. Bevor der Song Fahrt aufnimmt, ist er nach knapp zwei Minuten auch schon wieder vorbei und wird von einer Ballade mit einem Klavierintro abgelöst. Mine Is The Mountain ist mit einer eingängigen Melodie und Tempowechseln irgendwo zwischen Dramatik und Dynamik. Im Titelsong The Zealot Gene bestätigt Anderson den Eindruck eines Storytellers. Die Geschichte steht im Vordergrund und die Instrumentalisierung gerät stark in den Hintergrund. Shoshana Sleeping war die erste Single des Albums und ist eine Nummer mit variantenreichem Tempospiel. Das Video wurde von Thomas Hicks visualisiert. Sad City Sisters war die zweite Vorabsingle und beginnt wie von Blackmores Night geklaut, bevor der Geschichtenerzähler die Musik abbricht. Barren Beth, Wild Desert John bringt wieder mehr rockige Elemente in die zu erzählende Story, bleibt aber im Maximum im Midtempo. The Betrayal Of Joshua Kynde beginnt mit einem Drumming, lebt aber von dem Drei-Instrumenten-Wechsel zwischen Flöte, Gitarre und Klavier. Where Did Saturday Go?, Three Loves, Three sowie In Brief Visitation wirken auf mich, als wenn dazu keine Instrumentalisierung mehr eingefallen ist. Akustische Gitarre. Kurze Passagen mit Flöte, Schellen und Rassel müssen zum Gesang reichen. Songs, die nachträglich von Ian alleine fertiggestellt wurden? Erst beim abschließenden The Fisherman Of Ephesus setzt eine dezente Instrumentalisierung der Band wieder ein.

Ian Anderson versucht mit diesem Album einen Mix der Generationen. Folk dominierte bis in die späten Siebziger, Progressive Rock die Achtziger. Dass die Stimme zwar noch immer klar und typisch ist, ist für den Mittsiebziger Anderson bewundernswert, obwohl die Klangfarben fehlen.

The Zealot Gene wird neben den üblichen digitalen Formaten zum Download und Stream in den folgenden Formaten angeboten:
– Special Edition Digipak CD,
– Gatefold 2LP+CD+LP-Booklet,
– Limited 2CD+Blu-ray Artbook
– Limited Deluxe 3LP+2CD+Blu-ray Artbook.
Beide Artbook-Editionen enthalten eine zweite CD mit Demos und ersten Ideen, dazu erweiterte Begleittexte und ein Interview mit Ian Anderson.
Das Deluxe 3LP+2CD+Blu-ray Artbook kommt auf weißem Vinyl und enthält eine dritte LP mit den groben Demos. Es enthält auch eine Slipmat und einen nummerierten Kunstdruck.

Jethro Tull – The Zealot Gene
Fazit
Die Erwartung an ein Jethro Tull-Album war bei mir sehr hoch und wurde bei Weitem nicht erfüllt. Als Soloalbum Andersons hätte es in die Outputlinie gepasst. Es fehlt besonders in den letzten vier Songs die Band. Rein akustische Songs von Anderson haben auf einer Tull-Scheibe nichts zu suchen. Der Eindruck "unter falscher Flagge" wurde für mich damit bestätigt.

Anspieltipps: Mrs. Tibbets, Mine Is The Mountain und Barren Beth, Wild Desert John
Norbert C.
7.5
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7.5
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