Artist: Try Angel
Herkunft: Stadtlohn, Deutschland
Album: Underground’s Knees
Spiellänge: 37:35 Minuten
Genre: Modern Metalcore
Release: 03.10.2024
Label: Eigenproduktion
Link: https://try-angel.com/
Bandmitglieder:
Gesang und Gitarre – Frederik Niehues
Gitarre und Backgroundgesang – Niklas Ratsch
Bassgitarre – Jens Brinkmann
Schlagzeug – Ben Schmittmann
Tracklist:
- Underground’s Knees (feat. Merle Jödden)
- The Answers
- Just The Way
- Mistakes
- System
- Equal
- Take It All
- Dreams Are Not Reality
- Kingdom Of Silence
- For Me In The Future
Wenn eine Band bei mir persönlich nach einem Review fragt und mir ihr „Baby“ in Form ihres Debütalbums anvertraut, ist das immer eine ganz besondere Ehre. So trat Sänger und Gitarrist Niklas Ratsch, den ich von seiner ehemaligen Band Fool The Masses kenne, an mich heran und bat mich, das erste Album seiner neuen Band Try Angel unter die Lupe zu nehmen. Niklas ist selbst erst seit diesem Jahr Teil der Band, die von Frede (Voc., Gitarre), Jens (Bass) und Ben (Drums) vor vier Jahren im beschaulichen Stadtlohn (NRW) gegründet wurde. Im Jahr 2022 brachten die Jungs ihre erste EP namens You Won’t Take Me To Misery zur Welt. Das vorliegende Debütalbum Underground’s Knees stellte die Band in Eigenregie auf die Beine. H. Ahler, ein Bekannter der Band, malte (nix KI!) das Artwork genau wie die Cover der Single Just The Way und der EP. Mix und Master des (Spoiler-Alarm!) starken und druckvollen Sounds stammen aus den heiligen Hallen von Milan Steinbach (Point Break Recordings). Soweit also die Fakten. Jetzt aber zur Musik, die Try Angel selbst als Modern Metalcore bezeichnen.
Wabernde Klänge etablieren die Stimmung im titelgebenden Opener, ehe die Riffkeule erbarmungslos zuschlägt. Bereits nach wenigen Sekunden bestätigt sich meine Ankündigung nach starkem Modern-Metal-Sound aus den Point Break Studios. Was wieder einmal beweist, dass man auch ohne ein großes Label im Rücken einen amtlichen Sound abliefern kann. Doch halt! Wem gehört diese bezaubernde Stimme? Ein Blick in die Notizen verrät mir den Namen der Gastsängerin Merle Jödden. Obwohl ich mich selbstverständlich auf den Rest des Albums freue, so hat mich Merle direkt in ihren Bann gezogen und ich hoffe, dass man sie auf zukünftigen Releases wieder an Bord holt. Sie harmoniert großartig mit Sänger Frede. Die Band spielt stark mit der Laut-Leise-Dynamik, wie ich sie von Bands wie Devil Sold His Soul oder Sleep Token kenne und liebe. Die Lyrics, die man wie auf dem gesamten Album nicht als leichte Kost bezeichnen kann, gehen unter die Haut. Vor allem das abschließend verzweifelt herausgeschriene „Don’t leeeeaaaave“ jagt mir Schauer über den Rücken. Die Mischung aus elektronischen, eher zurückhaltenden Beats und derben Riffs trifft einen Nerv bei mir.
The Answers fackelt nicht lange und geht direkt in die Vollen. Fredes Fry Screams lassen aufhorchen und das Riffing wird abwechslungsreicher. Auch der Cleangesang mit leichter Zerre kann sich hören lassen. Meine Beine stehen nicht still und der Nacken wird langsam warm. Da ich eh gerade warmgelaufen bin, kommt das eröffnende Riff von Just The Way gerade richtig. Es gibt hier zwar wenig auszusetzen, so abholen wie seine Vorgänger kann mich die Nummer jedoch nicht. Insbesondere das Ende wirkt irgendwie unfertig.
Mal schauen, was Mistakes zu bieten hat. Wieder wird einleitend etwas mit Effekten gespielt, ehe Frede die Zeile „Sometimes it feels like it’s all just too much“ ins Mikro schmachtet. Je mehr Hall auf seiner Stimme liegt, desto mehr bestätigen sich die Sleep Token Vergleiche. In deren Liga spielen Try Angel zwar noch nicht, aber auf hohem Niveau zocken die Jungs trotzdem. Der Stimmungswechsel im Verlauf des Songs wirkt wie ein kleiner Wutausbruch und bereitet auf das erste richtige Massaker vor. System wurde eindeutig für den Moshpit geschrieben und ich hoffe inständig, dass ich dieses Monster einmal live zu Gehör bekomme. Riffs, Riffs und noch mehr Riffs, dazu ein fieses „Blegh!“, Circle-Pit-Geschwindigkeit, ein Breakdown und fertig ist die Metalcore-Abrissbirne. Flo = happy.
Equal ist ein auch ein Monster, ein Groovemonster, um genau zu sein. Die überlagerten Stimmen kommen gut rüber, die Gitarren grüßen aus dem Keller und Frede lässt das Cookie Monster von der Leine. Ich bin immer noch fasziniert, wie transparent das Ganze klingt. Gerade in moderneren Metal-Gefilden kann man schnell mal in einen Soundbrei abdriften, was hier zu keiner Sekunde der Fall ist. Daumen hoch! Take It All setzt größtenteils auf cleanen oder leicht angerauten Gesang und getragene Momente, die die emotionalen Lyrics gekonnt hervorheben.
Dreams Are Not Reality hat mich bereits nach dem ersten Durchlauf überzeugt. Die Riffs gehen richtig nach vorne und erzeugen wieder einen starken Kontrast zu den introvertierten Parts. Wie die Band mit den Vocals spielt, macht einfach nur Spaß: hier ein Wehklagen aus der Ferne, dort ein Schmachtfetzen und natürlich Growls aus der Hölle. Das Stakkato-Gewitter gegen Ende bringt mich endgültig dazu, mein Homeoffice in einen Moshpit zu verwandeln. Hell Yeah!
„Bleeeegh!“: In Kingdom Of Silence ist Sänger Niklas erstmals zu hören. Ich mag seine Harsh Vocals einfach. Die Nummer fließt zäh wie Lava aus den Boxen und reißt alles Leben mit sich. Die folgenden Zeilen brennen sich direkt ins Fleisch: „Toxic people, playing games. Everybody is left to waste. In my dreams I hear them say: „We know you’ll never be okay“. I know my way how to escape. There’s nothing left for me to say: SILEEEEENCE.” Wie auf einer Achterbahn werde ich auf knarzenden Rädern nach oben gezogen, nur um dann in den feurigen Abgrund zu stürzen.
Die abschließende, emotional aufgeladene Ballade For Me In The Future ist ein weiteres Highlight. Sanft gespielte Gitarren und Keyboards, Vocals voller Leidenschaft und ein Text, der eine deutliche Sprache spricht und mich mit Tränen in den Augen zurücklässt. Das Solo gibt mir den Rest und ich schließe mit den Worten „I close my eyes so I can escape into myself“.