Engst – Flächenbrand

„Der bunte Vogel von Pro7-Die Band!“

Artist: Engst

Herkunft: Berlin, Deutschland

Album: Flächenbrand

Spiellänge: 38:12 Minuten

Genre: Deutschrock, Deutschpop

Release: 26.10.2018

Label: Arising Empire

Link: https://www.facebook.com/Engstmusik/

Bandmitglieder:

Gesang – Matthias Engst
Gitarre – Ramin Tehrani
Bass – Chris Dumhard
Schlagzeug – Yuri Cernovolov

Tracklist:

01. Ich Steh Wieder Auf
02. Der Moment
03. Eskalieren
04. Optimisten
05. Ein Sommer In Den Charts
06. Der König
07. Ist Mir Egal
08. Fremdes Elend
09. Morgen Geht Die Welt Unter
10. Mit Raketen Auf Spatzen
11. Träumer Und Helden

„Wir passen in keine Schublade, wir sind der ganze Schrank!“ Mit diesen großspurigen Worten beschreiben sich die Musiker der Berliner Band Engst. Doch wer sind Engst überhaupt? Im Jahr 2015 gewann der Namensgeber Matthias Engst die Pro7 Casting Show Die Band. Einen damit verbundenen Plattenvertrag bei einem Majorlabel schlug er aus und gründete stattdessen die Band Engst, um sich vom Einheitsbrei der deutschen Musikszene abzusetzen. Man verspricht handgemachten Deutschrock mit Ecken und Kanten. Nun, ich habe nichts gegen gut gemachte deutsche Rockmusik und kann dieser durchaus einiges abgewinnen, doch in unserem Lande ist leider lange nicht alles Rock, was sich als Deutschrock bezeichnet. Es soll da ja so illustre Combos geben wie z.B. Tokio Hotel, Revolverheld, Silbermond, Juli, oder sogar Singer and Songwriter wie Andreas Bourani oder Max Giesinger, die einmal die Gitarre aufheulen lassen und meinen, sie wären jetzt das A & O im deutschen Rockzirkus. Das Fremdschämpotenzial ist leider häufig sehr hoch und von daher bin ich gespannt, was Flächenbrand, das Debütalbum von Engst, kann. Immerhin scheint die Berliner Combo, aufgrund einer früheren, selbst betitelten EP aus 2017, die ich aber nicht kenne, mit reichlich Vorschusslorbeeren ins Rennen zu gehen.

Auf das obligatorische Intro wird verzichtet. Die Berliner eröffnen gleich mit der Durchhaltehymne Ich Steh Wieder Auf, einem Pop/Rock Song mit leicht punkigem Gitarreneinschlag. Der Song beginnt recht ruhig, wird dann aber im Verlauf mit Gitarre und Schlagzeug rockig aufgefrischt. Mit einsetzen des Gesangs wird das Tempo leider wieder gedrosselt, aber im weiteren Verlauf aber wieder aufgenommen. Die raue Stimme des Frontmannes kann durchaus gefallen und könnte so auch in einer Street Rock- oder Deutschpunkband bestehen. Davon ist man hier allerdings weit entfernt, denn der Song geht als Mainstream durch und ist radiotauglich. Das Thema haben Die Toten Hosen mit Steh Auf, Wenn Du Am Boden Bist schon besser umgesetzt. Jedoch vermittelt man eine erstaunliche Spritzigkeit und Leichtigkeit – ein Partysong.

Auch im nächsten Song wird eine grundoptimistische Stimmung weiterverbreitet, jedoch passen hier Thema und musikalische Begleitung nicht so recht zusammen, denn Der Moment handelt von einer zerbrechenden Beziehung und behandelt ganz offenbar persönliche Erfahrungen. Realistisch wird über den Moment berichtet, in dem einem klar wird, die Beziehung ist nun zu Ende und es gibt kein Comeback, doch warum dann solch ein lockerer, fröhlicher Rhythmus? Einzig zum Ende vermittelt ein Gitarrensolo die durch den Text traurige Stimmung. Mit dem Song kann sich jeder identifizieren, denn jeder kennt diese Momente.

Eskalieren ist ein Aufruf zu eben diesem, „Komm wieder eskalieren, du und ich und all die anderen!“. Eine Nacht durchzechen und sich unsterblich fühlen, auch hier wird wieder auf Situationen gesetzt, die ein jeder von uns kennt. Flotte Rhythmen, die bei passender Gelegenheit sicherlich nicht stillstehen lassen. Auch hier passt die kratzige, raue Stimme von Matthias Engst wieder, wie die berühmte Faust aufs Auge und deckt viele Spektren ab. Pogotaugliche Beweihräucherung des eigenen Schaffens.

Mit fröhlichem Pfeifen und dem Einsatz von Blechbläsern, die u.a. auch schon für The BossHoss aktiv waren, startet Optimisten. Nach Partysong und fröhlichem Beziehungs-Aus kann die Band nun auch kritisch. Die Welt geht vor die Hunde und für Engst ist es so ernst, dass sich Optimisten aus dem Fenster stürzen. Sinn- und Unsinn des alltäglichen Zusammenlebens werden ironisch belächelt. Der Ausweg kann da nur heißen, ein Abend mit Freunden an der Theke. Wieder wird eine optimistische Grundstimmung vermittelt, die zunächst so gar nicht zum dramatischen Text passen will. Ein politischer Fingerzeig, der Spaß macht.

Castingschrott, Popsongs ohne Rückgrat, vom Label bezahlte namenlose Songschreiber, Statisten an den Instrumenten, Ein-Tages-Fremdschäm-Sternchen…, all das kritisiert man in dem Song Ein Sommer In Den Charts. Plakativ und treffend. Nach einem Sommer in den Charts zerplatzt der große Traum dann wieder und man wird ausgetauscht gegen die nächste große Castinghoffnung. Matthias Engst war selbst Teil einer Castingshow und hat die oftmals dünne Luft des Big Business geschnuppert und teilt hier seine Erfahrungen. Selbstironisch treibt der Song voran und verbreitet gute Laune, jedoch kann man sich nicht so ganz entscheiden, ob man das nun mit radiotauglichem Pop, Rock oder gar Punk untermalen soll. Trotzdem, gut gemacht.

Der König paart harte musikalische Rhythmen, hämmernde Drumbeats, melodische Blechbläser und dezenten Ska-Hauch. Der Song fällt etwas aus dem Rahmen, plätschert aber vor sich hin.

Die kraftvolle Rockballade Ist Mir Egal ist dann wieder ein Song mitten aus dem Leben. Die Nummer berichtet über das Leben nach einer gescheiterten Beziehung und davon, wie man ins Leben zurückfindet. „Mir egal wo du pennst, oder an mich denkst“, das sind Phrasen, die jedem gekränkten Liebeskasper mal durch den Kopf gehen. Authentischer Song mit vielen Emotionen.

Mit einem langen Intro wird totales Kontrastprogramm eingeläutet. In Fremdes Elend polarisieren ein hämmerndes Schlagzeug und fast schon hektischer Gesang. Die gesellschaftskritische Nummer berichtet provokant von vorherrschendem Egoismus, der heutzutage immer schlimmer wird…, mehr Facebook Likes, mehr Instagram Follower…, Hauptsache mir geht’s gut, fremdes Elend wird ausgeblendet. Drückender Punkrock.

Mit dem ebenfalls gesellschaftskritischen Morgen Geht Die Welt Unter knüpft man da an, wo Fremdes Elend aufhört. Thematisch geht es hier um Hungersnöte, Klimawandel, Wirtschaftskrise, aber man macht auch klar, was man davon hält, dass eine Band wie Frei.Wild auf Platz Eins der Charts steht. Es ist aber auch ein Aufruf jeden Tag zu genießen, denn es könnte ja schließlich der Letzte sein. Der Hörer wird mit Kampfgeist und dem nötigen Willen zur Veränderung zum Anpacken animiert.

In modernem Punkrockgewand geht es dann in Mit Raketen Auf Spatzen noch einmal politisch und gesellschaftskritisch zur Sache. Seit Chemnitz sind Neonazis und braune Redenschwinger mit ihren merkwürdigen Ideologien in einigen Teilen des Landes wieder gesellschaftsfähig geworden. Ängste werden geschürt und Feindbilder geschaffen und einfache, spontane Lösungen liegen so nahe. All das hatten wir vor nicht allzu langer Zeit schon einmal, nur heute wird die rechtsextreme, braune Sch…. als Heimatliebe getarnt. Ein mahnender Fingerzeig, dass man in Zeiten von AfD, Bürgerbewegungen, Aktionsfronten… wachsam bleiben muss, damit sich die Geschichte nicht wiederholt.

Mit ruhigen Gitarrenklängen und Lagerfeueratmosphäre klingt das Album in Träumer Und Helden aus. Der Track erinnert an die gute alte Zeit, wo man mit Freunden und Bier am Baggersee hockte, von Partys und dem ersten Gig, der ersten Liebe. Heute, Jahre später, sind wir jedoch noch die Gleichen wie früher, nur etwas älter und mit ein paar Falten. Immer noch die coole Truppe! Gefühlvoll und doch mit genügend Druck verabschiedet man sich aus dem Album.

Fazit: Mit einer Laufzeit von 38:12 Minuten verdient das Werk kaum den Namen Longplayer. Einen Flächenbrand löst das Album ganz bestimmt nicht aus, eher kleine Brandherde. Die Produktion ist hochwertig und glattgebügelt und die versprochenen Ecken und Kanten fallen recht spärlich aus. Geboten wird einprägsamer, mainstreamtauglicher Deutschrock mit deutlichen Popanteilen und gelegentlichen Punk- und Ska-Einflüssen. Es ist kein typischer Deutschrock, dafür driftet man zu oft in andere Gefilde ab, aber auch der Punkrock, den man sich auf die Fahne schreibt, ist nur ein Hauch und fällt nicht ins Gewicht. Von Metal keine Spur. Trotzdem hat man nie das Gefühl, dass die Songs unausgegoren und langweilig sind. Thematisch bietet man Aufklärung und so macht es den Anschein, man richtet sich an Hörer, die gerade der Pubertät entsprungen sind, auch wenn teilweise wichtige Themen auf den Tisch gebracht werden. Der Gesang von Matthias Engst sticht hervor, die raue, kratzige Stimme schafft es mit Gefühl und Power die Message zu vermitteln, ohne dass er zwanghaft den röhrenden Rocksänger mimen will, der er nicht ist. Die Lyrics sind frisch, frech und gesellschaftskritisch und größtenteils sehr authentisch. Ein nicht unwichtiges Highlight ist die klare Positionierung gegen rechtes Gedankengut. Ein gutes Debütalbum und interessant für jeden, der deutsche Rockmusik mit eher sanfteren Tönen mag. Revolverheld lassen grüßen. Charttauglich!

Anspieltipps: Mit Raketen Auf Spatzen, Optimisten, Ein Sommer In Den Charts
Andreas F.
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