Soen – Imperial

Musikalische Freiheit in Zeiten des Lockdowns

Artist: Soen

Herkunft: Stockholm, Schweden

Album: Imperial

Spiellänge: 42:04 Minuten

Genre: Progressive Rock, Progressive Metal

Release: 29.01.2021

Label: Silver Lining Music

Link: http://soenmusic.com/

Bandmitglieder:

Gesang – Joel Ekelöf
Gitarre – Cody Ford
Bassgitarre – Oleksii “Zlatoyar” Kobel
Keyboard und Gitarre – Lars Enok Åhlund
Schlagzeug – Martin Lopez

Tracklist:

  1. Lumerian
  2. Deceiver
  3. Monarch
  4. Illusion
  5. Antagonist
  6. Modesty
  7. Dissident
  8. Fortune

„Spirit of the water, let the sky fall down on me“, kaum eine Textzeile hat mich in den letzten Jahren so sehr im positiven Sinne verfolgt. Sie stammt aus den anklagenden Lyrics des Songs Martyrs vom letzten Soen Meisterwerk. Vor fast exakt zwei Jahren erschien Lotus, das vierte Album der Band um Zauberstimme Joel Ekelöf und dem ehemaligen Opeth und Amon Amarth Drummer Martin Lopez. Das 2012er Debüt Cognitive wurde von vielen Seiten noch als Tool-Kopie verkannt. Die Nachfolger Tellurian und Lykaia stellten wiederum eine Reise dar und Soen waren noch auf der Suche nach dem Sound, der die Band definieren sollte. Lotus legte vorerst den Höhepunkt des Bandsounds aus Progressive Rock bzw. Metal und Weltmusik-Einflüssen fest. Auch in meinem persönlichen Jahresranking 2019 fand sich das Album auf dem Treppchen wieder. Meine Erwartungshaltungen an Imperial sind somit nicht gerade gering. Erscheinen wird das von Kane Churko (u. a. Ozzy Osbourne, Bob Dylan) gemasterte Werk am 29.01.2021.

Die Musik und Natur Soens bezeichnet Lopez als den einzigen Ort, an dem er wirklich er selbst sein kann. Ich lasse mich fallen und begebe mich gedanklich in den nächsten gut 40 Minuten an diesen Ort. Wow, was für ein Geknüppel zu Beginn von Lumerian. Habe ich da wirklich das neue Soen Album erwischt? Keine Panik, nach wenigen Sekunden holt mich die magische Stimme von Joel Ekelöf wieder zurück auf den Boden und ich weiß, dass ich an der richtigen Adresse bin. Direkt fällt der Mix von Kane Churko auf, der allen Instrumenten mehr Luft zum Atmen lässt. Irgendwie offener wirkt das Gesamtkonzept des Sounds im Vergleich zum Vorgängeralbum. Auch wenn der Bass von Neuzugang Oleksii “Zlatoyar” Kobel nicht mehr so präsent im Vordergrund steht wie der seiner Vorgänger Steve DiGiorgio und Stefan Stenberg, an den tiefen Saiten sind stets Könner am Werk. Der Gitarrist Cody Ford scheint auch erstmals richtigen Input zum Bandsound beizutragen, denn auf Lotus waren die Songs bereits fertig, als der Kanadier zur Band stieß. Überhaupt sind mir bisher nicht so prägnante Gitarrensoli und Synthie-Sounds bei einem Output von Soen untergekommen. Der hymnische Refrain ist das i-Tüpfelchen des brillanten Openers, der mir direkt Gänsehaut bis zu den Nackenhärchen beschert. Unglaublich eingängig präsentiert sich der nächste Song Deceiver, so leichtfüßig waren mir die Progger bisher nicht untergekommen. Bis auf die sozialkritischen Texte scheinen Soen etwas schwermütigen Ballast abgeworfen zu haben. Die Alarmsirenen von Monarch erklingen, es handelt sich um einen von zwei vorab veröffentlichten Songs. Die anklagenden Worte rechnen mit Kriegstreiberei ab. Heilige Mutter aller Riffs! Dieses grandios vorgetragene Saitenkunstwerk, garniert von einem Aufreißersolo in feinster Hardrock-Qualität, wird mich wohl noch eine Weile begleiten.

Nach diesem furiosen Auftakt kehren Soen mit Illusion wieder etwas mehr in sich. Nachdenklich, aber ohne Schwermut dringen sanft angeschlagene Töne tief in meinen Kopf ein. Das Herz vernimmt traumhafte Soli als Verbeugung vor David Gilmour und ich atme das Gefühl der Geborgenheit ganz tief ein. Der Widersacher tritt auf den Plan und holt mich rasch aus meinen Träumen. Antagonist wurde als erste Single präsentiert und gibt lyrisch den Unterdrückten eine Stimme: „Fire up your guns – To honor the ones – Who walk on the edge of the light to follow their cause – Fire up your guns – Defying the kings – For the word that they preach is the wound that is making us bleed.“ Das unten angefügte Video transportiert die Stimmung der Textzeilen sehr gut. Hier vereinen Soen wieder bekannte Trademarks, wie ich sie spätestens seit dem herausragenden letzten Studioalbum lieben gelernt habe: Satte Riffs, starke Lyrics und Refrains, Drumming mit Wiedererkennungswert und nachdenkliche Momente. Einzig die perkussiven Elemente wurden im Vergleich zu den ersten drei Alben der Band nahezu komplett zurückgeschraubt. Bei Modesty rücken Bass und Keys in den Vordergrund und durchbrechen die Gitarrenwand, einzig beim Solo darf sich Mr. Ford wieder austoben. Durch den elektronischen Charakter wirkt es zu dick aufgetragen und verliert etwas gegenüber den ersten fünf Songs, obwohl mir das Zusammenspiel zwischen Bass und Drums ausgesprochen gut gefällt. Dissident bringt die Riffs zurück ins Spiel und Martin Lopez zeigt, dass er sich auch nach seinem Ausstieg bei Opeth ohne Probleme mit den besten Progressive Metal Drummern messen kann. Der atmosphärische Mittelteil unterstreicht die Wandlungsfähigkeit der Band auf dem aktuellen Material. Im Promoschreiben wird das letzte Stück als “epic closer” bezeichnet, dieser Aussage kann ich mich leider nicht anschließen. Während das Solo im Mittelteil noch für Aufsehen sorgt, wirkt die gesamte Komposition zu sehr verwässert – der starke Eindruck des Albums wird aber keineswegs geschmälert.

Soen – Imperial
Fazit
Durch die ausgefallenen Shows im letzten Jahr bekamen Soen Zeit geschenkt. Zeit, um in Ruhe an Imperial zu arbeiten und als Songwriter zu wachsen. Genau diesen ungewollten Umstand bekommen wir jetzt im Ergebnis zu hören. Sowohl reifer als auch freier in jeder Note klingt die multinationale Band auf diesem Werk. Acht Songs, nicht als Wendepunkt, sondern als konsequente Weiterentwicklung ihres Sounds, präsentieren Soen ihren Hörern. Wem die früheren Alben etwas zu schwermütig waren, der sollte ein Ohr riskieren. Wer bisher überhaupt noch keine Berührungspunkte mit der Band hatte, den lade ich hiermit herzlich ein – vier von acht Liedern als Anspieltipps sprechen eine deutliche Sprache. Imperial katapultiert die Band weiter an die vorderste Front der “New Generation Of Prog”.

Anspieltipps: Lumerian, Monarch, Antagonist und Dissident
Florian W.
9
Leser Bewertung9 Bewertungen
9.4
9
Punkte