Interview mit In Extremo – 25 Jahre In Extremo und Kompass Zur Sonne

Ein Gespräch mit Michael Robert Rhein und Sebastian Lange

Artist: In Extremo

Herkunft: Berlin, Deutschland

Genre: Mittelalter Rock, Mittelalter Metal, Folk Rock, Folk Metal

Label: Vertigo / Universal Music

Links: https://www.inextremo.de/de/
https://www.facebook.com/officialinextremo/

Bandmitglieder:

Gesang, Cister – Michael Robert Rhein (Das letzte Einhorn)
Gitarre und Backgroundgesang – Sebastian Lange (Van Lange)
Harfe, Pommer – André Strugala (Dr. Pymonte)
Bassgitarre – Kay Lutter (Die Lutter)
Dudelsack, Drehleier – Marco Zorzytzky (Flex der Biegsame)
Dudelsack, Blasinstrumente, Nyckelharpa – Boris Pfeiffer (Yellow Pfeiffer)
Schlagzeug – Florian Speckardt (Specki T.D.)

Corona erwischte In Extremo zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Das neue Album (Review hier) sollte im März 2020 erscheinen und die Tour zum 25. Geburtstag war gebucht. Nun ist vieles anders gekommen. Grund genug für uns, mit Sänger Micha Rhein und Saitenbearbeiter Basti Lange ein Gespräch zu führen.

Time For Metal / Jürgen:
Moin Basti und Micha,
vielen Dank, dass ihr euch für Time For Metal etwas Zeit genommen habt. In der aktuellen Zeit die wichtigste Frage zuerst: Wie geht es euch und allen im In Extremo Umfeld, alles gesund?

In Extremo / Basti:
Hallo Jürgen, sehr gerne. Soweit alles okay und in Ordnung, alle gesund und keine Viren.

In Extremo / Micha:
Vielen Dank für die Anfrage. Ja, soweit wie man es beurteilen kann alles im grünen Bereich und guten Mutes. Ja und gesund sind wir auch glücklicherweise.

Time For Metal / Jürgen:
Starten wir mit dem neuen Album. Es sollte eigentlich im März erscheinen und erscheint nun am 08.05.2020. Ein Datum mit historischer Bedeutung! Absicht oder Zufall?

In Extremo / Micha:
Also, als wir gehört haben, wir müssen das Releasedatum um ca. zwei Monate nach vorne verlegen, da haben wir schon geschaut und da es ja in der Regel ein Freitag sein muss, da passte der 08.05. auf dem Freitag perfekt – Tag der Befreiung! Ein gutes Omen für ein Albumrelease.

Time For Metal / Jürgen:
Kommen wir zu dem einen oder anderen Track. Eigentlich haben In Extremo den Ruf, eher Party bzw. stark unterhaltende Texte zu liefern. Nun befinden sich mit Saigon Und Bagdad oder Lügenpack analog zum Vorgänger Quid Pro Quo wieder einige Songs auf dem Album, zu der man ganz bestimmt keine Party veranstaltet. Werden In Extremo mit 25 Jahren politischer und nachdenklicher?

In Extremo / Micha:
Nein, wir sind keine politische Band, aber es gibt Themen, wo du nicht dran vorbeikommst. Das TV, Internet usw., die ganze Welt ist voll mit Kriegen, oder z.B. beim Lügenpack wollen wir einfach auf Dinge aufmerksam machen, aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, das müsst ihr jetzt anders machen. Beim Lügenpack geht es darum, dass es ja wieder salonfähig geworden ist, dass Leute mit Hitlergruß durch die Gegend laufen können, ohne bestraft zu werden, und da gibt es Politiker, die das auch noch öffentlich sagen und denen wird verziehen – da fehlen uns die Worte! So etwas wird aufgegriffen für das Songwriting.

Saigon Und Bagdad ist ein Anti-Kriegssong. Wenn du dich mal in der Welt umschaust, wo überall Kriege sind – welche durch das Corona Thema komplett in den Hintergrund gerückt sind – das ist einfach schrecklich und in Deutschland wird gejammert, wenn mal kein Klopapier da ist. Auf solche Dinge wollen wir einfach aufmerksam machen.

Time For Metal / Jürgen:
Sehr stark finde ich persönlich das Duo mit Russkaja. Der Track ist live wahrscheinlich eine absolute Granate. Gibt es den in Russland dann auch auf Russisch? Wäre das eine Option?

In Extremo / Micha:
Also möglich ist es, der Refrain ist ja schon in Russisch. Wir haben ja Chyornyi Voron (schwarzer Raabe) als russisches Lied, das haben wir mit einem russischen Kosakenchor aufgenommen. Wenn du das Ding in Russland spielst, dann siehst du in den ersten Reihen nur die Tränen fließen. Das ist wunderbar. Beim Gogiya ist das möglich, aber so weit haben wir noch gar nicht gedacht.

In Extremo / Basti:
Eigentlich ist es anders herum. Wir haben ja den Chyornyi Voron und wenn wir den Gogiya jetzt spielen, dann singen die Fans in Russland den in Deutsch mit. Wir haben 2000 in Los Angeles im legendären Whisky A Go Go gespielt und da konnten wir nicht glauben, dass die ganzen Fans unsere deutschen Texte mitgesungen haben. Es ist also genau anderes herum – man kommt hin als Band, spielt seine Songs und die Leute singen trotzdem mit, egal ob es die Heimatsprache ist oder nicht. Daher würden wir den Gogiya eher so lassen wir er ist und in Russisch den Chyornyi Voron spielen.

Time For Metal / Jürgen:
Dann müssen wir noch zu Wer Kann Segeln Ohne Wind kommen. Wie kommen In Extremo zu Johan Hegg?

In Extremo / Micha:
Den Johan haben wir auf den Festivals kennengelernt. Da sitzt man halt im Backstage gemeinsam und redet zusammen beim Bier. Da habe ich ihn gefragt, ob er mal Lust hätte, bei uns mitzumachen, wenn es mal passt. Ja, und zwei Jahre später waren wir im Studio und dachten, da passt der Johan zu, gerade weil es auch ein schwedisches traditionell ist. Ich habe ihn angerufen und Johan hat sofort zugesagt. Ein Mann ein Wort und so tickt der einfach – ist ein sehr guter Zeitgenosse.

Time For Metal / Jürgen:
Wann gibt es den Gegenbesuch und Das Letzte Einhorn growlt mit Johan bei einem Amon Amarth Track oder Auftritt?

In Extremo / Micha:
Also wenn es wieder losgeht und wir auftreten dürfen und Johan und wir sind auf dem gleichen Festival – dann wäre das ganz sicher denkbar und möglich. Das kann ich mir sehr gut vorstellen.

Time For Metal / Jürgen:
Dann lass uns über 25 Jahre In Extremo reden. Erst noch mal Glückwunsch zu dem außergewöhnlichen Bandjubiläum. Zum 20sten gab es die große Sause auf der Loreley. Was machen In Extremo zum 25sten – vorausgesetzt es darf wieder live gerockt werden?

In Extremo / Basti:
Also wir werden die 25 Jahre In Extremo Feier auf jeden Fall noch nachholen, wir hoffen inständig, dass wir das noch dieses Jahr machen können. Die Feier ist bisher komplett ausgefallen, wir haben noch niemals eine kleine Feier machen können. Wir sind guter Dinge, dass wir im Herbst unsere Termine zur Kompass Zur Sonne Tour machen können – dann wollen wir feiern – dazu haben wir ja ein paar Burgenshows geplant, die leider zum Teil schon abgesagt sind. Aber da hoffen wir auch auf den Herbst, dass wir dort noch die eine oder andere Show durchziehen können. Wenn alle Stricke reißen, feiern wir erst nächstes Jahr. Aber irgendwann feiern wir den Geburtstag.

In Extremo / Micha:
Wir müssen halt alle etwas umdenken mit der Corona-Geschichte. Leider!

Time For Metal / Jürgen:
An die Frage schließt sich natürlich die geplante bzw. bereits verschobene Tour an. Eigentlich sollte die Tour jetzt im Mai laufen. Nun ist sie für den Herbst/Winter geplant. Dass Konzerte ohne gewisse Restriktionen bzgl. Hygiene laufen werden, erscheint aktuell kaum möglich. Was wäre für Euch noch akzeptabel? Wie seht ihr eine mögliche Reduktion der Zuschauerzahl? Gerade in kleineren Clubs, welche auf eurer Tour stehen, ein großes Problem, oder? Bier trinken mit Mundschutz ist evtl. auch nur bedingt unterhaltsam?

In Extremo / Micha:
Wenn es so ist, finde ich es mehr als albern. Das wäre wie ein Fußballspiel ohne Publikum. Wir sind eine Rock ’n‘ Roll Band und wir Leben auch von unserem Publikum. Ich hätte da überhaupt keine Lust drauf. Da sitzen bei einem Rockkonzert drei Leute vor dir mit zwei Meter Abstand und einer Maske – Liebe gibt es im Kino – also ich finde es nicht schön. Das ist meine persönliche Meinung.

In Extremo / Basti:
Über die gleiche Frage habe ich mit Mille (Mille Petrozza, Kreator) gesprochen am Telefon. Er ist ein guter Freund von uns und der sagte auch, da hätte er keinen Spaß dran.
Ich kann es mir momentan nicht vorstellen, egal wen wir so zuletzt gesprochen haben, ob Heaven Shall Burn oder Mille mit Kreator etc. Alle schwimmen im trüben Wasser und keiner weiß es so richtig. Genauso ist es bei uns – wir sind eine energetische Liveband und dass dort Fans mit Sicherheitsabstand stehen, ist schwierig. Man kann es sich nicht so richtig vorstellen. Die beste Lösung wäre wohl ein Impfstoff oder eine andere technischen Revolution, die sich jemand ausdenkt und so kann man dann Konzerte in einem guten Rahmen mit guter Laune durchziehen. Also Micha und ich würden es albern finden, wenn zu viele Auflagen da wären und die Leute sich nicht einfach gehen lassen können. Mit einem platten Reifen kannst du keine 130 fahren.

Time For Metal / Jürgen:
Es beginnen nun Bands als „Autokino“ aufzutreten. Für die Open Air Saison eine Idee?

In Extremo / Micha:
Man soll nie, nie sagen. Man denkt über so was nach, aber wenn du in einem Autokino spielst, wo 200 Fahrzeuge draufpassen, dann finde ich es albern. Es ist irgendwo interessant, weil es schon etwas hat. In einem normalen Fall würde man nie über so was nachdenken, aber es ist eine mehr als außergewöhnliche Situation. Wenn das Ganze fett aufgezogen wird, könnte ich es mir schon vorstellen. In Köln hat eine Band so ein Konzert gespielt, wo ich mal reingeschaut habe. Da hat man die Band gar nicht gesehen, was ich auch wieder albern finde, sondern nur auf einer Leinwand. Was ich gut fand, wenn dann alle Hupen und zum Rhythmus den Scheibenwischer anmachen, das ist schon spaßig. Das muss man sehen, es kommt auf die Umstände drauf an.

Time For Metal / Jürgen:
Nun haben wir den Übergang zum aktuell alles beherrschenden Thema. In Extremo wurden ja voll vom Corona-Effekt erwischt. Was bedeutet das Auftrittsverbot inkl. der abgesagten Sommerfestivals und die Verschiebung der Tour für euch?

In Extremo / Micha:
Es ist für uns alle eine totale Scheiße, nicht nur für uns, für alle Künstler, für Theaterdarsteller bis zum Musiker – wir sitzen da alle im gleichen Boot. Es ist ein komplettes Desaster für alle. Einige werden es nicht überleben, wie auch manche Clubs – das ist schade und das hackt der deutschen Kultur ein Stück vom Bein ab – was da noch alles passiert ist noch gar nicht absehbar. Da sehe ich in vielen Dingen ziemlich schwarz.

In Extremo / Basti:
Wir sind noch lange nicht am Ende der Pandemie und uns hat es schon oft sehr hart getroffen, aber es trifft viele andere Bereiche noch härter, aber uns hat es natürlich auch voll erwischt, weil wir genau in der Zeit die Scheibe veröffentlichen wollten und in der Vorbereitung der Tour waren etc. Finanziell muss man das Ganze ja auch betrachten, hier ist es ebenfalls ein Desaster für uns.

Time For Metal / Jürgen:
Wie schon erwähnt – ihr spielt auch gerne und viel in kleinen Clubs. Ist das Thema „Clubsterben“ bzgl. Corona ein Thema, welches euch beschäftigt?

In Extremo / Micha:
Das hört man ja von allen Seiten, da kommt man ja überhaupt nicht dran vorbei. Es gab ja schon ein Clubsterben vor Corona, z.B. solche Kultclubs wie der Knaack-Klub in Berlin oder auch in Köln. Da kommen dann Mietshäuser hin mit fadenscheinigen Begründungen und das ist einfach eine Abkappung der Kultur. Durch die Corona-Epidemie werden ganz viele Clubs Pleite gehen, weil die den Laden finanziell nicht mehr halten können. Die gehen dann auch noch mit Mietschulden raus etc. – das ist eine Kette ohne Ende und ich finde das extrem bedauernswert und irgendwo auch gefährlich, was dort gerade passiert.

Time For Metal / Jürgen:
Viele Bands spielen Liveshows und streamen diese im Netz. Ist das für euch ein Thema?

In Extremo / Basti:
Also wir wollen live auf der Bühne stehen, also eher das Autokino als Streaming. Wir sind eine energetische Liveband, die braucht es mehr auf der Bühne zu stehen und Spaß zu haben. Für mich kommen Streamingkonzerte für In Extremo nicht in Frage. Andere Künstler können das gerne machen und das finde ich auch völlig legitim. Mir würden die Energie und das Zusammenspielen auf der Bühne fehlen.

In Extremo / Micha:
Ich sehe das genauso. Wenn du da reinschaust, dann spielt jeder mit einer Holzgitarre und dichtet noch den Text, der eigentlich mal gut war, in Corona-Text um, da wachsen dir die Fußnägel hoch.

Time For Metal / Jürgen:
Wir kommen langsam zum Ende. Bis zum 31.08. werden wir In Extremo mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auf keiner Livebühne erleben können. Was möchten In Extremo ihren Fans und unseren Lesern für die nächsten Monate mit auf die Reise geben?

In Extremo / Micha:
Bleibt zu Hause, bleibt gesund und haltet durch. Unterstützt große wie kleine Bands, damit die Kultur am Leben bleibt. Das machen die Leute auch, das weiß ich. Also das wäre so ein Wunsch von mir, dass das Soziale noch ein wenig mehr zusammenwächst, das wäre klasse!

In Extremo / Basti:
Zu Hause bleiben, gesund bleiben und auch wenn es eigentlich eine traurige Sache ist insgesamt – aber evtl. etwas draus lernen und die Solidarität in die Zeit nach Corona mitnehmen.

Time For Metal / Jürgen:
Dann bleibt nur zu hoffen, dass im Herbst wieder richtig losgelegt werden kann. Ich bedanke mich für eure Zeit und die Infos, wünsche allen bei In Extremo sowie euren Familien und Freunden alles Gute und vor allem – gesund bleiben!

In Extremo / Basti & Micha:
Das wünschen wir dir auch. Wir sehen uns dann hoffentlich am 22.12. im Hamburger Docks.

Das finale Schlusswort soll von In Extremo musikalisch erfolgen. Auch wenn die aktuelle Situation nicht gerade gut ist, wir drehen den Kompass nach wie vor in Richtung Sonne!