Devin Townsend – Lightwork

Musik ist ein Leuchtturm

Artist: Devin Townsend

Herkunft: Kanada

Album: Lightwork

Spiellänge: 55:58 Minuten

Genre: Progressive Rock, Ambient

Release: 04.11.2022

Label: InsideOut Music

Link: https://hevydevy.com/

Bandmitglieder:

Gesang, Gitarre, Bass, Synthesizer, Orchestrierung – Devin Townsend

Gastmusiker:

Gesang – Anneke van Giersbergen
Gesang – Ché Aimee Dorval
Gesang, Schlagzeug, Perkussion – Morgan Agren
Gitarre – Mike Keneally
Gitarre – Steve Vai
Schlagzeug – Darby Todd
Schlagzeug – Federico Paulovich
Keyboard – Diego Tejeida
Bass – Nathan Navarro
Bass – Jonas Hellborg
Chor – Elektra Women’s Choir

Tracklist:

  1. Moonpeople
  2. Lightworker
  3. Equinox
  4. Call Of The Void
  5. Heartbreaker
  6. Dimensions
  7. Celestial Signals
  8. Heavy Burden
  9. Vacation
  10. Children Of God

Über einen Monat ist seit dem Release von Lightwork ins Land gezogen. Doch diese Zeit musste ich nutzen, um das wie immer sehr vielschichtige Material von Hevy Devy in Ruhe aufzusaugen. Der umtriebige Kanadier bezeichnet Lightwork als eine Art „Licht in der Dunkelheit“, ein Punkt im Leben, an dem es scheinbar keinen Ausweg mehr gibt. An diesem Scheideweg taucht der musikalische Leuchtturm als rettendes Licht am fernen Ufer auf. Für dieses Vorhaben hat sich Devin Townsend erstmals einen externen Produzenten ins Boot geholt. Dabei handelt es sich um den Kanadier Garth „GGGarth“ Richardson, der auch schon mit Rage Against The Machine, Rise Against und Biffy Clyro zusammenarbeitete. Für das tolle Cover-Artwork des Albums und auch die der Singles ist Devins langjähriger Freund Travis Smith verantwortlich. Die beiden sind einfach ein kongeniales Duo à la Tim Burton und Danny Elfman. The Puzzle und Snuggles waren Ende 2021 eher als Vorspiel bzw. Appetithappen für das aktuelle Album gedacht, welches somit als der legitime Nachfolger des epischen Empath zu verstehen ist. Knüpft der Kanadier am bombastischen Sound des 2019er-Albums an oder stellt er mal wieder alles auf den Kopf?

Wie immer spiegelt Devins Schreibprozess auch seine Erfahrungen wider. Einige der Songs auf Lightwork entstanden direkt zu Beginn des ersten Lockdowns. Das Befassen mit den eigenen Gedanken umschreibt daher auch einen Teil des Materials. Diese lassen sich nur leider nicht immer kontrollieren. Ein Gedanke, der zu Beginn des Openers Moonpeople direkt aufploppt, ist die Referenz zu Castaway, das Empath eröffnet. Das Rauschen des Meeres, das dumpfe Nebelhorn und die entfernt zu vernehmenden Möwen. Dann folgt allerdings direkt ein lässiger Bassgroove und die bezaubernde und glockenhelle Stimme des Meisters ertönt. Das vermittelt ein wohliges Gefühl und sorgt für Gänsehautmomente. Bevor er selbst mit musikalischem Wahnsinn auf die schier endlose Negativität der Gesellschaft während der Pandemie antwortet, bremst er sich selbst inmitten des Songs mit einem deutlichen „Stop it“. Hier wird Wert auf aufgeräumte Arrangements gelegt. Der Refrain sorgt für eine gewisse Nachhaltigkeit.

Was wohl in diesem Kopf vorgeht? Pic by Paul Harries

Deutlich beschwingter und zunächst auch bombastischer tritt der verkappte Titelsong Lightworker auf den Plan. Spätestens im Chorus bläst das Orchester aus allen Rohren, nur um danach im spartanischen Walzertakt fortzufahren. Vor meinem geistigen Auge entsteht das Bild, wie die junge Winona Ryder im Burton-Klassiker Edward mit den Scherenhänden durch den Schnee tanzt. Ein weiteres Highlight sind die vereinzelt von Frauenstimmen eingestreuten „Lightworker, lightworker“ Gesänge, die mich wieder zu Querverweisen mit Mr. Elfmans Kompositionen animieren. Equinox kehrt im direkten Vergleich etwas mehr in sich. Protagonist ist die Leitmelodie aus Gitarren- und Keyboardlayern. Nur in wenigen Momenten lässt Hevy Devy seine harschen Vocals auf den Hörer los. Der Rest fließt in einem Strom aus Ambient-Klängen durch meine Kopfhörer.

Man nehme all die tausend Spuren und den tonnenschweren Bombast, den man von Devins Werken gewohnt ist und presse alles durch ein feines Sieb. Das, was übrig bleibt, heißt Call Of The Void. Der „Ruf der Leere“ beschreibt sogenannte „falsche Gedanken“, die uns umkreisen und die Kunst, im Inneren zu ruhen, obwohl die Welt da draußen vor die Hunde geht. Der Song gehört definitiv zu meinem persönlichen Soundtrack des Jahres. Es gibt wohl kaum eine Nummer, die ich öfter gehört habe, in diesem Jahr. „Devin-Light“ funktioniert aufgrund der wunderschönen Melodie und des auf den Punkt gebrachten Textes. Ich liebe es, wenn ich denke, dass ein Song in einer bestimmten Situation nicht besser passen könnte. Analog zur Aussage der Lyrics holt mich das Stück nach einem verrückten Tag wieder zurück auf den Boden und ordnet meine Gedanken.

Mit Heartbreaker beginnt für mich der Zwiespalt in Bezug auf das neueste Werk. Hier passt nicht mehr viel zusammen. Wirre Synthies wechseln sich mit deplatziert wirkendem Singsang ab und dröhnende Sounds erinnern mich an vergessen geglaubte Videospiele aus den Achtzigern. Als großer Progfan kapituliere selbst ich vor diesem Mindfuck in musikalischer Form. Dimensions driftet dann sogar fast in Industrial-Gefilde ab. Robotic voices paaren sich mit aggressiveren Ausbrüchen am Mikrofon, dazwischen mogeln sich schräge Soli und nervtötende Synthies. Irgendwie anstrengend das Ganze.

Mit Celestial Signals kehrt eher wieder die typische Handschrift Townsends zurück. Ausladende Arrangements, sphärische Keyboards und die unnachahmlichen Breitwand-Gesänge, die alles wie eine Flutwelle mit sich reißen. Es ist ja bald Weihnachten, da dürfen Kinderchöre nicht fehlen. Die wechseln sich in Heavy Burden mit Devin ab, der einen ganz großen Schluck aus der Pulle mit der Aufschrift „Gibberish“ genommen hat. Verrückt, aber gut. Puh, jetzt wird’s richtig poppig. Vacation könnte ohne die markante Stimme auch von einem x-beliebigen Singer-Songwriter der 80s Cheese-Fraktion stammen. Tut nicht weh, braucht aber auch niemand so wirklich.

Bevor es dem Ende zugeht, sei noch gesagt, dass Lightwork auch als Doppelalbum mit einer zweiten Seite namens Nightwork erhältlich ist. Die ist mir aber bisher nicht zu Gehör gekommen. Der zehnminütige Abschlusstitel namens Children Of God bleibt poppig. Aber der gute, progressive Pop, den Bands schon in den Sechzigern und Siebzigern prägten. Gerade was das Gesangsarrangement angeht, zieht Devin noch mal alle Register. Nur hätte er in der Hälfte der Zeit bereits alles gesagt. Dennoch ein versöhnlicher Abschluss.

Devin Townsend – Lightwork
Fazit
Auch nach unzähligen Durchläufen weiß ich nicht, wo ich Lightworker im großartigen Fundus des Kanadiers einordnen soll. Weht vor allem das Material der ersten Hälfte des Albums ohne Abnutzungserscheinungen auch noch in den kommenden Monaten wie Feenstaub durch meine Gehörgänge, so zündet der Großteil der zweiten Albumhälfte einfach mal gar nicht. Devin Townsend ist und bleibt ein großartiger Komponist und Sänger, aber die nächste musikalische Offenbarung habe ich in Lightwork bisher noch nicht gefunden.

Anspieltipps: Moonpeople, Lightworker und Call Of The Void
Florian W.
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