Das Interview mit Midriff-Bassist Jeremy im Zuge Keimels Metalldetektor Oktober 2017

Artist: Midriff

Herkunft: Kufstein, Österreich

Genre: Stoner Rock, Hard Rock, Alternative Rock

Label: TwoEleven Records, Recordjet, Soulfood

Link: http://www.midriff.at

Bandmitglieder:

Gesang und Schlagzeug – Paul Henzinger
Gitarre – Joshua Lentner
Bassgitarre – Jeremy Lentner

Im Zuge der Oktober-Ausgabe von Keimels Metalldetektor lud Markus Keimel Midriff Bassist Jeremy Lentner zum Gespräch. Zur Kolumne inklusive Bandporträt der österreichischen Stoner-Kapelle geht es HIER! lang.

Markus Keimel / Time For Metal:

Hallo Jeremy! Am 20. Oktober 2017 erscheint mit Decisions das mittlerweile dritte Midriff-Album, inklusive Ep´s die bereits sechste Veröffentlichung. Was können die Leute erwarten? Inwiefern unterscheidet sich Decisions von den vorherigen Veröffentlichungen?

Jeremy / Midriff:

Die Leute können ein gerades, ehrliches und hartes Rockalbum erwarten – es ist eigentlich alles dabei, was wir uns selbst von einem Rock/Metal Album erwarten. Wir klingen sicher nicht so, wie viele andere Bands im Moment. Im Studio verwenden wir keine Drum-Samples, die Gitarrensounds sind fast die gleichen, wie wir sie auch live verwenden, beim Gesang kommt kein Autotune o.ä. zum Einsatz, und wir mischten das Album so, wie wir einfach klingen, es gab kein Referenzalbum für die Produktion. Die gesamte Platte ist nicht „überproduziert“, für uns war es sehr wichtig, dass wir die Songs auch live als Trio reproduzieren können. Natürlich ist im Gitarrensolo noch eine zweite Gitarre eingespielt, aber großartige Layers sind da nicht dabei. Ganz nach dem Motto: Keep it real – keep it simple. Viele Alben sind heute dermaßen fett produziert, dass die Fans dann live manchmal fast schon enttäuscht sind, dass der Sound nicht so war wie auf Platte. Decisions ist sicher etwas härter als die Vorgänger ausgefallen, lebt aber immer noch von melancholischen Texten, ausgedehnten Clean-Passagen, großen Melodien und vielen, von uns bekannten Midtempo Riffs, die einfach zum Mitmachen animieren.

Markus Keimel / Time For Metal:

Wie verlief eigentlich die Studiophase des Albums beziehungsweise wie lange dauerte die Entstehungsphase?

Jeremy / Midriff:

Die ersten Songs bzw. Lyrics sind schon im letzten Sommer entstanden – ich habe ein paar Ideen zum Beispiel in einem kurzen Urlaub auf Kreta verfasst. So richtig mit dem Songwriting gestartet haben wir dann nach der Herbsttour. Dabei sammeln wir, jeder für sich, Ideen und bauen diese dann gemeinsam in der Preproduction Phase oder im Proberaum zusammen. Dabei werden viele Ideen wieder verworfen, umgebaut, wieder recordet und das Ganze startet von neuem. Da wir in unserem eigenen Studio produziert haben, war der Übergang von Preproduction zum Recording bei einigen Songs fließend. Die meisten Lyrics entstanden nicht direkt beim Songwriting, wir schreiben viele Textideen, probierten dann zur Musik und vervollständigten dann die Lyrics, die wir gerne auf der Platte haben wollten. Grob könnte man sagen, dass wir ca. vier Monate für das Songwriting gebraucht haben und dann in etwa 8-10 Wochen das Album fertig eingehämmert haben.

Markus Keimel / Time For Metal:

Wie funktioniert der Kreativprozess bei Midriff eigentlich generell? Musik, Arrangements und Lyrics – gibt es da eine gefestigte Hierarchie oder Gemeinschaftsarbeit?

Jeremy / Midriff:

Hierarchie gibt es bei uns in diesem Sinne gar keine – jeder schreibt Songs, wenngleich Paul (Schlagzeug, Gesang) und ich alle Lyrics schreiben. Wir schreiben auf der Akustikgitarre, auf dem Klavier, mit der E-Gitarre, oder auch beim basteln eines Drumbeats am PC. Midriff ist keine Jamband, wir proben und probieren ausgefeilte Ideen im Proberaum, ob diese auch funktionieren. Wo und wie man schreibt, ist eigentlich ziemlich egal – es gibt bei uns definitiv keinen Platz, wo die Kreativität immer funktioniert. Die Lyrics für Walls Down habe ich zum Beispiel in einem Hotelzimmer in Israel geschrieben, Palace Of Tears entstand bei einer Schifffahrt auf der Spree in Berlin. Es gibt somit eigentlich keine Grenzen, jeder hat ein Handy, du kannst Texte tippen, Ideen reinsingen, Riffs im Hotel aufnehmen…fürs Songwriting ist das einfach wunderbar – und gleichzeitig ein Fluch, denn man muss sich durch sehr viel Material hören. Grundsätzlich produzieren wir dann Demotracks, jeder hört sich diese an, und dann ist die Entscheidung, welche Tracks das Rennen machen, meist sehr leicht. Die Lyrics werden dann auf die Musik geschrieben oder ausgebaut –und dann ab ins Studio. In manchen Fällen überarbeiten wir die Lyrics dann noch einmal – es kann also gut sein, dass es drei oder auch vier Versionen eines Songs mit verschiedenen Lyrics gibt.

Markus Keimel / Time For Metal:

Welche Musikgenres bevorzugst Du abseits von Rock und Metal?

Jeremy / Midriff:

Ich persönlich höre auch gern mal den ein oder anderen Country Song – weil die Songs einfach gut gemacht sind und vor allem auch musikalisch verdammt viel hergeben. Da höre ich gerne Bands wie Blackberry Smoke oder auch Chris Stapleton, mich fasziniert die Einfachheit der Songs an sich, die Stimmung die dadurch vermittelt wird, und wie man es schafft, aus nur drei oder vier Akkorden so tolle Arrangements zu erstellen. Paul ist für diese Musik auch sehr zu begeistern, Josh legt neben Metal auch mal bisschen Jazz auf – da kann schon mal vorkommen, dass er sich Django Reinhardt reinzieht. Bei der ein oder anderen Party legen wir auch 80er und 90er Pop auf – aber eher im Bereich „Bad Taste“, haha!

Markus Keimel / Time For Metal:

Was ist Dein bis dato schönster Moment mit Midriff gewesen, und wie bist Du überhaupt damals zur Band gestoßen?

Jeremy / Midriff:

Josh und ich haben im Jahr 2008 eine Schulband gehabt, die sich halt aus schulband-typischen Gründen wieder zerschlagen hat, und waren auf der Suche nach einem Sänger und Drummer. Paul konnte diesen Posten in Personalunion besetzen – und Midriff war geboren. Die ersten zwei Jahre hatten wir noch ein Bassisten, dieser verließ aber 2010 den Dampfer aufgrund einer Ausbildung und es musste ein neuer Basser her. Ich wurde dann als Gitarrist entfernt und als Basser mit einem weitaus schlechteren Dienstvertrag wieder eingestellt, haha! Nein Spaß beiseite, wir fanden einfach niemanden, der zu uns passte und das Zeug so spielen konnte, wie wir uns das vorstellten. So kaufte ich mir kurzerhand ’nen Bass und das Equipment unseres ehemaligen Tieftöners und nahm die Sache selbst in die Hand. Ein Glücksgriff, in der Form des Trios fanden wir die ideale Zusammensetzung für den Midriff Sound.

Markus Keimel / Time For Metal:

Wie betrachtest beziehungsweise bewertest Du die aktuelle österreichische Rock- und Metalszene? Hat sie Aufholbedarf oder geht es in die richtige Richtung? Hast Du ein paar nennenswerte Bands und Favoriten?

Jeremy / Midriff:

Das ewig leidige Thema – österreichische Musikszene. Ich glaube, dass es wirklich viele tolle Bands und Künstler in Österreich gibt. Man braucht sich nur den großen Boom des Austropop/Rock ansehen, der in den letzten Jahren passierte. Bands wie Seiler&Speer, Bilderbuch, Wanda füllen die größten Hallen des Landes – sind in Deutschland gefragt und spielen sogar Shows in Japan. Trotzdem muss man sagen, dass es auch die Hard&Heavy Szene in Österreich schwer hat. Es gibt immer weniger Clubs, in denen gespielt werden kann, eine Österreich-Tour mit mehr als acht bis neun Terminen macht schon wenig Sinn, wenn man sich in der Größenordnung von uns bewegt, und es fehlen vor allem die großen Zugpferde in unserem Genre. Obwohl der Markt für harte Rockmusik in Österreich und Deutschland sehr groß ist, sind die „großen“ Bands doch eher aus Übersee oder auch einige aus Skandinavien. Sobald ein Land über große Seller verfügt, haben es auch kleinere Bands leichter, in diesem Fahrwasser aufzukommen und evtl. vielleicht von einer Band auf Tour eingeladen zu werden. Aber jeder muss kämpfen, für jeden ist es sehr viel Arbeit, und von da her muss man einfach sagen – der beste und erfolgversprechendste Weg ist, sich den Ar*** abzuspielen und einfach immer am Ball zu bleiben. Österreich hat ein tolles Publikum, viele musikinteressierte Fans und vor allem auch sehr viele kreative Musiker, nicht nur in Wien und Umgebung, man muss sich nur endlich mal in der Welt zeigen – die Skandinavier schaffen es ja auch! Ich glaube wir sind hier schon auf einem echt guten Weg, Rock und Metal aus Österreich in die Welt zu tragen. Spontan fallen mir u.a. die Dudes von Mother’s Cake ein oder auch die Symphonic Metaller Serenity.

Markus Keimel / Time For Metal:

Beatles oder Rolling Stones?

Jeremy / Midriff:

Songwriting: Beatles – Attitude: Stones – aber ich bewundere die Stones schon, dass man einfach seit so langer Zeit als Band funktioniert und immer noch auf der Bühne steht. Unser Sänger war gerade auf deren Konzert – war ein Erlebnis.

Markus Keimel / Time For Metal:

Vervollständige bitte folgende Sätze!

Musik bedeutet… für mich eine Lebenseinstellung.

Österreichischer Fußball ist… wie Schlager, kann man mögen, muss man nicht.

Von mir aus können alle wissen, dass… ich echt schlecht rückwärts parallel einparken kann.

Midriff klingen wie… drei Typen die einfach Spaß am Musikmachen haben.

Das beste Bier ist… von Bierol, einer kleinen Brauerei aus unserer Gegend.

Mein erster Bass war… eine Art Brett mit vier Saiten – aber hat den Zweck voll erfüllt.

Tirol ist… die Heimat, in die ich nach einer Tour immer gerne zurückkehre.

Ungern verzichte ich auf… hausgemachte Pizza meiner Mama und die Anschläge meiner Bandkollegen!

Es gehört verboten, dass… Basser die Bandopfer sind.

Das beste Album aller Zeiten ist…. – da gibt’s zu viele, aktuell rennt bei mir grad die neue Nothing More Scheibe.

Markus Keimel / Time For Metal:

Sehr ungewöhnlich ist, dass bei Euch der Sänger am Schlagzeug sitzt. Ich kann mir vorstellen, dass dies live hinsichtlich Bühnenaktivitäten eine kleine Einschränkung darstellt. Überwiegt das Alleinstellungsmerkmal, oder war die Überlegung schon mal da, dass sich Paul nur noch auf den Gesang konzentriert?

Jeremy / Midriff:

Zu Beginn gab es sicher mal kurze Überlegungen, aber eigentlich haben wir schnell gelernt, diese ungewöhnliche Besetzung für uns zu verwenden und mit diesem Alleinstellungsmerkmal umzugehen. Josh (Gitarre) und ich müssen natürlich sehr aktiv sein, das erfordert ein sitzender Drummer an der Bühnenvorderseite. Eine Midriff Show ist demnach natürlich auch körperlich eine anstrengende Angelegenheit für alle. Paul singt und spielt, und von uns zweien muss noch ein bisschen mehr kommen, als wenn du einen Hampelmann als Sänger in der Mitte stehen hast. Wir beide sind ein sehr gut eingespieltes Team und können ohne Probleme immer die Bühnenseiten tauschen. Etwaige Pedalboardbedienungen übernimmt dann einfach der jeweils andere. Wir sind hier ziemlich gut aufeinander abgestimmt.

Markus Keimel / Time For Metal:

Du bist tatsächlich der erste Bassist, den ich im Zuge meiner Kolumne interviewe. Für mich persönlich ist der Bass mitsamt seinen Aufgaben und frequenzfüllenden Bereichen das einzig unverzichtbare Instrument einer herkömmlichen Band, auch das am meisten unterschätzte. Wie erklärst Du Dir, dass Bassisten eigentlich in Bands oftmals so sehr im Hintergrund stehen?

Jeremy / Midriff:

Tja, das ist eine echt schwere Frage. Bei einem Trio ist es glaube ich schon nicht so einfach, im Hintergrund zu stehen. Da muss einfach jeder eine gute Arbeit abliefern, sonst läuft’s nicht – im Studio, auf der Straße, in allen Belangen rund um die Band. Viele Hörer und auch Musiker verstehen glaube ich nicht, dass Bass und Drums, wenn sie richtig grooven, der Motor hinter dem Sound einer Band sind. Hör Dir nur Bands wie Billy Talent an, wenn hier mal die Gitarre, aus welchem Grund auch immer, live wegfällt, erkennst du den Song immer noch, weil der Groove von Drums und Bass sowie dessen Lines die Songs bestimmen. Gerade als Trio – abgesehen von Gesängen, sollte der Bass auch nicht gerade wenig machen – der Bass ist essentiell für den Sound der Band. Er stärkt die Rolle der Gitarre, hält ihr aber gleichzeitig auch den Rücken frei in Soli oder im filigraneren Spiel. Gleichzeitig ist auch mein persönliches Rezept einer guten Bassline die Vereinfachung – ein schnelles Gitarrenriff ist manchmal in leicht abgeänderter Form, für sich allein gestellt schon fast „einfach“ die perfekte Ergänzung zu den anderen Instrumenten. Bei einem Trio ist dies immer eine Gratwanderung und erfordert einiges an Erfahrung innerhalb der Band, um den Sound „groß“ klingen zu lassen.

Markus Keimel / Time For Metal:

Am 20. Oktober 2017 geht es mit der Release-Tour los. Österreich und Deutschland stehen am Programm. Was kann man erwarten? Wie sieht es eigentlich generell mit Zukunftsplänen aus?

Jeremy / Midriff:

Am 20. Oktober 2017 spielen wir die Release Show von Decisions in Innsbruck, und anschließend geht es mit The New Roses auf einige Dates. Außerdem sind einige Headliner-Termine bis Mitte Dezember auf dem Tourplan und auch Shows mit den Jungs von Mother’s Cake oder den wieder auferstandenen Marrok. Wichtig ist einfach, dass die Band auf der Straße ist, tolle Shows spielt, das Publikum vergrößert und die neue Platte unters Volk kommt. Das sind auch gleichzeitig die Zukunftspläne. Wir hoffen natürlich auf eine tolle Decisions Tour Part II, die uns unter anderem auch wieder verstärkt nach Deutschland führen wird (im Frühjahr) und eine coole Festivalsaison im Sommer.

Markus Keimel / Time For Metal:

Jeremy, Du leitest die Learn To Rock – Musicschool in Tirol! Um was geht es da, erzähl mal!

Jeremy / Midriff:

Learn to Rock ist eine private Musikschule in Kufstein, welche für einen modernen, kundenorientierten Musikunterricht im Bereich der Popularmusik steht. Das Konzept und den Namen gibt es bereits zwei Mal im Raum Bamberg und eine weitere Schule in Innsbruck. Die SchülerInnen können hier nicht nur das Instrument erlernen, wir jammen regelmäßig bei öffentlichen Jamsessions, recorden Tracks zusammen, oder kümmern uns um Fragen, die den jungen oder auch schon älteren Musiker im Alltag beschäftigen. Wie stelle ich den Sound beim Amp ein? Oder: Wie kann ich das Songwriting in meiner Band verbessern? Außerdem bieten wir immer wieder Non-Profit Workshops im Bereich Tontechnik, Produkt-Clinics und auch Musikwirtschaft an.

Markus Keimel / Time For Metal:

Lieber Jeremy, danke für das nette Gespräch. Ich wünsche selbstverständlich weiterhin viel Erfolg und alles Gute mit dem neuen Album. Grüße mir Deine Kollegen. Abschließende Worte überlasse ich Dir.

Jeremy / Midriff:

Vielen lieben Dank für das Interview! Danke, dass es Leute wie Dich gibt, die Musik so dermaßen unterstützen und Musik eine Plattform geben.