Alexandra D.

Eine Redakteurin denkt sich durch die Musikwelt – Sind wir noch Festival?

Alex denkt mal wieder ...

Eigentlich wollte ich einen umfassenden Bericht über das Rockharz-Festival schreiben, aber irgendwie lenken mich andere Themen drumrum grad viel zu sehr ab. Ich bin in diversen Festival-Gruppen und scheinbar haben es sich einige Leute zum Hobby erkoren, mit gewissen Postings die Gemüter zu erhitzen und Diskussionen, die niemand braucht, loszutreten. Eigentlich war ich der Meinung, dass der Deutsche ein Routinetier ist, der sich gerne an seine Regeln hält und sich an seinen Gewohnheiten entlanghangelt. Neuerdings lese ich immer wieder, dass mancher schon bei einem Glasverbot an seine Grenzen stößt. Ich meine, es ist ja nichts Neues. Es hat sich ja nicht letzte Woche jemand überlegt, dass man doch mal mit einem Glasverbot ein paar Menschen nerven könnte. Stattdessen ist es seit Jahren auf vielen Veranstaltungen so und schützt vor kaputten Autoreifen und aufgeschlitzten Fußsohlen. Also offensichtlich eine Regelung mit Sinn und Verstand, die jedem einleuchten müsste. Eigentlich bedeutet Festival für mich Reduzierung des Komforts auf das Nötigste und ansonsten viel Freiheit, Spontanität und Fünfe-Grade-Sein-Lassen. Was zur Hölle ist so schwierig daran, sich dafür an die Auflagen vor Ort zu halten? Klar, wir alle sind seit Corona etwas empfindlich, was Regeln angeht und mancher Rebell meint sich wehren zu müssen, aber wenn man mal ganz genau draufschaut, fragt man sich, was die Leute denn heutzutage noch in Glas transportieren? Außer Schluck und Nutella fällt mir da nicht viel ein. Beides kann man schnell und einfach umfüllen und braucht dafür noch nicht mal Abitur! Aber möchte derjenige, der genau diese Frage zum 95. Mal stellt, überhaupt eine Antwort? Oder sammelt er Likes, Kommentare und genießt die Aufmerksamkeit, die er mit seinem Blödsinn erhält?

Und interessiert sich noch irgendjemand wirklich für die verschiedenen Musik-Genres auf einem Festival, oder geht es nur darum, seine eigenen Interessen rauszuposaunen und als einzig wahrer Metalfreak die anderen zu bekehren? Ich habe es immer sehr genossen, auf kleine Festivals zu fahren, neue frische Bands kennenzulernen, unterschiedliche Stile zu hören, egal ob Metal, Rock, Folk, Mittelalter oder Klamauk. Wenn ich drauf bestehe, dass ich nur eine Musikrichtung hören möchte, dann muss ich wohl auf die Konzerte der entsprechenden Bands fahren. Aber ich kann doch nicht erwarten, dass ein Festival nur Bands einer Richtung bucht. Grade von der Vielfalt lebt doch so ein Event. Es macht Spaß, Ungekanntes zu entdecken, sich mit Fans anderer Genres zu unterhalten, zuzusehen, wie sie ihre Bands feiern, auch wenn mir der Sound so gar nichts gibt. Ich liebe es, wenn die Band auf der Bühne ihre Spielfreude komplett auslebt, egal ob Feuerschau, verrückte Kostüme, grandiose Bühnenbauten oder völlig durchgeknallte Texte. Ich gebe zu, es gibt Dinge, die auch ich nicht bevorzuge. Schlager und Techno ertrage ich nicht lange und daran habe ich wenig Spaß. Aber ist es deshalb schlimm, wenn Schlagerstars auf Metalfestivals erscheinen? Warum muss man sich daran aufreiben? Entweder es ist superlustig, weil es so schräg ist, dass es schon wieder gut ist, oder ich gehe zum nächsten Bierstand oder zu den Futterbuden und verbringe die eine Stunde einfach dort. So flexibel ist man doch eigentlich oder ist uns das abhandengekommen? Können 80.000 Leute auf Wacken erwarten, dass jede Band passt? Zum Glück sind wir doch alle verschieden und mögen unterschiedliche Sachen. Das macht uns doch bunt und abwechslungsreich und neugierig! Wenn ich höre, Band XY war früher mal Metal, ist aber jetzt nur noch ein Witz, dann frage ich mich, wer legt hierfür die Grenzen fest? Es gibt inzwischen Hunderte Unterteilungen in Genres und es nervt mich schon lange, dass man immer alles in Schubladen stopfen muss. Wenn etwas nicht „True“ genug ist, wer entscheidet das und warum muss man anderen den Spaß daran verderben, indem man diejenigen, die es feiern, runterstuft. Sollte man nicht jedem die Freude gönnen können, auch wenn man selbst grad nicht so abgeholt wird? Vielleicht muss sich da jeder Kritiker mal überlegen, ob er nicht sich selbst und seine eigene Komfortzone einfach ein Stück zu wichtig nimmt und sich damit selbst den Spaß verdirbt? Die Jungs und Mädels auf der Bühne haben hart gearbeitet, um dort zu stehen, und auch wenn die Musik nicht mein Geschmack ist, habe ich Respekt vor ihrer Kunst. Wenn der Sänger strunzbesoffen von der Bühne kippt, dann ist das unprofessionell und nervt, aber kleine Pannen im Ablauf machen ein Konzert für mich noch viel natürlicher und nicht so starr abgespult. Und manche Band hat mich live komplett überzeugt, auch wenn ich sie vorher auf CD schon eigentlich abgeschrieben hatte.

Übrigens nerven auch mich die Crowdsurfer, wenn sie zu Hunderten über die Köpfe kommen. Besonders, wenn es 25x dieselben sind. Jeder weiß, dass es für die Menschen in den vorderen Reihen echt eine Herausforderung ist. Sie stehen manchmal schon sehr lange dort, um bei ihrer Lieblingsband vorn am Start zu sein. Dann geht es los und man kann gar nicht richtig feiern, weil eben ständig irgendwelche Springerstiefel, Hinterteile oder im schlimmsten Fall baumelnde Eier im Schottenrock weitergereicht werden wollen. Ich finde, auch hier hat es was mit Respekt und Rücksichtnahme zu tun. Wenn ich unbedingt dieses Crowdsurfing-Gefühl für mich brauche, dann kann ich es ja machen. Einmal pro Band würde doch aber reichen! Auch anderen Platz geben und die tragenden Hände schonen, damit sie auch beim nächsten Mal noch tatkräftig zugreifen und nicht stattdessen zur Seite springen, ist wieder so eine Ego-Sache. Ich glaube, die meisten fühlen sich dabei so cool, dass sie immer und immer wieder dieses Ich-bin-im-Mittelpunkt-und-alle-müssen-für-mich-da-sein-Gefühl brauchen. Vielleicht haben sie das im normalen Leben nicht. Doch würde sich jeder etwas zurücknehmen, so hätten alle ihren Spaß, nicht nur der Egomane, der immerzu auf Händen getragen werden möchte.

Auch immer wieder beliebt sind Bandwunschpostings. Ich finde das an sich gar nicht schlimm. Aber dann gibt es halt auch welche, die völlig absurd sind oder einfach nur darauf aus, zu provozieren und möglichst viel die Gemüter aufzumischen. Denn wenn sich ein anonymer Teilnehmer ausgerechnet die Onkelz oder (grad im Moment der ungeklärten Vorwürfe) Rammstein wünscht, dann ist doch eigentlich klar, was derjenige für ein Ziel hat: möglichst viel Pöbelei und Unruhe. Diejenigen, die darauf ernsthaft antworten, beißen sich meist die Zähne aus oder werden als Spießer oder Nervensägen betitelt, andersherum wird auch gerne mal die Nazi-Keule hervorgeholt. Es lohnt sich einfach nicht, bei so was mitzumachen, am besten ignoriert man diese offensichtlichen Provokationen. Und denjenigen, die tatsächlich einfach nur ihre Lieblingsbands kundtun möchten, denen kann man diesen Raum doch einfach gewähren und weiterscrollen, wenn es nicht interessiert. Vielleicht entdeckt man aber auch dort einfach mal was Neues für sich selbst oder wird an frühere gerngehörte Bands erinnert, die irgendwie in Vergessenheit geraten sind. Wo sind die Offenheit und die Neugier geblieben? Warum muss man sich über alles aufregen oder absichtlich mitnerven? Wobei, vielleicht bin ich grad nicht viel besser, indem ich mich mit all den engstirnigen Allesbeschwerern auseinandersetze.

Die gibt es ja mittlerweile auch auf allen Ebenen. Ob das Wetter oder der Sound, die Bandauswahl oder das Essen, irgendwas stimmt immer nicht. Es ist stets zu wenig Platz, zu laut oder zu leise, zu steinig, zu sandig, zu trocken, zu schlammig. Irgendjemand findet immer was zu meckern und dank des www hat er auch immer gleich die Möglichkeit, es herauszuposaunen. Wo sind all diejenigen, die sich trotz aller Hindernisse und Widrigkeiten einfach nur glücklich zurücklehnen und es genießen, dass sie die Möglichkeit haben, so ein tolles Event zu besuchen? Mancher verwechselt wohl einfach die Eintrittskarte fürs Festival mit dem Voucher für einen Fünf-Sterne-Hotelaufenthalt. Ich jedenfalls mag es, mal für ein paar Tage mit weniger Luxus auszukommen. Die Fünf-Minuten-Terrine vom Gaskocher, das nicht mehr ganz kalte Bier aus der Kühltasche, die klamme Bettdecke, ja sogar die ekligen Dixi-Klos und Guten Morgen Sonnenschein morgens um fünf Uhr … all das macht mich glücklich. Denn ich sitze weder im Büro, noch muss ich das Erbrochene meines Juniors aus dem Auto kratzen, bei strömendem Regen mit dem Hund Gassi gehen oder auf Tante Klothildes 80. Geburtstag freundlich Konversation über Häkeldecken halten. Kein Stress weit und breit und ich mache nur, was ich gerade will. Ich habe keine Verantwortung, muss nicht früh raus, ich kann bis vier Uhr morgens mit meinen Freunden sein und Musik hören, lachen und feiern. Es ist Freiheit und Leben und dieses einzigartige Gefühl, ein Teil von etwas ganz Großem zu sein.

Und dann steh ich im Publikum in der ersten Reihe, bin einfach glücklich, genieße die Musik und dann schiebt jemand sein Kind neben mich mit einem entschuldigenden Lächeln. Und eigentlich will ich kein Kind in meiner Nähe, weil ich froh bin, dass meins mal nicht da ist, aber dann pass ich automatisch doch mit auf, dass auch dieser kleine Mensch eine gute Zeit hat. Ja ich weiß, auch Kids auf Festivals sind ein ewiges Streitthema. Und auch hier ist es wichtig, genau hinzusehen. Ein Säugling, der ununterbrochen weint und sich augenscheinlich nicht wohlfühlt, der gehört einfach gemeldet und sollte geschützt werden. Kleine Kinder, die Mickymäuse tragen und mit Mama und Papa ein wenig über das Gelände flanieren, sind für mich kein Problem, solange die Eltern nicht volltrunken davontorkeln. Ein Kind ist verschwunden? Ja, das kann passieren. Ich habe schon mal eins im Supermarkt gesucht, selbst da kann man verzweifeln und wenn ich irgendwo ein Kind sehe, das offensichtlich orientierungslos ist, dann ist es mir selbstverständlich zu helfen. Ja, auch auf einem Festival! Ich hatte selbst mein Kind im Alter von 12 mit auf Wacken und davor, seitdem sie zwei Jahre alt waren, mit ihnen auf vielen kleinen Konzerten. Für mich gilt die Regel: Nie Alkohol trinken, wenn ich ein Kind dabeihabe. Schauen, dass es niemals in die Nähe eines Moshpits gerät und immer ausreichend Platz hat. Für ordentlichen Gehörschutz sorgen sollte eine Selbstverständlichkeit sein und meine Telefonnummer mit Edding steht auf dem Kinderarm. Meine Kids wussten immer, wo man sich im Notfall wiederfindet. Oder wen sie um Hilfe fragen können. Und ja, mein Kind war zwar auf Wacken, aber nur dienstags bis donnerstags. Sie hat dort keine Bands geschaut, sondern nur die Wasteland Warriors und sie hat ein bisschen Festivalluft geschnuppert. Sie hat es genossen, im Camp zu übernachten und war so glücklich, das Ganze einmal zu erleben. Beim diesjährigen Rockharz hatten wir zwei Kleinkinder im Camp. Das mag äußerlich nach Rabeneltern ausgesehen haben. Aber dass die Mama mit den beiden Kleinen immer nur am Nachmittag auf dem Campground war, mit uns gegrillt und ein bisschen das Campfeeling genossen hat und nach wenigen Stunden wieder gefahren ist, wer wusste das schon? Was ich damit sagen will, ihr wisst nie, ob es so ist, wie es aussieht. Gute Eltern sorgen dafür, dass ihre Kinder auch in der Festivalsituation sicher und gut aufgehoben sind und schenken ihren Kids vielleicht Erinnerungen fürs Leben. Schlechte Eltern werden auf dem Festival genauso dumm handeln wie daheim und man wird sie nicht daran hindern, indem allen dieser Spaß verboten wird. Gute Regeln, an die sich auch die Crews halten und Alterskontrollen durchführen, sind meines Erachtens wichtig. Und auch die Eltern sollten sich darüber im Klaren sein, dass sie nicht von den Campnachbarn erwarten können, dass Ruhe herrscht und Rücksicht auf die Kids genommen wird. Es ist normal, dass auf so einer Veranstaltung 24/7 laute Musik und Aggregate ballern. Auch damit muss man klarkommen, egal ob mit oder ohne Kinder.

Mein Fazit all dieser Gedanken: Genießt doch einfach die Musik und das Feeling! Seid fröhlich, lasst die Sorgen mal hinter euch und schiebt euer Ego vom Platz. Kommt zurück zum jeder-für-jeden, achtet aufeinander und feiert gemeinsam. Egal, welche Band sich auf der Bühne gerade den Arsch abspielt – gebt ihnen eine Chance. Und lacht und lebt und freut euch, dass ihr in der Lage seid, so was zu erleben. Seid neugierig und macht aus allen Unbequemlichkeiten das Beste. Egalt einfach ein bisschen mehr, nehmt Rücksicht und bleibt entspannt. Und vor allem: Lasst doch einfach mal das Internet aus. Ihr habt schließlich frei und da tut es ganz gut, auch mal nicht erreichbar zu sein. Und hinterher? Nervt nicht im www herum und akzeptiert diejenigen, die einfach noch so auf der Festivalwelle festhängen, dass sie ständig was posten müssen, weil sie verzweifelt versuchen, nicht wieder im langweiligen Alltag anzukommen. Nach dem Festival ist vor dem Festival und ich freue mich auf jedes, das noch kommt 😊