Götz Widmann – „30 Jahre Joint Venture“ am 19.01.2024 im Backstage in München

Dreißig Jahre durch die Grüne Brille

Eventname: Götz Widmann – 30 Jahre Joint Venture

Headliner: Götz Widmann

Vorband: Melvin Haack

Ort: Backstage, München (Club)

Datum: 19.01.2024

Kosten: 27,00 € VVK

Genre: Liedermacher

Besucher: ca. 150 Besucher

Veranstalter: Backstage München

Link: https://backstage.eu/gotz-widmann-30-jahre-joint-venture.html

Dreißig Jahre – das ist fast ein halbes Leben. Gegründet 1993 in Bonn, waren Joint Venture mit ihrer einzigartigen Mischung aus oft satirisch-humorvollen, aber auch romantisch-nachdenklichen Songs ein unverzichtbarer Teil der neueren, deutschen Liedermacherszene und – zumindest im deutschsprachigen Raum – einem breiten Publikum bekannt.

Dass wir im Jahre 2024 von nunmehr drei Jahrzehnten Joint Venture sprechen, ist letztlich Götz Widmann zu verdanken, denn während sich dessen kreatives Schaffen inzwischen tatsächlich über die genannten drei Dekaden erstreckt, endete das Leben seines Bühnenpartners und engen Freundes Martin „Kleinti“ Simon viel zu früh schon im Jahr 2000, und damit waren auch Joint Venture Geschichte. Das Schicksal hat seinen ganz eigenen Humor. Dreißig Jahre – manchmal ist das auch fast ein ganzes Leben.

Den Erinnerungen und Geschichten, vor allem aus der gemeinsamen Zeit als Duo Joint Venture, einen eigenen Raum im Rahmen einer Konzertreise zu bieten – mit diesem Anspruch ist Götz Widman bereits im Winter 2023 angetreten, und am heutigen Freitag soll der Backstage Club in München die Kulisse dafür sein. Auch wenn Widmanns Diskografie aus der Zeit nach 2000 über ein Dutzend Releases ausweist – an diesem Abend wird es nur um Joint Venture gehen.

Das Backstage-Gelände ist aufgrund der Parallelveranstaltungen bereits gut gefüllt, und zum ersten Mal überhaupt erlebe ich, dass der Zugang zum Club über die Außentreppe erfolgt. Der obere Bereich – mit Bar und Mischpult ausgestattet und üblicherweise nur den Bands vorbehalten – ist geöffnet, die Galerie erlaubt einen hervorragenden Blick auf die Bühne und das Geschehen in der unteren Etage.

Melvin Haack – 19.01.2024 -München

Nicht ganz überraschend hat sich die Partei Die Partei mit einem eigenen Infostand gleich neben der Bühne eingefunden, es werden Aufkleber verteilt und Unterstützer-Unterschriften für die Zulassung zur Wahl des 10. Europäischen Parlaments im Juni gesammelt. Wo sich sonst Schlagzeug, Bühnen-PA, endlose Kabelschleifen und weitere Technik drängen, ist bis auf zwei Mikrofone und zwei Gitarren an diesem Abend nichts zu sehen.

Pünktlich um 20:30 Uhr betritt dann – zumindest für mich unerwartet – Melvin Haack als Erster die Bühne. Von Götz Widmann persönlich als extrem unterschätzter Künstler angekündigt, ist er unter anderem Teil des Berliner Liedermacher-Kabaretts Schnaps Im Silbersee. Heute gibt er „nur“ den Anheizer, am 25. September 2024 ist er aber auch noch einmal solo in München unterwegs, im Schlachthof.

Nach einer kurzen namentlichen Vorstellung und dem Hinweis darauf, in direkter Übersetzung seines Vornamens ein „hässliches Dorf“ zu sein, legt der gebürtige Braunschweiger, der hauptberuflich an einem Gymnasium lehrt, los und hat innerhalb kürzester Zeit das Publikum ganz auf seiner Seite. Egal, ob es um die Banalität aller Dinge und Lebensformen in ihrer auf Kohlenstoff basierenden Vergänglichkeit oder die Herabwürdigung von Einhörnern zu langweiligen Equiden mit Strap-on Horn geht – solche Wortakrobatik braucht weder Netz noch doppelten Boden. Mehr als nur einmal erntet das Feuerwerk an abstrus-klugen Wortspielen wohlverdiente Lacher, die sich darüber hinaus auch ebenso spielend durch die eine oder andere Ansage zwischen den Songs provozieren lassen.

Nach nur vier Songs verabschiedet Haack sich bereits wieder, nur die zwei Mikrofone lassen erahnen, dass es vielleicht nicht das letzte Gastspiel an diesem Abend sein wird.

Kurze Pause, dann betritt Götz Widmann die Bühne, und es beginnt die musikalische Zeitreise zurück in das ausklingende letzte Jahrtausend, als zwei Freunde, anfangs noch recht ratlos am Scheideweg tausend möglicher Lebenswege stehend, sich dafür entschieden, zunächst der gemeinsamen Liebe zu bewusstseinserweiternden Substanzen und später dem Drang zur künstlerischen Selbstverwirklichung nachzugehen.

Götz Widmann – 19.01.2024 -München

Es erklingen Joint Venture-Klassiker wie Das Zwischen Den Beinen, Hank Starb An Ner Überdosis Hasch und Die Fliege. Der Liebe zum benachbarten Tiefland der Tulpen, nur getrübt im Rahmen sportlichen Wettbewerbs auf dem Fußballfeld, wird ebenso Ausdruck verliehen wie der heilsamen Wirkung des vor dem inneren Auge kopulierenden Politpersonals auf die geistige Gesundheit.

Zwischen den Songs erzählt der Künstler – und er erzählt viel, einfach weil es viel zu erzählen gibt – vom Kennenlernen der beiden, initiiert durch einen gemeinsamen Freund, von den Anfängen der Band, von abenteuerlichen Touren im Nachbarland, illegalen Substanzen, dem ganz normalen Wahnsinn des Lebens und dem Leben von Träumen, wenn Pläne scheitern. An dieser Stelle weitere Details der Erzählungen auszulassen, geschieht weniger mit dem Anspruch, Geheimnisse zu bewahren, sondern eher aufgrund der Einsicht, dass es nur einen gibt, der sie so erzählen kann, dass sie lebendig werden, und dass man ihn einfach unbedingt live erleben muss zu diesem Zweck.

Wer einen müden und vom vielen Kiffen und Trinken zermürbten alten Mann erwartet hat, der wird an diesem Abend massiv enttäuscht. Götz Widmann, obgleich bereits im 59. Lebensjahr angekommen, hat offensichtlich nichts an Witz und der Intensität seines Gitarrenspiels eingebüßt. Hellwach und mit durchdringender Stimme greift er in die Saiten, und die Menge hängt an seinen Lippen, jederzeit textsicher und aus vollem Hals mitsingend, und selbst angesichts ausschweifender Erzählungen und Anekdoten nur ein einziges Mal ungeduldig zum Fortfahren drängend.

Götz Widmann – 19.01.2024 -München

Und so gerät dieser lange Abend – ohne Längen zu haben – zu einer oft augenzwinkernden Retrospektive, in der es auch an Altersweisheiten und Selbstironie nicht fehlt. Routiniert und dabei doch ohne den Makel des Automatismus wird nach zahllosen Songs und Geschichten sowie einer Erfrischungspause über zwei Stunden später dann die Zugabe angekündigt. Der Künstler lässt sich nicht lange bitten, es folgen weitere Gassenhauer, darunter auch das schelmische Ich Liebe Mich, das nicht ohne einen Hauch inhärenter Melancholie auskommt.

Für einen kurzen Gastauftritt am Mikro kommt – wie erwartet – Melvin Haack noch einmal für einen gemeinsamen Song auf die Bühne, Arm in Arm genießen beide Künstler den Applaus. Zum Schluss wird dann noch einmal ganz deutlich, dass sich das Können Joint Ventures allem Klamauk zum Trotze nicht auf das Untenrum und die Huldigung des Exzesses verengen lässt. Ich Möcht Gern Mal Du Sein – ein waschechtes Liebeslied, übrigens nicht das Einzige im Portfolio. Beschwingt geht es hinaus in die Nacht mit der Erkenntnis, dass 30 Jahre zwar wie im Fluge vergehen können, aber dass auch etwas bleibt, das nachklingt, auch nach all der Zeit.