Event: Mittelalterlich Phantasie Spectaculum Fette Heide 2024
Bands: Harpyie, dArtagnan, Knasterbart, Waldkauz, Mr. Hurley & Die Pulveraffen, Subway To Sally, Versengold, Feuerschwanz, Saltatio Mortis, Heavysaurus, Nebenbeisorgenfrei, Ye Banished Privateers, Fictum, Narrenkai, Katerfahrt, Tir Saor, RaptoRex, Saor Patrol, Opus Furore, Kupfergold, Harmony Glen, Fictum, Comes Vagantes, Cobblestones, Rapalje, Liam Bo Skol, Sandsacks, Kool Katz, Bagatelli
Ort: Turniergesellschaft Luhmühlen, Bruchweg 3, 21376 Salzhausen, OT. Luhmühlen
Datum: 06.09.2024 – 08.09.2024
Kosten: VVK zwischen 28 € und 66 € für MPS Musik; MPS Markt zwischen 18 € und 24 €
Zuschauer: ca. 10.000 (Musikarena)
Genre: Mittelalter, Rock, Folk Rock, Comedy
Link: https://www.spectaculum.de/termine/luhmuehlen/
Der zweite Tag legt temperaturtechnisch gegenüber dem Vortag sogar noch zu, sodass der Auftritt von Waldkauz der Hitze und der veränderten Wegführung zum Opfer fällt. Um 15 Uhr geht es für uns los. Zwei Stunden Mr. Hurley & Die Pulveraffen auf der MPS-Bühne sorgen bereits früh für ein gut gefülltes Infield.
Heute werden beide Bühnen abwechselnd bespielt. Die MPS-Bühne, die bereits gestern bespielt wurde, beherbergt Bands mit einer zweistündigen Spielzeit. Auf der Festivalbühne haben die Bands nur 90 Minuten Spielzeit. Der eng getaktete Spielplan in der Musikarena macht einen längeren Besuch des Mittelaltermarkts unmöglich. Dazu kommen die für Anfang September hohen Temperaturen. Wie am Vortag sind auch heute Wasserspender an mehreren Stellen zu finden, sodass sich Fans Kühlung verschaffen können. Trotzdem sind das Stehen und Bewegen in der prallen Sonne wenig angenehm. Die Sitzplätze unter den Sonnensegeln sind heiß begehrt. Erst gegen Abend wird es erträglicher, aber für einen Septemberabend viel zu warm.
Eine Schätzung, wie viele Menschen vor der Bühne stehen, als Mr. Hurley & Die Pulveraffen ihr Set starten, ist nahezu unmöglich. Es sind viele Menschen, die Simon Erichsen – heute als Mr. Hurley – sehen wollen. Wenn es aktuell einen Durchstarter in Sachen Folk und Mittelalter gibt, dann das Quartett aus dem karibischen Osnabrück. Minimalistisch von den Instrumenten, klare Kante gegen rechte Dumpfbacken sowie sonstige homophobe Spinner und humorvolle, eingängige Piratenthemen sind die Trademarks des Vierers.
Musikalisch und vom Unterhaltungsansatz knüpfen Die Pulveraffen an den gestrigen Abend und Knasterbart an. Was macht ein Schrumpfkopf Im Rumtopf oder ein Nagetier im Lagerbier? Ein neuer Hit ist Meine Schnauze, wo sich zum Refrain „Ich halte einfach nicht, ich halte einfach nicht, ich halte einfach nicht meine Schnauze. Wenn ich das mal hinbekäme, hätte ich noch alle Zähne, doch ich halte einfach nicht meine Schnauze“ eine endlose Polonäse bildet sich, die gefühlt bis zum gar nicht so weit entfernten Blankenese geht.
Mann Über Bord übernimmt Pegleg Peggy gemeinsam mit Nina von Waldkauz. Hier geht es um das Thema Sexismus, das leider immer wieder angesprochen werden muss. Mit steigendem Alkoholpegel verfallen maskuline Teutonen gerne mal vom Mittelalter in die Steinzeit, auch auf einem MPS. Im bunt zusammengewürfelten Medley in Richtung Ende des Sets beziehen Die Pulveraffen klare Position gegen Nazis, was die Unterstützung entsprechender Netzwerke verdeutlicht. Blau Wie Das Meer ist das Quartett auch heute und es ist Zeit für den Bühnenwechsel.
Ein großer Name der deutschen Folk-, Mittelalter- und Gothic-Szene steht bereits um 17 Uhr auf der Bühne. Subway To Sally füllen nach wie vor Clubs und Hallen und sind selbstverständlich auch auf dem MPS ein Highlight. Die Henkersbraut startet, bevor es zum aktuellen Album Himmelfahrt mit Was Ihr Wollt und Leinen Los geht. Der Sound passt, die Atmosphäre ebenso, auch wenn sich das Tageslicht und die Sonne für ein Subway To Sally Konzert komisch anfühlen. Warum? Eigentlich sind hier Eisblumen unterwegs, die sind viel zu schön für den Tag. Die Überraschung kommt angeritten. Subway To Sally covern Der Goldene Reiter von Joachim Witt. Die Gothic-Version klingt durchaus interessant und wird von den Old-School-Anhängern textsicher abgefeiert.
Viele Hits graben Subway To Sally heute aus. Es wird sicher bis Sieben gezählt, auf dem Vulkan getanzt und der falsche Heiland angeprangert. Fish widmet den Song den ganzen falschen Propheten, die aktuell die Welt unsicher machen. Der Abschluss des Hauptteils obliegt Kleid Aus Rosen. Der Refrain wird nicht nur einmal vom Infield intoniert. Dazu verteilt Fish Rosenblätter, die der Meister auf dem weißen Kleid wachsen lässt.
Die Zugabe hat eine weitere Überraschung am Start. Sanctus von der Scheibe Bannkreis als Opener zu Gott Spricht, wo Geigerin Alley mit einem besonderen Kleid und Kopfschmuck die sprechende Göttin darstellt. Die Feststellung ist auch heute, dass die Menschheit der Fehler der Schöpfung ist und Gott sich fragt, was er getan hat. Der Veitstanz leitet zu dem bereits mehrfach angestimmten Kinderlied Julia Und Die Räuber über, der wie bei fast jedem Subway To Sally Konzert den Schlusspunkt bildet. Seit mehr als 30 Jahren liefern Subway To Sally konstant hochklassige Konzerte, wovon sich die Fans auf dem MPS heute überzeugen konnten.
Während die letzten Töne von Subway To Sally verklingen, scharren Versengold bereits mit den Hufen auf der anderen Bühne. Die Bremer Stadtmusikanten sind sowas eine der Konstanten auf dem MPS. Gab es schon mal ein Jahr, in dem Versengold nicht auf einem MPS gespielt haben? Corona? Falsch, auch da gab es ein MPS in Luhmühlen, auf dem Versengold gleich zweimal zu erleben waren. Die Fanbase ist entsprechend groß und die Menschenmasse vor der Bühne riesig. Ein Vorhang verdeckt die Sicht auf die Bühne, obwohl die ersten Töne erklingen. Der Vorhang fällt zu Glimmer Und Gloria, der Bewerbungssong von Versengold für den ESC.
Wie bei vielen anderen Bands des Genres, so ist auch die Entwicklung Versengold in den vergangenen Jahren von der Folkband zu einer Partyband mit Folkinstrumenten. Vor allem die neuen Nummern wie Flaschengeist oder Im Bier Sind Dinge Drin setzen auf Party und Massenmarkt. Leider fallen die eigentlich auf ein MPS gehörenden Titel Paules Beichtgang oder Drey Weyber aus dem zweistündigen Set. Die Highlights sind Sachen wie Feuergeist, Solange Jemand Geige Spielt oder Haut Mir Kein‘ Stein. Bei Haut Mir Kein‘ Stein verarbeitet Hoyer eine Nahtoderfahrung während eines Urlaubs in Marokko.
Wichtig auch hier – nach braunen Pfeifen tanzt niemand bei Versengold. Hoyer erläutert, dass sich Künstler:in nach seiner Meinung klar positionieren müssen. Versengold stehen für eine offene Gesellschaft, in der jeder glauben kann, was er will, und lieben kann, wen er will. Der passende Track nennt sich Braune Pfeifen und das Publikum intoniert den Refrain textsicher. Das Thekenmädchen gehört mittlerweile zu den Klassikern, obwohl noch keine zehn Jahre alt. Ich Und Ein Fass Voller Wein ist der Oldie des Sets und stammt vom 2016er-Release Allgebraeu. Hoyer wird von Hotze zu Moses, der das Publikumsmeer teilt. Er und Gitarrist Daniel sind im Publikum unterwegs, wo der Refrain zum Ohrwurm wird. Der Schlusspunkt vom Hauptteil ist der Kobold, den nicht nur Versengold im Kopp haben. Irish Folk trifft auf Wortwitz und Ohrwurmrefrain. Das sorgt für ein tanzendes und feierndes Publikum bei untergehender Sonne.
Die Letzte Runde läutet den Schlussspurt ein. Bassist Eike Otten und Hoyer sind im Publikum und gedenken der vielen Kneipen, die es nicht mehr gibt. Mit dem norddeutschen Sprichwort Butter Bei Die Fische beenden Versengold ihren heutigen Auftritt unter tosendem Applaus. Traditionell folgt der Abgesang und das Sextett verneigt sich vor ihren Fans. An der Performance gibt es nichts zu meckern, die älteren Fans vermissen aber trotzdem die MPS-Klassiker von früher.
Auf der Festivalbühne sind nun Feuerschwanz als nächste Band an der Reihe. Wer vor circa zehn Jahren behauptet hätte, dass Feuerschwanz vor mehreren tausend Menschen spielen, der hätte Hohn und Spott geerntet. Eine Blödel-Truppe, die den Witz gerne unter dem Keuschheitsgürtel platzierten, spielte irgendwo auf der Marktbühne. Das eine oder andere schräge Cover gab es obendrauf. Seit Metfest springen Feuerschwanz von Erfolg zu Erfolg. Vor allem die Scheibe Das Elfte Gebot mit Folk-Power-Metal, sorgte für erstaunte Gesichter.
So schnell wie Feuerschwanz vom Comedyhaufen zum Power Metal gekommen sind, genauso schnell sind der Hauptmann und seine Mitstreiter weitergezogen. War Memento Mori noch ein Party-Power-Metal-Mix, so ist spätestens seit Fegefeuer der Partyaspekt klar im Vordergrund. Einen drauf setzt Warriors mit Coverversionen und englischen Übersetzungen. Übrigens sprechen viele Menschen chinesisch und spanisch. Wann gibt es denn hier die Übersetzungen? Die chinesisch und spanisch sprechenden Menschen warten ganz bestimmt auf die lyrischen Partyergüsse der Band aus Franken.
Im Gegensatz zu Versengold setzen der Hauptmann Feuerschwanz und ein Gefolge rein auf Party, sodass vor allem die neueren Lieder wie SGFRD Dragonslayer oder Untot Im Drachenboot im Set zu finden sind. Das Publikum feiert die Dinger ab und gibt den Protagonisten recht. Der dauerhafte Partymodus der Damen und Herren wirkt an der einen oder anderen Stelle etwas over the top. Das Metfest ist ein Muss auf dem MPS und ist bereits recht früh auf der Setlist zu finden. Positiv heben sich Kampfzwerg und die älteren Dinger wie Die Hörner Hoch oder Schubsetanz ab, die noch mehr im Folk zu verorten sind.
Covern ist Feuerschwanz-Handwerk. Dragostea Din Tei oder Warriors Of The World United von Manowar gehören mittlerweile zum Standardrepertoire. Wer ein Konzert sucht, wo Mensch auch mit zwei Promille auf dem Kessel die Songs problemlos mitgrölen kann, kommt bei 90 Minuten Feuerschwanz voll auf seine Kosten. Nicht alle Menschen auf dem MPS stehen auf die Dauerparty und sammeln sich bereits vor der MPS-Bühne, auf der Alea und Co. um 22 Uhr erwartet werden.
Den Dauerpartymodus haben Saltatio Mortis mit dem aktuellen Album Finsterwacht durchbrochen. Die LP Für Immer Frei mit Deutschrock und einem quasi kaum mehr existierenden Mittelalteranteil, sorgte unter den Fans für Gesprächsstoff. Sind Saltatio Mortis auf den Spuren der Toten Hosen? 2024 haben die Herren sich etwas mehr auf ihre Basis und Ursprung fokussiert. Klar, der Erfolg gibt Alea und Co. recht, sodass der Partyfaktor auch auf Finsterwacht zu finden ist. Dass Saltatio Mortis sich 20 Jahre rückwärts wenden, war auch nicht zu erwarten. Trotzdem ist es schön, dass es sich beim Vergleich zu Feuerschwanz nicht ausschließlich um Party dreht.
Den Eröffnungssong hat ein nicht unbekannter Sänger aus Krefeld mitgestaltet. Hansi Kürsch und Blind Guardian sind aber nicht in Luhmühlen, so muss Alea allein für die Finsterwacht-Stimmung sorgen. Insgesamt bestimmt das neue Werk – es ist ein Album mit Rollenspiel – das Konzert mit insgesamt sieben Tracks. Erster Höhepunkt ist Loki, auch ohne Feuer, das wegen der Trockenheit auf dem Gelände auch heute verboten ist.
Die Frage, wo die Clowns dieser Welt sind und wer das Lachen abbestellt hat, befindet sich ebenfalls recht früh in der Setlist. Das Ding ist ein Selbstläufer und wird vom Publikum textsicher mitgegrölt. Die Partyfraktion bekommt My Mother Told Me oder Pray To The Hunter auf die Ohren. Die Damen und Herren des Folk- und Mittelalters feiern zu Prometheus und Rattenfänger. Alea wird zum singenden Crowdsurfer. Mehr als nur bewundernswert, welche Körperbeherrschung der Fronter noch immer an den Tag legt. Saltatio Mortis werden kommendes Jahr 25 Jahre alt und Alea war bestimmt älter als zehn Jahre bei der Gründung. Bezüglich Fitness dürfte es kaum einen zweiten Musiker geben, der sich im fünften Lebensjahrzehnt derart durchtrainiert präsentiert.
Das Mittelalter hat Saltatio Mortis nicht geschadet. Der passende Refrain „der Kopf tut weh, was für ’ne Nacht, was hat das Mittelalter nur aus uns gemacht, genug geweint, jetzt wird gelacht, wir tanzen, bis der Tag erwacht“ wird zum Motto des Abends. Es ist das finale MPS der Saison 2024. Nach einer kurzen Pause folgt etwas überraschend früh der Spielmannsschwur und somit der traditionelle Schlusspunkt eines Saltatio Mortis Konzerts.
Es geht heute nicht nur um Saltatio Mortis als Band, es geht um die Würdigung der Menschen rund um das MPS. Crew, Sicherheitsleute und auch den Macher Gisbert Hiller erwähnt Alea zum großen Finale. Der Abspann könnte nicht passender sein. Die MPS-Hymne von Knasterbart ertönt vom Band und der zweite Tag des MPS in Luhmühlen ist zu Ende.
Für uns endet mit dem Gig von Saltatio Mortis das Festival ebenfalls. Der Sonntag ist Familien- und Kindertag. Der gehört den Familien und Kindern und nicht Schreiberlingen und Fotografen.
Unterm Strich sind die aufspielenden Bands mehr oder weniger immer die gleichen Akteure. Die Szene ist überschaubar und die Headliner umtriebig. Viel entscheidender als die Musik auf der Bühne ist das drumherum. Das MPS in Luhmühlen besticht mit einer wundervollen Atmosphäre. Dafür sorgen alle Beteiligten, von den Bands bis zu den Menschen im Hintergrund und vor allem die Besucherschaft selbst. Wo kannst du bitte mit einer Ciderflasche in der Hand fünf Meter vor der Bühne stehen? Egal, ob an den Fressbuden, den Sitzgelegenheiten oder vor der Bühne – das Miteinander steht im Vordergrund unter der Regenbogenflagge, die die Sicht auf die Bühne vor dem Saltatio Mortis Gig verdeckt. Gelebte Inklusion sorgt dafür, dass jeder Mensch auf dem Festival seinen Platz findet. Danke MPS, wenn wir es zeitlich einrichten können, dann sind wir 2025 erneut am Start.
Hier kommt ihr zum Bericht von Tag eins:
Mittelalterlich Phantasie Spectaculum Fette Heide vom 06.09. bis 08.09. 2024 in Luhmühlen – Tag eins