Terrasite Over Europe 2024 am 20.03.2024 im Backstage in München

Von Stichwunden und Rindviechern ohne Kopf

Eventname: Terrasite Over Europe 2024

Headliner: Cattle Decapitation

Vorbands: Vomit Forth, 200 Stab Wounds, Signs Of The Swarm

Ort: Backstage, München (Werk)

Datum: 20.03.2024

Kosten: 31,00 € VVK

Genre: Death Metal, Death Core, Grindcore

Besucher: ca. 500 Besucher

Veranstalter: Backstage München

Link: https://www.facebook.com/events

Sperrt das Tofu weg, die herbivoren Weltuntergangspropheten sind wieder auf Tour! Hurra! So oder so ähnlich schoss es mir durch den Kopf, als im Herbst letzten Jahres die Terrasite Over Europe 2024 Tour der US-Death-Metaller von Cattle Decapitation angekündigt wurde. Glücklicherweise steht auch Deutschland gleich mehrfach auf der Liste, und am heutigen Mittwoch macht die Band zusammen mit den Landsmännern von Vomit Forth, 200 Stab Wounds und Signs Of The Swarm Station im Münchner Backstage. In den Deutschen Albumcharts ist der aktuelle Longplayer Terrasite immerhin auf Platz 34 gelandet, mehr als beachtlich für ein Musikgenre, dem die meisten „normalen“ Menschen wahrscheinlich Industrielärm vorziehen würden. Nicht nur in München wurde der Auftritt aufgrund der Nachfrage in eine größere Location hochverlegt, was im Falle des Backstage einfach nur bedeutet, dass der Auftritt nicht in der Halle, sondern 20 Meter weiter im Werk stattfindet.

Vomit Forth – 2024-München

Als ich eintreffe, ist besagte Örtlichkeit noch ziemlich leer, aber die lange Schlange am Eingang lässt bereits erahnen, dass die Verlegung auf die größere Bühne eine gute Idee war. Ich setze mich an die Seite und schaue dem nicht enden wollenden Strom an Menschen zu, die langsam aber sicher den Bereich vor der Bühne füllen. Absolut pünktlich um 19 Uhr geht es los mit Vomit Forth, einer noch recht jungen Band aus Connecticut, die eine ziemlich räudige Form von Death Metal zelebriert. Auch textlich werden keine Gefangenen gemacht. Trinkspiel auf „kill“ oder „corpse“? Lieber nicht.

Fronter Kane verleiht seiner Forderung nach Aktion im Publikum unmissverständlich Ausdruck – dass bereits zehn Minuten nach Beginn eines Gigs Circlepits gefordet werden, erlebt man auch nicht alle Tage. „Bang your fucking head“ heißt die Devise, der Mittelfinger ist ständiger Begleiter, und auch wenn das Münchner Publikum wie gewohnt etwas Aufwärmzeit braucht (was die Band tatsächlich als „embarassing“ bezeichnet) – es kommt sehr schnell Bewegung in die Reihen. Die Songs, von denen wie zu erwarten ein großer Teil vom ersten und bisher einzigen Longplayer Seething Malevolence stammt, sind kurz, brutal und prägnant. Noch sieht man keine Crowdsurfer, aber das wird sich bald ändern.

200 Stab Wounds – 2024-München

Die Lichtverhältnisse sind gut, ich habe meine Schüsse nach nur zwei Songs im Kasten und sprinte wieder aus dem Fotograben. Dabei begegnet mir kein Kollege, bis zum Ende des Gigs erspähe ich keinen einzigen anderen Vertreter der Lichtbildnerei, ungewöhnlich für einen derart stark frequentierten Auftritt. Kurze Umbaupause, als Nächstes stehen 200 Stab Wounds auf dem Plan. Die vier Jungs aus Cleveland, Ohio haben sich 2019 zusammengefunden, und der Titel des Longplayers Slave To The Scalpel lässt vermuten, dass es auch weiterhin an diesem Abend kaum weniger blutig zugehen wird. Der Sound ist oldschoolig und roh, die Gesänge über allerlei Umformungen toten und lebenden Gewebes kommen tief auf dem Schlund von Frontmann Steve. Die Band zeigt sich beeindruckt von Anwesenheit und Zuspruch der Fans und nutzt die Pausen im unmenschlichen Geballer für ein von Herzen kommendes „Danke!“.

Signs Of The Swarm – 2024-München

In der Mitte des Backstage Werks hat sich inzwischen ein richtiger Hexenkessel gebildet, vereinzelt werden die ersten Körper in der Waagerechten über die Köpfe getragen, und der Schweiß glänzt auf den Gesichtern. Ob die beseelte Banger-Gemeinde wirklich auf dem Zettel hat, was noch kommt? Offenbar lässt man es bewusst darauf ankommen. Dass die Temponadel an diesem Abend nur die Tendenz nach oben und in Richtung des roten Bereichs kennt, machen dann auch die Dritten im Bunde, Signs Of The Swarm aus Pittsburgh, Pennsylvania, schnell klar. Nach den zwei bluttriefenden Todesbleiattacken gibt’s jetzt Deathcore vom Feinsten auf die Mütze. Das merke ich sogleich auch im Fotograben, vom ersten Moment an gibt’s einfach nur konsequent auf die Zwölf. Die Drums imitieren eigentlich am laufenden Band das gesamte mögliche Spektrum schneller automatischer Waffen und das Gewitter an Breakdowns fährt – dicke Anlage im Werk sei Dank – durch Mark und Bein.

Damit die endlos moschende Menge gar nicht erst auf den Gedanken kommt, sich gerade jetzt eine Pause zu gönnen, fordert Frontmann David Simonich, dessen Faust mit Mikrofon und Mund zu verschmelzen scheint, das Publikum dazu auf, auf jeden Fall dafür Sorge zu tragen, dass die Security sich ihr Gehalt auch redlich verdienen muss an diesem Abend. Das lässt man sich nicht zweimal sagen, der Strom crowdsurfender Verrückter will kein Ende nehmen. Es erklingen Songs wie Pernicious, Pray For Death, Nameless, Amongst The Low & Empty und Tower Of Torsos. Gegen Ende ein fast besinnlicher Moment – Handylampen statt Feuerzeuge erhellen das Werk und die wilde Über-Kopf-Surferei wird kurz pausiert.

Cattle Decapitation – 2024-München

Derart in Rage versetzt, gehe ich gedanklich für den Auftritt des Headliners Cattle Decapitation schon einmal in Deckung. Nur zu gut ist mir in Erinnerung, welche Energie bei den Gigs der Kalifornier üblicherweise herrscht. Der Mensch als „Fresser der Welt“, als Parasit – die Songs der Band waren noch nie etwas anderes als düster und misanthropisch, und die Rechte von Tieren durch entsprechende bluttriefende Songtexte einzufordern, ergibt einen gewissen Sinn – hinschauen und den Finger tief in die Wunde legen, auch wenn inzwischen nicht mehr jedes Bandmitglied dem Fleischverzicht folgt.

Der hohe Wiedererkennungswert liegt nicht zuletzt in der überaus wandlungsfähigen Stimme Travis Ryans, der mühelos zwischen tiefen Growls und gepresstem Schreigesang zu wechseln vermag und dem im Kreis laufendes Publikum ebenso am Herzen liegt wie all den anderen Bands an diesem Mittwochabend. Der Knüppel regiert durchgehend, das routinierte Können des Quintetts spricht aus jedem Riff, kein Wunder nach fast 30 Jahren.

Nach zwei Minuten im Fotograben regnet es die ersten Fanleiber, und ich flüchte, an der herbeieilenden Security vorbei, Richtung Bühnenrand. Aus dem hinteren Bereich lassen sich die wogenden Massen auch weiterhin gut beobachten, ich erkenne Terrasitic Adaptation vom aktuellen Longplayer, The Storm Upstairs sowie Time’s Cruel Curtain, Scourge Of The Offspring und Mammals In Babylon. Kingdom Of Tyrants beschließt den Abend, und ich kann mich nicht an viele Gelegenheiten erinnern, bei denen ich diesen Ort derart entfesselt erlebt habe.