The Defaced – Charlatans

Grooviger Thrash Metal, der in melancholisch-progressives Songwriting gebettet wurde

Artist: The Defaced

Herkunft: Helsingborg, Schweden

Album: Charlatans

Spiellänge: 43:43 Minuten

Genre: Groove Metal, Thrash Metal

Release: 04.03.2022

Label: ViciSolum Productions

Links: https://www.facebook.com/TheDefaced/
https://www.instagram.com/thedefacedofficial/

Produktion:  Aufgenommen in den Mansarda-Studios Helsingborg, produziert von Klas Ideberg und Mattias Svensson. Der Gesang wurde von Jens Broman und Björn Strid im Studio Björngrottan in Tyreså im Herbst 2020 aufgenommen und produziert. Mix und Mastering durch Lawrence Mackory bei Obey Mastering, in Uppsala.

Bandmitglieder:

Gesang – Jens Broman
Gitarre – Mattias Svensson
Gitarre – Klas Ideberg
Schlagzeug – Bob Ruben

Tracklist:

  1. Monochromatic Void
  2. Bleeding Ore
  3. Charlatan
  4. Celestial Display
  5. Gilded Hands
  6. Son Of The Sun
  7. Wreck
  8. Enter The Stage
  9. Fangs
  10. No More Diamonds

Lange Zeit war es still um The Defaced. Ihr letztes Studioalbum Anomaly wurde 2008 veröffentlicht und das Projekt seinerzeit auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Gut Ding will Weile haben oder wer rastet, der rostet.

Die 1999 in Helsingborg, Schweden gegründeten The Defaced entstammen überwiegend den Bands Darkane (Klas Ideberg, Jens Broman) und Soilwork. The Defaced entwickelten sich in den zurückliegenden Jahren aber musikalisch weiter und kreierten auf den zurückliegenden drei Alben ihren eigenen Sound. Unabhängiger, frischer und grundsätzlich dem Thrash huldigend, wenngleich neuere Stilelemente aus dem Groove Metal zunehmend Einkehr nahmen.

So war es 2018 Mattias Svensson, der seine Leidenschaft eigentlich nie an den Nagel gehängt hatte und 2019 mit neuen Songideen auf Jens Broman zuging. Deren Ziel war schnell klar, dem gemeinsamen Projekt The Defaced sollte wieder frischer Odem eingehaucht werden. Dies sah Klas Ideberg genauso und die Arbeiten zu einem neuen Studioalbum nahmen somit ihren Lauf. Für die Recordings konnte zudem Bob Ruben am Schlagzeug hinzugewonnen werden und das Line-Up stand.

Die Jahre 2020 bis 2022 standen unweigerlich im Lichte der zwischenzeitlich bald zwei Jahre andauernden Pandemie und finden lyrisch deshalb auch Einfluss auf das Album. Die Zeit wurde kreativ genutzt und aus dieser jüngsten Schaffensphase heraus entstanden nun zehn Songs mit einer Gesamtspielzeit von runden 43 Minuten, verewigt auf dem kommenden Album Charlatans.

Zunächst, und das war zu erwarten, drücken The Defaced ordentlich auf das Groove-Pedal. Ein regelrechtes Rhythmusgewitter bricht bereits mit dem Opener Monochromatic Void über mich herein. Es werden keine Gefangenen gemacht und der Song zündet von Sekunde eins an. Hervorheben möchte ich an dieser Stelle den Gitarrensound, der mal so gar nicht nach Mainstream, sondern individuell und sehr eigenwillig klingt. Die Nummer hat Groove, drückt und wartet mit unerwarteten Bridges auf. Die Drums treiben vorzüglich, gerne mal etwas zügiger, in den Groove-Parts allerdings reduzierter und auf Betonung achtend akzentuiert. Der sehr melodische Refrain fügt sich trotz seiner offenkundigen Abstraktheit wunderbar in das Arrangement ein. Jens Broman kleidet diesen Track mit all seiner brachialen Modulation und Range aus. Beachtlich und für diese Art der Musik total erfrischend.

Dass The Defaced auf Charlatans viel Wert auf getragene Harmonien legen, stellt Bleeding Ore unter Beweis. Eine verschmitzte Ode an Behemoth, gepaart mit Einflüssen aus dem Metalcore lassen Bleeding Ore zu einer anspruchsvollen Herausforderung werden.

Charlatan hingegen ist wieder roher, ungeschliffener und geht ohne Umwege voll auf die Zwölf. Die dissonant wirkenden Hooks sorgen für den besonderen Moment. Die ruhigeren Parts nehmen etwas Druck aus der Sache, erzeugen dabei aber Atmosphäre. Celestial Display fügt sich in die atmosphärischen Klänge nahtlos ein. Jens Broman steht hier im Gegensatz zu den vorigen Songs deutlicher im Zentrum des Geschehens. Auch hier mangelt es abermals nicht an Melodie. In der Ruhe des Songwritings liegt die Kraft.

Wie flüssiges und gleichermaßen opulentes Songwriting klingen kann, ist in Gilded Hands nachzuvollziehen. Die Gitarrenarbeit wirkt extrem zusammenhängend und die Breaks werden gekonnt in die Rhythmik übergeleitet, ohne dass die Nummer ihren Spannungsbogen verliert. Für mich einer der stärksten und direktesten Songs.

Etwas moderner und beinahe schon andersartig weiß Son Of The Sun mit einer gänzlich anderen Klangwelt zu überzeugen. Das Arrangement reißt aus der bisherigen Herangehensweise aus und fördert teils psychedelische Ansätze zutage. Die Melodie und Harmonie steht weit mehr im Fokus und reißt den Hörer erstmals aus einer gewohnten Komfortzone.

Mein persönliches Highlight wird allerdings mit Wreck gesetzt. Dies liegt im strukturellen Aufbau des Songs begründet. Die Dynamik ist bahnbrechend und wird durch die progressive Herangehensweise extrem interessant gehalten. Wer für Progressivität nicht viel übrig hat, wird hier vermutlich sofort die Skiptaste betätigen. Mich spricht diese Art des Songwritings jedoch sehr an.

Gegen Ende des Albums büßt Charlatans etwas an seiner Magie ein. Die kommenden drei Songs sind zwar durchaus gefällig, das Niveau der Vorgänger kann jedoch nicht mehr erreicht werden. Man könnte behaupten, den Jungs sei die Puste ausgegangen. Wenn, dann könnte Fangs aufgrund seiner Komplexität vielleicht nochmals punkten.

Am Ende aber können wir mit Charlatans einen sehr gelungenen Neustart von The Defaced zur Kenntnis nehmen, der Hoffnung aufkeimen lässt, dass sich dieser eingeschlagene Weg fortsetzen wird.

The Defaced – Charlatans
Fazit
The Defaced besitzen versierte Musiker, die in der Gesamtschau, vor allem aber jeder für sich etwas Besonderes mitbringen. Meiner Ansicht nach ist das die klare Vision davon, wie ihre Musik zu klingen hat. Jeder Einzelne der Protagonisten gibt auf diesem Album sein Bestes und ordnet sich dabei dem Großen und Ganzen bzw. dem Bandgefüge unter. Charlatans kommt deshalb insgesamt betrachtet ausgewogen und durchdacht rüber. Doch bei aller Lobhudelei muss attestiert werden, dass die vorhandenen Potenziale meiner Meinung nach noch nicht ganz ausgeschöpft wurden. Der leichte Hang zur Progressivität steht den Herren gut zu Gesicht und könnte in der Zukunft genau das Merkmal sein, an dem The Defaced einen signifikanten Unterschied gegenüber anderen Bands erzeugen.

Anspieltipps: Bleeding Ore, Gilded Hands und Wreck
Peter H.
7.8
Leser Bewertung3 Bewertungen
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