Wacken Open Air 2023 – Die Anreise und Tag 1 – Mittwoch, 02.08.2023

"Rain or Shine" scheint nicht das beste Motto für dieses Jahr zu sein

Event: Wacken Open Air 2023

Bands: 0% Mercury, Abbath, Acoustic Steel, Ad Infinitum, Adrian Kühn und Franzi Kusche, Alestorm, Alien Rockin‘ Explosion, All For Metal, All Hail The Yeti, Amaranthe, Amorphis, Andrelamusia, Aneuma, Angus McSix, Ankor, Asrock, Autumn Bride, Baest, Battle Beast, Beartooth, Be’lakor, Beyond The Black, Biohazard, Blaas Of Glory, Blacksheep, Black Mirrors, Black Tooth, Blind Mans Gun, Blitzkid, Bloodbath, Brand Of Sacrifice, Broilers, Brunhilde, Bütcher, Burning Witches, Caliban, Cam Cole, Phil Campbell And The Bastard Sons, Carpathian Forest, Cellar Darling, Cemican, Chaosbay, Chuan-Tzu, Cobrakill, Crematory, Cypecore, Damnation Defaced, Dark Tranquillity, dArtagnan, Death In Taiga, Defleshed, Deicide, Deine Cousine, Delain, Depressive Age, Deprivation, Der W, Detraktor, Dezperadoz, Disesanera, Dog Eat Dog, Donots, Doro (mit Gästen: Udo Dirkschneider [U.D.O.], Hansi Kürsch [Blind Guardian], Joey Belladonna [Anthrax], Michael Rhein [In Extremo], Mikkey Dee [Scorpions/Motörhead], Phil Campbell [Phil Campbell & The Bastard Sons/Motörhead], Chris Caffery [TSO], Sabina Classen [Holy Moses], Sammy Amara [Broilers], Uli Jon Roth), Drain, Dropkick Murphys, Dust Bolt, Dying Fetus, Eivor, Empire State Bastard, Employed To Serve, Enemy Inside, Ensiferum, Erasing Mankind, Ereb Altor, Evergrey, Erik Cohen, Evildead, Extinct, Eyes, Fadrait, Faun, Ferocious Dog, Finntroll, Focus, Folk Dandies, Forastero Western Metal, Frozen Soul, Get The Shot, Ghetto Ghouls, Ghøstkid, Hardbone, Hafensaengers, Hammerfall, Harpyie, Havukruunu, Heaven Shall Burn, Heavy Metal Barpiano (George Heinle), Helloween, Hidden Intent, Holy Mother, Horrid Sight, Hostage, Igorrr, Imminence, Immolation, Iron Maiden, Ivory Tower, J.B.O., Jag Panzer, Jinjer, John Kanaka & The Jack Tars, Kärbholz, Kataklysm, Killswitch Engage, Knife, Koldbrann, Konvent, Kreator, Krownest, Leaves’ Eyes, Left Ovr, Legion Of The Damned, Lord Of The Lost (Gast: Jasmin Wagner), Lutz Drenkwitz, Maltworm, Mambo Kurt, Marco Mendoza, Marty Friedman, Masterplan, Megadeth, Mesmera, Messticator, Metaklapa, Metternich, Middle Grounds, Misery Oath, Mit Ohne Strom, Mr. Hurley & Die Pulveraffen, Monsters Of Liedermaching, Morast, Motörizer, Mutz & The Blackeyed Banditz, My Own Ghost, Nervosa, Nestor, Neverland In Ashes, Nvlo, Objector, Omnivortex, Pennywise, Pentagram, Peter Pan Speedrock, Peyton Parrish, Phantom Excaliver, Plainride, Possessed, Our Promise, Ozzyfied, Pensen Paletti, Rage, Raging Speedhorn, Rauhbein, The Real Mckenzies, Redeemed By The Blood, Rezet, Riot City, Sable Hills, Saltatio Mortis, Santiano, Sascha Paeth’s Masters Of Ceramony, Schizophrenia, Screamer, Sever, Sintram, Skálmöld, Skepsis, Skew Siskin, Skindred, Skyline, Sleep Token, Slowly Rotten, Sólstafir, Son Of Tomorrow, Spectaculatius, Strigampire, Supernova Plasmajets, Swartzheim, Takida, Tanzwut, Taste Of Greed, Terror, The Answer, The Good The Bad And The Zugly, The Night Eternal, The Raven Age, The Uke Boys, The Vintage Caravan, Tiansen, Todsünde, Trivium, Twilight Force, Two Steps From Hell, Uriah Heep, Universum25, Unzucht, Varius Coloribus Experience, Velvet Viper, Versengold (als Ersatz für Schandmaul), Venues, Victims Of Madness, Ville Valo (VV), Vixen, Voivod, Wacken Firefighters, Wardruna, Warkings, While She Sleeps, Whoredom Rife, Wolf Barsch, Xaon, Ye Banished Privateers

Datum: 02.08. – 05.08.2023

Genre: Heavy Metal, Power Metal, NWoBHM, Rock, Hard Rock, Thrash Metal, Rock, Fun Metal, Rock Death Metal, Doom Metal, Mittelalterrock, Classic Rock, Metalcore, Hardcore

Besucher: ca. 64.000 (bei 85.000 verkauften Tickets)

Ort: Wacken, Schleswig-Holstein

Veranstalter: ICS Festival GmbH

Kosten: 299 Euro p. P. für vier Tage, inkl. Camping

Link: W:O:A | Wacken Open Air

Es gibt jedes Jahr diese Events. Dieses eine Mal, an dem man sich mit Badeshorts bewaffnet und mit jeder Menge Bierlaune im Gepäck auf den Weg zum Flughafen macht. Dieses eine Event, bei dem man weiß, dass man vor Ort die Sau rauslassen kann, den Alltag vergessen und jede Art von Konventionen zu Hause lassen muss. Es wird geschwitzt, getanzt, getrunken und ganz klar bei jedem Gassenhauer mitgesungen. Doch wer jetzt meint, dass ich vom Mallorca-Trip des Fußballklubs rede, der ist ganz weit weg. Denn ich rede davon, wie es jedes Jahr den Jüngern geht, die sich auf den Weg zum Wacken Open Air machen. Gut, die Badeshorts kann man zumeist zu Hause lassen, doch der Rest sollte passen. Gerade für die Gäste, die nicht aus dem näheren Umfeld zum heiligen Acker – irgendwo nördlich von Hamburg und unweit von Itzehoe – anreisen, scheint sogar das mit dem Flughafen nicht ganz abwegig zu sein. Denn jedes Jahr strömen gefühlt unzählig viele Menschen aus aller Welt in das kleine Dorf, um mal vier Tage so zu tun, als ob der Heavy Metal nicht nur eine Nischengruppe interessieren würde – also aus meiner bescheidenen Sicht sind wir Metalheads sowieso überall vertreten und so groß kann eine Nische gar nicht sein, dass wir alle da reinpassen. Doch wer hat mich schon gefragt …

Das diesjährige Wacken Open Air startete aus unserer Sicht schon eine Woche vor dem Festival. Denn da wurde bereits in der Wacken-Gruppe unseres Teams darüber diskutiert, ob man vielleicht nicht anreisen sollte, um vor Ort zu campieren. Da wir alternativ auch im beschaulichen Kiel untergekommen wären, war der Gedanke nicht ganz abwegig, denn es hatte ja bereits mehr als eine Woche vor dem eigentlichen Festival Unmengen geregnet. Aber ich wollte mich von dem Ganzen nicht abschrecken lassen, denn wenn ich zurückdenke, gab es eigentlich jedes Jahr immer entweder Regen und Matsch oder Sonne und Staub. Aber da wir dieses Jahr eh früher gen Norden fahren wollten, war die Entscheidung auch spontan zu treffen und ich wimmelte mit einem niederrheinischen „so schlimm wird es schon nicht werden“ ab – so frei nach dem Motto „et hätt noch immer jot jejange“. Doch dass ich mit der Einschätzung falscher nicht liegen konnte, wurde uns dann am Tag vor dem Festival erst richtig bewusst.

Die Anreise

Bereits mehrere Kilometer vor der Hansestadt Hamburg sehen wir sie bereits. Die legendären WOA-Heckscheibenaufkleber. Mal mit Kreppband geklebt, mal als Bullhead stilisiert und mal auch als ganzer Wacken Schriftzug. Da, wo ich die letzten Jahre immer ein wenig traurig war, dass das „Flaggezeigen“ zurückgegangen war, ist es jetzt wieder so, wie bereits 2008. Das Mitzählen haben wir bereits nach mehr als zwanzig Mitstreitern aufgehört, doch was ich von Jahr zu Jahr nie wirklich vermisse, ist der unvermeidbare Stau vor den Elbtunneln. Doch glücklicherweise haben wir ja noch einen Zwischenstopp in Kiel geplant, um dann morgen früh um acht Uhr gemeinsam die letzten Kilometer zum Campground zu machen. Gestern hieß es erst, dass man den Campground befahren könne und dass man doch bitte seinen Abschlepphaken bereits montieren soll, um die Anreise für alle zu ermöglichen, um dann später am Tag einen temporären Anreisestopp zu verhängen. Die Plätze seien durch den starken Regen doch „unpassierbar“ und man müsse abwarten, bis die Situation sich etwas beruhigt. Da wir schon weit genug im Norden sind, haben wir die Anreise nach Kiel trotzdem fortgesetzt. Wer weiß, wenn das Ganze temporär ausgesetzt wird, dann kann man garantiert morgen früh wieder auf den Platz. Gerade auch die Ansage der Veranstalter auf Instagram, die besagt, dass man uns Anreisenden informiert, ab wann die Anreise weitergehen kann, lässt uns hoffen, dass unser Plan noch weiter aufgeht. Ganz nach dem Motto „Rain Or Shine“ eben. Nicht ganz unspannend begegnet uns auch der Gedanke daran, dass man heute nur ca. 25 % der geplanten Fahrzeuge auf den Acker bringen konnte (laut Veranstalter), denn gefühlt jeder Pkw muss einzeln via Zugmaschine (deutsch: Trecker) platziert werden. Echt cool hingegen finden wir, dass man den Flugplatz Hungriger Wolf in Itzehoe mal eben zur Ausweichfläche für 5.000 Gäste klarmachen konnte. So haben einige unserer Freunde in Schwarz wenigstens für heute Nacht eine Bleibe gefunden. Der Abend vor der finalen Anreise verabschiedet sich relativ jung, denn morgen wollen wir ja nach nur einem Kaffee relativ früh direkt nach Wacken fahren. So entgeht uns leider die Meldung, die nachts über alle Kanäle gepusht wird. Erst heißt es: “The Travel Stop Remains“ und dann passiert das, womit wirklich niemand gerechnet hat, die weitere Anreise wird für alle Gäste untersagt. Also die, die auf dem Platz sind, dürfen – nein sollen – bleiben. Alle, die bis jetzt noch nicht auf dem Holy Ground sind, sollen bitte umkehren und nach Hause fahren. Das kommt nicht nur für uns überraschend. Denn wenn man sich die verständlich aufgeheizte Diskussion in den sozialen Netzwerken durchliest, dann wird klar – hier hat der Veranstalter – ob berechtigt oder nicht – an seiner Prestigefassade ein paar Federn gelassen. Doch da wir als Presse eine E-Mail bekommen haben, dass der Anreisestopp nicht für Pressemitglieder gilt, entschließen wir vier uns, die Anreise wie geplant fortzusetzen. Unterwegs halten wir kurz bei einem Bäcker und treffen schon die ersten enttäuschten Wacken Open Air Fans. Wir kommen schnell ins Gespräch, denn ein Thema hat man ja sofort gefunden und finden heraus, dass es einige wohl zu Fuß versuchen wollen. Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass man im Umland um das Festival noch freie Flächen und Hotelzimmer findet, zeigt es doch klar eines: Die Metalheads stehen hinter ihrem alljährlichen Refugium und das auch, wenn durch die bisherigen Nachrichten nicht mal klar ist, ob man zu Fuß das Festival überhaupt noch besuchen kann. Wir fahren gestärkt mit einem Brötchen und dem zweiten Kaffee weiter, um am Ortseingangsschild eines zu vermissen, was ich nie gedacht habe, es jemals je vermissen zu können – den Anreisestau. Da, wo im Normalfall jedes Jahr die Pkws in Schlange stehen, können wir gemütlich mit 70 km/h zum Check-in vorfahren. Kurz geparkt und in der Reihe angestellt, ist noch immer nicht ganz klar, ob wir überhaupt auf den Platz können. Einige glücklich strahlende, fast schon erleichtert ausschauende Kollegen lassen uns hoffen. Wir haben Glück, wir bekommen noch ein Bändchen. Doch ob wir auch unsere Zelte aufschlagen dürfen, das steht noch immer in den Sternen und auch das kann man uns am Presse-Check-in nicht wirklich beantworten. Circa fünfzehn Minuten später wird eines aber relativ klar, 2023 wird alles ein wenig anders. Nach kurzem Lagecheck und nachdem man uns erst fälschlicherweise auf den Tagesparkplatz gezogen hat – selbst ein Audi A6 Quattro kommt bei den Gegebenheiten nur zwei Meter weit, um sich dann selbst mit allen Vieren einzubuddeln – haben wir dann doch ein kleines Stückchen Wiese gefunden, welches sich dafür eignet, das diesjährige Time For Metal-Wackencamp zu werden. So einen holprigen Start hatte ich selbst 2015 nicht und da waren nachts auch weitere Flächen für die Anreisenden bereitgestellt worden. Wir haben jedenfalls niemals geglaubt, dass Regen dafür sorgen kann, dass ein so gut organisiertes Festival sprichwörtlich für mehr als 20.000 Gäste ins Wasser fällt. Ich kann die Entscheidung aber irgendwie verstehen. Die Plätze schauen allesamt nicht wirklich befahrbar aus und wenn bei einem Notfall ein Rettungswagen oder ein Feuerwehrfahrzeug vorfahren muss, dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass selbst diese monströsen Maschinen von einem Trecker zur Notfallstelle gezogen und dann wieder zurückgebracht werden müssen. Aber eine generelle Absage ist auch jetzt nicht mehr drin, denn die bereits über 60.000 Metalheads auf dem Campground könnten, auch wenn sie wollten, gar nicht erst abreisen. Dazu wüsste ich auch nicht, warum eine Versicherung für den Schaden aufkommen sollte, denn das Festival an sich kann ja stattfinden. Ich bin mir absolut sicher – auch weil manch anderes Festival bei den Einbußen des Umsatzes für Merchandise, Essen, Bier und natürlich den verhandelten Werbeeinnahmen (die ja in der Regel pro Gast gerechnet werden) pleite gewesen wäre – dass die Veranstalter diese Entscheidung zutiefst bedauern. Doch jetzt erst mal genug von Schlamm, Abschleppern und Hiobsbotschaften – wir sind auf dem Campground und für uns und unseren Bericht kann das Festival heute, am Mittwoch, dem 02.08.2023, beginnen.

Infrastruktur

Den Beginn mache ich ja eigentlich immer mit einem Infrastruktur-Update. Doch da die Anreise schon mehr als drei DIN-A4-Seiten füllt, fasse ich die wirklich großen Updates zur Infrastruktur zusammen. Die drei Hauptbühnen Faster, Harder und Louder stehen noch immer an dem Platz, wo sie hingehören. Der wirkliche Unterschied sind die gigantischen LED-Leinwände an der Faster und Harder Stage, die dieses Jahr alle Frontflächen bedecken und je nach Tageszeit ein anderes animiertes Panoramabild mit Wikingerthema wiedergeben. Ich finde dieses atmosphärische Bild absolut gelungen und eine tolle Ergänzung. Denn das Thema im letzten Jahr war bis auf an wenigen Punkten irgendwie nicht wirklich für mich sichtbar. Jetzt kann wirklich keiner leugnen, dass man ein Thema aufgreift. Der Platz vor den Bühnen ist an allen Tagen nicht nur nass, sondern arg schlammig. Da hilft auch nicht, dass man seitens der Veranstalter täglich mit schwerem Gerät (Bagger, Radlader und weitere) den Boden planiert. Erst die gefühlt unendlich vielen Stahlplatten sorgen für eine gewisse Entlastung auf den Hauptwegen – jedoch nicht vor den Bühnen. Die Wackinger Stage ist dieses Jahr ein wenig größer geworden (meine ich) und die beiden „kleinen“ Bühnen W.E.T. Stage und Headbangers Stage sind so groß wie im Vorjahr und gefühlt so groß wie die beiden Hauptbühnen vor fünfzehn Jahren. Eine wirkliche Neuerung ist, dass man mehr Merchandise Stände außerhalb des Geländes (also zwischen Campground und Infield) positioniert hat als noch im Vorjahr. Auch die Wacken Foundation hat mehr Platz in ihrem eigenen Wacken Foundation Camp bekommen. Der Farmers Markt durfte (leider mit überteuerten Preisen) bleiben und auf der Wasteland Stage gibt es auch im Jahr 2023 neben harter Musik ebenfalls eine Feuershow. Neu ist dieses Jahr, dass man neben dem separaten Buchen eines VIP-Pakets (Wacken United) auch Catering (das sogenannte United Catering) buchen kann. Die Wacken United Area befindet sich direkt neben dem Infield und ist wirklich gigantisch groß. Wir als Presse haben den Vorteil, dass wir den Bereich nutzen können (ohne Catering), doch ob mir das als Gast den horrenden Aufpreis wert ist, würde ich jedoch bezweifeln, denn der Standard auf dem Festival selbst ist ja nicht gerade niedrig und die Bierpreise in dem VIP-Areal sind genauso hoch wie auf dem Platz selbst. Dass man hier auf Bands und Stars der Szene treffen kann, ist aber keine Lüge der Veranstalter. Das Pressezelt lädt jeden Tag zu mehreren Terminen mit Bands und Veranstalter ein und wir haben neben Doro Pesch auch Marcus Bischoff und Chris Harms mit Jasmin Wagner (Blümchen) im VIP-Bereich des Wacken Open Airs antreffen können. Uns sind sicher weitere dreist durch die Lappen gegangen, doch Festivals heißen für uns ja auch Arbeit und so kommen wir zum wichtigsten Part unseres Berichts – den Konzerten selbst.

Tag 1 – Mittwoch, 02.08.2023

Da wir um 09:00 Uhr beim Check-in stehen und dann erst um ca. 13:30 Uhr unser Camp aufbauen können, entgehen uns Dinge wie die Wacken Firefighters, die – wie immer – das Festival auf der Wackinger Stage mehr oder weniger eröffnen. Denn eigentlich sind Misery Oath die Ersten, die eine Stage am eigentlich ersten Festivaltag betreten dürfen. Doch werbewirksamer ist natürlich die Kapelle, die für die Mainstream-Medien in jeden Bericht gehört (auch wenn sie mit dem eigentlichen Festival nicht wirklich viel zu tun hat). So, dann haben wir das auch im Bericht. Doch unser Festivaltag beginnt musikalisch eigentlich erst so richtig, als die Herren von Skindred die Faster Stage betreten. Die fast schon legendäre Mischung aus Reggae und Rock sorgt bei den Fans für die ultimative Party, während wir andere dabei beobachten können, wie die kopfschüttelnd das Infield verlassen. Aber mal ehrlich, wenn Set Faters, Rat Race, Kill The Power oder Warning durch die Boxen wabert, dann ist für uns klar, dass die Aufforderung zum Mitmachen wie ein Befehl auf unsere Nackenmuskulatur wirkt. Beachtlich ist, dass, obwohl doch so viele Menschen nicht mehr auf das Festival kommen konnten, das vor den Bühnen nur sehr wenig ins Gewicht fällt. Denn leer scheint es hier überall nicht wirklich zu sein. Trotz knöcheltiefem Schlamm, Regenschauer und hin und wieder ein Baggerballett, das versucht, den Schlamm zu begradigen, ist es fast so, als wären alle vom letzten Jahr (und da waren es 100.000 Gäste) da. Da merkt man mal, wie gut sich die Massen auf dem Wacken Open Air in der Regel eigentlich verteilen. Einen Unterschied bemerkt man erst, wenn man dann von Bühne zu Bühne unterwegs ist, denn nach Skindred entscheiden wir uns, einen Abstecher zu den kleineren Bühnen zu machen. Während Motörizer und Metaklapa im Dorf ihr Unwesen treiben, schaffen wir es noch, ein paar Minuten von Death In Taiga auf der W.E.T. Stage einzusaugen. Die Metalbattle-Gewinner aus Litauen liefern ein ordentliches Brett ab und bringen mit Devourer einen bisher noch nicht veröffentlichen Track mit aufs Festival. Der Mix aus Modern Metal, Death Metal, Synthesizer- und orchestralen Samplern lässt die Pommesgabeln in die Höhe gehen. Auch wenn der Gesang ein wenig klingt wie die Wiedergeburt einer Wildsau, passt das Ganze doch gerade perfekt hier in das Set und Setting.

Weiter geht es auf den beiden Hauptbühnen mit Battle Beast und den Broilers. Während die Ersten mit den Evergreens Straight To The Heart, Eden und King For A Day in ihrer Setliste wissen, was perfekt ankommt, braucht sich die Punkband aus Düsseldorf danach keinesfalls zu verstecken. Die Metalmeute scheint trotz der eigentlich vorhandenen Genrefremde absolut textsicher zu sein. Da wird mir wieder mehr klar, dass das Wacken Open Air einfach mehr ist als ein Heavy Metal Festival – es ist ein Volksfest mit guter Musik. Da wird nicht zwingend geschaut, dass man unbedingt „true“ ist, sondern eher, es darf spielen, was passt und was funktioniert. Da ich persönlich nicht der größte Fan von deutschsprachiger Rock- oder Metalmusik bin, feiere ich, dass die Broilers auch Songs covern, die auch ich kenne. So gibt es Breaking The Law auf die Ohren, Jump von Van Halen als Interludium und Walking On Sunshine. So ist selbst für Boilers-Muffel etwas dabei und ja, eines kann man nicht verleugnen – Stimmung machen, das können die Herren aus Düsseldorf ganz klar.

Die Umbaupause nutze ich, um mal kurz die Merchstände zu checken. Sehr erfreulich ist, dass dieses Jahr wirklich mehr Stände da sind als noch im letzten Jahr. Man hat einfach gemerkt, dass Corona letztes Jahr das Festival noch ein wenig im Griff hatte. So wollte sicher nicht jeder Standbetreiber das Risiko eingehen oder konnte wegen einer Pandemie geschuldeter Insolvenz die Reise zu Deutschlands Metalmekka nicht antreten. Es ist auf jeden Fall sehr schön zu sehen, dass die Szene (zu der natürlich auch der Kommerz gehört – beim Wacken Open Air noch mehr als woanders) wieder so zu blühen scheint, als wären die Horrorjahre nicht gewesen. Auch toll ist, dass alte Bekannte wieder da sind. So freue mich jedes Jahr auf den „heiligen“ Hanffladen-Stand. Keine Ahnung, warum ich das Putengeschnetzelte mit Hanfsamen so feiere, aber auch das muss zwischen Finntroll und dem Headliner des Abends irgendwie noch sein. Hoch die Fäuste und mitsingen heißt es bei den aus Helsinki stammenden Folk-Metallern. Auch wenn alle gefühlt auf Trollhammaren (der ist für dich Maren) warten, sehen wir vor der Bühne nur glückliche Gesichter. Heute wirklich ein Highlight des Festivaltags.

Den Abschluss für heute macht Doro Pesch. Also, wer an das Wacken Open Air denkt, der kommt an der aus Düsseldorf stammenden Rockerin nicht vorbei. Gefühlt jedes Jahr scheint sie zum Set-up dazuzugehören. Mal als Special Guest, mal wie dieses Jahr als Headliner. Doch bevor es jetzt um 22:00 Uhr vor die Faster Stage geht, sehen wir auf dem Weg dahin bereits den Wacken Bullhead (der zwischen der Faster Stage und der Harder Stage über das Festival wacht) hell erleuchtet. Das sorgt direkt für das Gefühl, auf das viele Wacken-Süchtlinge das ganze Jahr über gewartet haben. Auch wenn es nicht wirklich warm ist, sorgt der Anblick direkt dafür, dass man sich wie zu Hause fühlt. Das Gefühl wird noch mal verstärkt, als um 21:58 Uhr auf den gigantischen LED-Leinwänden ein kurzer Rückblick auf die letzten Jahrzehnte des Wacken Open Airs gezeigt werden. Doch das Highlight der Gefühle entsteht genau dann – das werden sicher viele so verspüren – als das Video auf der Videowand eine Gitarre zeigt, die als einarmiger Bandit die nächste Band „auswählt“. Schon alleine der Soundtrack – ein Gitarrenriff – sorgt für Gänsehaut und ja, wenn dann Doro angekündigt wird, dann wird aus der Gänsehaut ein lauter, über das gesamte Infield wabernder Freudenschrei von den gefühlt 60.000 Fans, die hier darauf gewartet haben, dass die „Queen Of Rock“ nun ihre 40 Years In Metal Anniversary Show abliefert. Doch den Anfang macht nicht Doro selbst, sondern allerhand Wegbegleiter von ihr, die ihr für das heutige Event einen Videogruß gesendet haben. Von Dee Snider (Twisted Sister), David Coverdale (Whitesnake), Gene Simmons (Kiss), Klaus Meine (Scorpions), Markus Grosskopf und Andi Deris (Helloween) vorweg wird es einmal kurz sehr laut, als Michael Kiske (Helloween) auf der Leinwand erscheint, um seinen Gruß loszuwerden. Da merkt man mal, dass sich Herr Kiske zu einer absolut wichtigen Stimme im Heavy Metal etabliert hat (und das schon seit so vielen Jahren). Gleiches ist auch bei Johan Hegg (Amon Amarth) zu beobachten. Bei Andy Scott (The Sweet) und Tommy Thayer (Kiss) bleibt die Menge im Vergleich eher still. Doch als „Metal God“ Rob Halford (Judas Priest) zum Abschluss seine Wünsche an Doro vorträgt, da ist klar, dieser Mann hat nicht nur für sich, sondern auch für so viele Menschen eine Stimme erhoben. Auch wenn ich die Beweihräucherung einer noch lebenden Legende eher für unnötig empfinde, zeigt mir das noch mal mehr, dass Doro Pesch und ihre alte Band Warlock für den Metal einfach eine ganz wichtige Instanz war und immer noch ist.

Doch nun darf die “True Wonderwoman” (so David Coverdale) mit einem „…are you ready to rock tonight?“ endlich die Bühne betreten. Mit I Rule The Ruins (einem Warlock-Song) startet nun die Queen Of Rock ihr achtzehn Song langes Set. Allgemein bringt sie in erster Linie das, was die Fans auch von ihr mögen. So sind acht der achtzehn Songs in der Setliste aus alten Warlock-Zeiten. Das nenne ich einen Fanpflege-Auftritt. Mal wird passend zu den Songs mitgeklatscht, mal mit lauten Hey-Rufen untermauert, dass man synchron mit dem geht, was auf der Bühne passiert. Persönlich feiere ich, dass bei Rock Till Death Krefelds Antwort auf Heavy Metal mit auf der Bühne steht. Hansi Kürsch (Blind Guardian) darf Doro bei dem elf Jahre alten Song supporten. Auch wenn der Einsatz nicht besonders groß ist, freue ich mich immer wieder, Hansis Stimme zu hören. Weiter brennt Doro das Festival nieder, als hätte man bei der Bestellung der Pyroshow einfach bei dem Punkt „Pyro“ mit ALLES geantwortet. Wie es sich für eine Anniversary-Show auf dem Wacken Open Air gehört, kommen noch weitere Gastmusiker ans Mikrofon. So konnte Doro Sammy Amara, Chris Caffery, Joe Belladonna, Phil Campbell, Mickey Dee, Udo Dirkschneider und weitere überzeugen. Wir sind nach dem relativ langen Tag jedoch schon fertig, um so langsam in Richtung Campground zu gehen. Da ich Ohrwürmer hasse, versuchen wir es noch vor All We Are vom Platz zu kommen.

Photo Credit: WOA Festival GmbH

Doch da der Wind „günstig“ steht, wird mir der Ohrwurm und die gefühlt 300 Wiederholungen des Satzes „All we are, all we are, we are, we are all, all we need“ noch sicher die nächsten 48 Stunden im Kopf bleiben – dir lieber Leser sicher auch, alleine durchs nachlesen (wie war das noch gleich mit dem geteilten Leid 😉 ). Doch da wir schon weg sind, entgeht uns fast die wirklich tollste Show am Platz. Dass Doro Pesch und der leider im Jahr 2015 verstorbene Lemmy Kilmister (Motörhead) ein gutes Verhältnis zueinander hatten, ist wirklich nichts Neues für einen Metalfan, doch dass Doro die Freundschaft in ihrer 40th Anniversary Show ehrt, finde ich absolut bemerkenswert. Nicht nur, dass Phil Campbell und Mikkey Dee heute mit von der Partie sind, sondern auch, dass man Lemmy eine ganze Drohnenshow zum Song Ace Of Spades widmet, ist ein absolut würdevoller Umgang damit, dass der Jack Daniels-Liebhaber nicht mehr unter uns weilt. Auch finde ich es bemerkenswert, dass man einen Teil der Asche des Herren mit dem Motto Lemmy Forever im Dorf Wacken beigesetzt hat. So kann ein Fan jederzeit die Urne der wirklich markanten Persönlichkeit besuchen und ein wenig teilhaben an dem, was Lemmy ausgemacht hat.

Nach nun vierzehn Stunden und über 20.000 Schritten auf den Beinen fallen wir todmüde aufs Bett und singen sicher nicht nur einmal den Satz „All we are, all we are, we are, we are all, all we need…“

Wacken Open Air – Tag 2 – Donnerstag, 03.08.2023
Wacken Open Air – Tag 3 – Freitag, 04.08.2023