Headliner: Zeal & Ardor
Support: Dom Zły
Ort: halle02, Heidelberg
Datum: 13.03.2025
Ticketpreis: 40,55 €
Genre: Post Black Metal, Avantgarde Metal, Alternative Metal
Besuchende: ca. 1000
Veranstaltung von: Delta Konzerte
Link: https://www.halle02.de/programm/zeal-ardor/
Setlists:
- The Bird, The Lion And The Wildkin
- Wake Of A Nation
- Götterdämmerung
- Ship On Fire
- Erase
- Grave Digger’s Chant
- Fend You Off
- Kilonova
- Blood In The River
- Run
- Tuskegee
- Golden Liar
- Sugarcoat
- To My Ilk
- Death To The Holy
- Devil Is Fine
- Une Ville Vide (Interlude)
- Trust No One
- Built On Ashes
- I Caught You
- Don’t You Dare
- Clawing Out
- Anafora (Intro)
- Rzeka
- Wiatr
- Dzikość Serca
- Czarny Ptak
- Nie Pamiętam Siebie
- Ku Pogrzebaniu Serc
Nach den vergangenen ersten Frühlingstagen kommt dieser verregnete Donnerstagabend trist und eisig daher. Enden wird er mit strahlenden Gesichtern und durchgeschwitzten Klamotten.
Der Konzertsaal macht bereits warm ums Herz, denn die halle02 ist ein Willkommensort für vieles und alle. Ich habe hier nette Erinnerungen an ein Shantel-Konzert und eine Banksy-Ausstellung, sehe Hinweise auf das alljährliche Deathfest, Kreator und Sunn O))) sowie Aurel Mertz oder die Inklusionsparty „halle für alle!“. Ein Faktor sind immer auch Klos. Die Sauberkeit meine ich nicht. An der Einteilung der Toiletten in Räume für FINTA* und All Genders kann man das Bewusstsein ablesen, dass die Hallenleitung hier wachhalten möchte, damit sich alle wohlfühlen können.
Eine halbe Stunde vor Beginn ist die halle02 ist zu einem Drittel gefüllt, der Zustrom ist stetig und es wird noch ein ausverkaufter Abend werden. Ich sehe Gothic Girls, Metaller in Insomnium-Shirts, Kuttenträgerinnen und jene, deren Äußeres keinerlei Rückschlüsse auf einen spezifischen Musikgeschmack erahnen lässt. Ein gemischtes Publikum ist typisch für den Hauptact Zeal & Ardor, das Genre-Mischwesen, das mit seinem aktuellen Album GREIF heute zur Europa-Tournee antritt.
Auch die Supportband profitiert von dieser Offenheit der Ohren:
Die polnischen Dom Zły treten unter gespenstischen Pianotönen aus der Dunkelheit und sprengen sich den Platz auf der Bühne frei. Ihre Mischung aus Black und Post Metal mit Hardcore-Einschlägen ist rau und tiefempfunden. Die Band besitzt eine natürliche Energie und dieses genau richtige Maß an Selbstbewusstsein, das man sich nur mit Liveerfahrung erspielen kann, ohne in Gefallsucht oder Posertum zu fallen.
Sängerin Anna Truszkowska growlt heruntergebeugt oder gen Decke gereckt mit einer Hingabe, die nicht einstudiert wirkt, sondern schlicht der Musik und dem Moment gewidmet ist. Ihr Gesicht scheint nur selten hinter ihrem Haar hervor, wenn aber, dann verbildlicht es den Schmerz und die Kraft in der Musik noch intensiver. Auch ihre Mitmusiker versinken hinter geschlossenen Augen tiefer in ihrem individuellen Schaffen und der Dichte an Wummern, Rauschen und traurigen Riffs.
Unter dem alptraumhaften Flackern der Lichter lässt sich die aufmerksame Menge wie in Zustimmung mitnickend in eine neue Dimension einschließen. Aus der kommt man auch nicht so schnell heraus, denn die Musik spricht ohne Unterbrechung für Ansagen. Bis zum Ende bleiben wir introspektiv in dieser aggressiven Musik, und das ist schon sehr mein Ding. Nach dem finalen Applaus zu urteilen auch das vieler anderer.
Als nach der Pause das Licht ausgeht und Zeal & Ardor zum Pfeifen ihres Introsongs des neuen Albums auf die Bühne treten, spürt man am Begrüßungsjubel, wie viel Bock die Leute haben. Und anders habe ich das auch noch auf keiner ihrer Shows erlebt – der Truppe eilt ihr Ruf als großartige Liveband voraus. Man weiß, was man kriegt, aber hinterher nie, was einen getroffen hat.
Unter ihren Kapuzen beschreien die drei Sänger den Tag des Zorns mit Wake Of A Nation, ein Song, der angesichts der politischen „Situation“ in (nicht nur) den USA so auf die Zwölf trifft wie bereits 2020.
Mit der Druckwelle von Götterdämmerung werden die Kapuzen heruntergerissen und die Apokalypse losgelassen. Die Band spielt tight, aber gelöst und ihre Körper spielen mit:
Wenn er keinen Doppeljob an der Gitarre hat, untermalt Manuel Gagneux seine Strophen als Inkarnation Baphomets oder mit deutenden Gesten krampfend zitternder Hände. Gitarrist Tiziano Volante wirbelt um sich selbst und starrt wie ein lauerndes Raubtier ins Publikum.
Der Streifzug durch Stranger Fruit und das Selbstbetitelte macht Durst auf mehr, und nach Fend You Off bringt Kilonova einen Groove in die Setlist, bei dem regungslos zu bleiben auch den Hüften der Leute am Rand unmöglich ist.
Blood In The River ist ein Evergreen von Zeal & Ardor, und es freut mich zu sehen, dass sich die Band an den Songs des ersten Albums noch nicht sattgespielt hat – als die Fans bei Devil Is Fine die Antwort auf seinen Refrain zurücksingen, sieht man Gagneux grinsen.
Die halle02 köchelt mittlerweile, und wenn bei Run der ganze Saal brüllt „Where’s your fucking god“ wird kein Dampf abgelassen, sondern zugesetzt, um mit dieser Energie in Tuskegee hineinzurennen, zu klatschen, zu schubsen und Gagneux dabei anzufeuern, sich den Kehlkopf herauszukreischen. Golden Liar ist eine wunderbare Verschnaufpause, aber beim nächsten Hüftschwinger Sugarcoat tauchen schnell Tanzwütige und Crowdsurfer aus dem See an Menschen auf. Dieser Song scheint vor allem Dennis Wagners Liebling zu sein. Der Sänger ist die fleischgewordene Definition der Devise „Dance like nobody’s watching“ und ihn zu beobachten macht so Spaß, dass ich mich davon gerne anstecken lasse.
„Um auf dieser Welle weiterzureiten, kommt jetzt das traurigste Lied im Set“, kündigt Gagneux an. Der Kontrast von To My Ilk hat eine starke emotionale Wirkung, vor allem, da die Sänger das Songende in einen frenetischen Beifall hineinbelten. Wieder legt die Band den Schalter um: Death To The Holy ist nach wie vor ein Publikumsliebling, die Security bekommt zu tun, denn die Crowdsurfer multiplizieren sich.
Am umnietenden Schwung der Band spürt man neben ihrem musikalisches Können auch ihre herzliche Kameradschaft: Bassist Lukas Kurmann und Sänger Marc Obrist stacheln sich scherzhaft zu Mini-Moshpits an, Gagneux und Volante trommeln sich zur ihrer und unserer Unterhaltung gegenseitig auf die Gitarre.
Devil Is Fine ist ein angetäuschtes Finale, das Interlude Une Ville Vide leitet über in die letzten zwanzig Minuten an Soundwucht und willkommenem Chaos. Der Song Trust No One kommt in gewaltigen Wellen, zwischen denen Rampensau Kurmann mit seinem Bass verdientes Spotlight bekommt. Irgendwo zwischen Licht und Dunkel trifft mein Blick den einer anderen Zuschauerin und wir teilen den Moment mit einem kollektiven Grinsen.
Nach Built On Ashes ist die Zustimmung der Menge ohrenbetäubend, Gagneux freut sich: „Ihr merkt, dass wir ein bisschen überwältigt sind…“
Für I Caught You stimmt er die Gitarre noch ein bisschen „böser“ und wir gedulden uns – Dämonen sollen schließlich angemessen gerufen werden. Der Höllenschlund öffnet sich, die Hitze von Don’t You Dare lässt kaum Steigerungsmöglichkeit in der Atmosphäre – die Leute können nicht mehr, so sehr wollen sie noch! Zu einer einzigen lebendigen Knetmasse geworden, wallt die Menge unvorhersehbar in alle Richtungen. Weil das hier aber immer noch das Zeal-&-Ardor-Publikum ist, sind alle enorm nett zueinander!
Kaum Steigerungsmöglichkeit heißt nicht keine! Clawing Out ist live die ratternde Maschine an Song, die auf dem Album, anscheinend, nur angeteasert wurde. An letzter Stelle der Setlist bündelt der Song mit seiner strengen, aber komplexen Rhythmik die Energie im Saal noch einmal bis ins Unerträgliche, bis man sich im Takt der Hardcore-Kicks endlich die Haut vom Gesicht reißen darf, während Gagneux am Bühnenrand ohne Mikro selbstvergessen und doch mit den ersten Reihen gemeinschaftlich die finalen Zeilen schreit. Würde das Gebäude einstürzen, ich weiß nicht, ob es jemand merken würde.
Jubel und Applaus sind ekstatisch und die Liebe im Raum groß, als die Band auf der Bühne zusammenkommt und sich mit leuchtenden Gesichtern verbeugt.
Als die Lichter angehen, fühlt es sich an, als wäre man neu geboren, gereinigt von salzigem Schweiß und dem Erlebnis dieses Abends. Ich muss lachen, denn es gibt für diese beschwingte Stimmung, mit der wir in die Nacht entlassen werden, tatsächlich keinen besseren Begleitsong als das über die Lautsprecher dudelnde Instrumental von Shakiras Hips Don’t Lie.
Fans stürmen die Merch-Tische und beim Rausgehen höre ich eine Zuschauerin: „Brutal, was war’n das, ey?“ – Das, das war erst der Anfang dieser Tour.
Bis Ende April sind Zeal & Ardor in Europa unterwegs – gebt euch!