Itching – Endgegner

Ein bärenstarkes Album

Artist: Itching

Herkunft: Köln, Deutschland

Album: Endgegner

Spiellänge: 66:20 Minuten

Genre: Metalcore, Progressive Metal, Thrash Metal, Death Metal, Melodic Death Metal

Release: 16.06.2020

Label: Eigenproduktion

Link: https://www.facebook.com/Itchingmusic

Bandmitglieder:

Gesang – Deniz Bartsch
Gitarre – Jim Montag
Gitarre – Konstantin Kunow
Bassgitarre – Gabriel Marchese
Schlagzeug – Richard Kipka

Tracklist:

Chapter I

  1. Guten Abend
  2. Enslaved
  3. Life Is Prison
  4. J
  5. Leaving The World Behind
  6. Be The One
  7. Through The Darkness
  8. Hybris
  9. Charon’s Passage
  10. Death

Chapter II

  1. Lost
  2. Endless Cycles
  3. Revelation
  4. Call To Arms
  5. Day Of Glory
  6. Endgegner
  7. Gut‘ Nacht

Normalerweise komme ich selten dazu, mir die Musiktipps, die in meinem Newsfeed auf Facebook auftauchen, wirklich in Ruhe anzuhören. Meistens speichere ich sie für später ab, schiebe sie dann oft lange vor mir her oder vergesse sie sogar. Als aber die Empfehlung eines Bekannten für das neue Album von Itching aufpoppte, von denen ich vorher noch nie gehört hatte, war ich allein wegen des Bandnamens und noch mehr wegen des Albumtitels neugierig genug, das YouTube-Video gleich aufzurufen. Tja, und dann kam ich über die gesamte Spielzeit nicht mehr los von dem Teil! 😀

Also die Jungs kontaktiert, und die liefern mir fast schon innerhalb von Minuten ein gut ausgestattetes Pressepaket. Sowohl die Bandbio als auch die Infos zum Album Endgegner gewähren einen ziemlich interessanten Blick auf das, was eine Band aus der Undergroundszene so umtreibt, und wie sie sich durch die verschiedensten Widrigkeiten kämpft. Allein diese beiden Texte wären einer eigenen Veröffentlichung wert. Aber bleiben wir mal bei dem, was die Jungs mit Endgegner so abliefern. Es ist das dritte Album von Itching und kommt mit 17 Tracks auf eine Spielzeit von über einer Stunde. Eine Info, ob die Unterteilung in zwei Chapter vielleicht auch im Hinblick auf ein mögliches Vinyl-Release vorgenommen wurde, konnte ich noch nicht entdecken, also warten wir mal ab…

Ich weiß gar nicht, ob der (jüngere) Metalfan von heute überhaupt noch das Schlaflied Guten Abend Gut‘ Nacht in der Vertonung von Johannes Brahms kennt. Die Melodie findet sich wohl immer noch einprogrammiert auf diversen Spieluhren, und die Jungs von Itching kennen es definitiv. Mit der „leicht“ abgewandelten Version davon geht es als Guten Abend nämlich los. Im Kopfkino startet gleich mal der dazu passende Horrorfilm. Aber nicht zu lange damit aufgehalten, Enslaved reißt eine breite Schneise der Verwüstung. Denke ich ob des Tempos und der sehr schnellen Gitarrenhooks zunächst noch an Thrash Metal, bringen mich die doppelläufigen, zweistimmigen Melodielinien und die großartigen Shouts und Screams doch eher zum Metalcore. Mit „We Are Prison Born“ schließt der Song ab und leitet damit über zum folgenden Life Is Prison. Und jeder, der vor gefühlten Ewigkeiten noch mit einem 96k-Modem ins Internet ging, wird bei dem Fiepen und Rauschen zu Beginn des Tracks wohl unweigerlich grinsen müssen. Das Grinsen dürfte dann besonders bei Death Metal Fans schnell in ein seliges Lächeln umschlagen. Death Metal liefern Itching nämlich ebenso souverän, prügeln aber nicht stumpf durch, sondern spielen gern mit verschiedenen Tempi und bedienen dabei besonders gern die Headbanging-Fraktion.

Neben den „normalen“ Tracks gibt es auf Endgegner auch immer wieder kleinere „Interludes“, die ich manchmal gar nicht wirklich beschreiben kann. J ist so eines davon. Andere Bands würden das vielleicht sogar Avantgarde Metal nennen, ich nenne es mal Soundcollage. Aber mit dem folgenden Leaving The World Behind machen Itching wieder das, was sie am besten können. Hier bin ich tatsächlich ein wenig hin- und hergerissen zwischen Metalcore und Death Metal, aber eins ist klar: (nicht nur) die „Gangshouts“ sind großartig. Und bei aller Härte, die Itching auf Endgegner präsentieren, wartet da auch immer wieder mal ein wunderbar melodisches Gitarrenspiel, wie zum Beispiel zu Beginn von Be The One. Der entwickelt sich dann aber zu einem Metalcore-Track, der nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal an die ganz Großen wie Heaven Shall Burn oder As I Lay Dying denken lässt.

Auch mit Through The Darkness wird klar, warum oben bei Genre eben nicht nur eins sondern gleich fünf stehen, von denen auf den ersten Blick vielleicht noch nicht einmal alle so viel miteinander zu tun haben. Aus diesem Schubladendenken sind viele Bands nämlich tatsächlich so was von raus. Auch Itching picken sich aus den verschiedensten Genres das raus, was sie brauchen und kombinieren es mit geschickter Hand. Beim Weintasting würde der Kenner mit der Zunge schnalzen, mich treibt es regelmäßig von meinem Schreibtisch weg zum nächsten Moshpit mit mir selbst. 😀

Ein wenig mehr in Richtung Metalcore schlägt das Pendel bei Hybris aus, der Name ist insofern Programm, als das es tatsächlich einige melodische Parts gibt, aber auch genug Härte und auch einen richtig geilen Breakdown. Charon’s Passage ist dann wieder eines dieser oben schon erwähnten Interludes. Der Text könnte vielleicht ein ganz klein wenig Bezug auf die Geschichte von Ikarus in der griechischen Mythologie nehmen. Und mit Death ist dann auch schon der letzte Song von Chapter I erreicht. Als ganz große Ausnahme auf diesem Album könnte man den fast schon im Doom verorten, aber das ist tatsächlich so etwas wie die perfekte Vertonung des Textes, und man kann fast mitfühlen, wie der Tod langsam und unaufhörlich Besitz vom Protagonisten ergreift.

Bevor man von Chapter II etwas hört, dauert es ein wenig. Das wabernde und pulsierende Lost blendet sich sehr langsam in den hörbaren Bereich ein, bevor es dann unversehens in ein nervenzerfetzendes Fiepen überschlägt. Auch der Track fällt in den Bereich Klangcollage. Mit Endless Cycles überraschen Itching mich dann mächtig, einen Melodic Death Song im Downtempo hatte ich nach Chapter I definitiv nicht erwartet. Steht den Jungs allerdings sehr gut, hier können sie neben ihrem über jeden Zweifel erhabenen technischen Spielvermögen dann auch mal mit ordentlich Melodie aufwarten. Das folgende Revelation nimmt dann zwar tempomäßig Fahrt auf, könnte aber immer noch problemlos als Melodic Death Metal getaggt werden. Teilweise arbeiten Itching hier dann auch mal mit Keyboard.

Nach diesen drei Tracks klingt Call To Arms ein wenig so, als ob man dann doch gern wieder in Richtung Metalcore gehen würde, aber hier verheddern sich die Jungs doch ein wenig. Abgesehen davon geht mir dann irgendwann das sehr oft geshoutete „Rise And Fight“ auf den Geist, auch wenn es natürlich der Schlachtruf par excellence ist. Aber das ist jetzt das erste leise „Jammern“ von mir, und das auf sehr hohem Niveau. Day Of Glory geht dann wieder wesentlich stringenter voll auf das Fressbrett. Mit Endgegner legen die Jungs aber ihr Meisterstück ab. Das ist Technical Death Metal auf unfassbar hohem Niveau. Und ganz zum Schluss kommen die Jungs dann wieder auf den Anfang des Albums – mit der Spieluhr, die die Melodie von Guten Abend, Gut‘ Nacht spielt, sagen auch Itching Gut‘ Nacht. Wenn die Spieluhr verklungen ist, sollte man im Übrigen nicht gleich ausschalten, sondern einfach weiterlaufen lassen…

Einen besonderen Anspieltipp rauszusuchen, fällt angesichts der Klasse, die alle Songs aufzuweisen haben, sehr schwer. Aber Endgegner ist dann doch mein Lieblingssong:

Itching – Endgegner
Fazit
Ich wollte bei insgesamt 17 Songs eigentlich gar nicht zu jedem einzelnen etwas schreiben, aber es ist mir auch nicht gelungen, das zusammenzufassen, was Itching auf dem Album Endgegner alles auffahren. Das Loblied auf dieses großartige Album kann jedenfalls nicht laut genug gesungen werden. Da ich ja nur in der Undergroundszene unterwegs bin, weiß ich ja, was für Perlen da alles zu entdecken sind, aber Itching bewegen sich hier tatsächlich auf einem Niveau, das ziemlich weit über dem der Masse liegt. Allein schon deswegen, weil sie Genregrenzen nicht kennen bzw. ignorieren. Aber auch wegen ihrer Fähigkeit, richtig geile Songs zu schreiben, die auch technisch auf sehr anspruchsvollem Niveau liegen. Das Album dürfte in meinen persönlich Jahrescharts sehr, sehr weit oben landen.

Anspieltipps: Enslaved, Leaving The World Behind, Hybris, Revelation, Day Of Glory und Endgegner
Heike L.
9.5
Leser Bewertung18 Bewertungen
9.1
9.5
Punkte