J.B.O. + Support am 20.09.2024 im Backstage in München

Verteidiger eines jeden Blödsinns – 30 Jahre Explizite Lyrik

Eventname: 30 Jahre Explizite Lyrik – Komplett & Live 2024

Headliner: J.B.O. 

Vorband: Brunhilde 

Ort: Backstage München (Werk) 

Datum: 20.09.2024 

Kosten: 42,- € VVK 

Genre: Fun Metal, Crossover 

Besucher: ca. 500 

Veranstalter: Backstage München 

Link: https://backstage.eu/j-b-o-30-jahre-explizite-lyrik.html 

Die Beziehung zwischen Bayern und Franken ist spätestens seit der Eingliederung ins Königreich Bayern im 19. Jahrhundert ein wenig belastet, und auch wenn man seitdem im Großen und Ganzen ein friedliches Miteinander pflegt, blitzt hier und da immer wieder der Nationalstolz des einstigen Herzogtums Franken durch. Gerade zum Thema Bier habe ich schon unzähligen Diskussionen zwischen Eingeborenen der jeweiligen Kernregionen beiwohnen dürfen, als Niederschlesier und Pilstrinker im Übrigen sowieso völlig unqualifiziert, um mich im Disput um Helles und Weißbier zu positionieren. Glücklicherweise gibt es Themen, bei denen jeder Zwist vergessen ist und sich Angehörige beider Völker (zusammen mit all den Zugereisten, Zaungästen, zufällig Hereingestolperten und dem ganzen Rest) auf einen bierseligen Konsens verständigen können.  

J.B.O.-Konzerte sind erfahrungsgemäß paradigmatisch für solche Konstellationen, im Blödsinn vereint, die Mähne schüttelnd – das hat noch immer funktioniert, und auch der heutige Abend im Backstage München wird da keine Ausnahme sein. Das heutige Event feiert 30 Jahre Explizite Lyrik, das zweite Album aus dem Jahre 1995, München ist der erste Stopp, die Tour geht bis in die Mitte des nächsten Jahres weiter. 

Brunhilde – 2024 – Backstage München

Ich habe mir Verstärkung mitgebracht. Zu zweit entern wir kurz vor sieben das ausverkaufte Backstage Werk, und auch wenn es zu diesem Zeitpunkt allerorten noch recht luftig zugeht, weiß man doch ganz genau, dass schon bald jeder freie Platz belegt und jeder Gang zugestellt sein wird. Das Publikum – auch das ist keine Überraschung – ist größtenteils eher in der Mitte des Lebens zu verorten; wirklich junges Publikum findet man – mit Ausnahme einer Handvoll Hosenscheißer in Begleitung ihrer J.B.O.-begeisterten Eltern – kaum. 

Als wäre die rosarote Dröhnung selbst noch nicht genug Frankenpower, hat sich eine weitere Combo aus dem Frankenland im Vorprogramm platziert. Brunhilde – laut eigener Aussage auf ihrer Homepage benannt nach Broomhilda von Shaft aus Tarantinos Filmepos Django Unchained – gibt es schon seit mehr als zehn Jahren, und nicht zum ersten Mal bei ähnlicher Gelegenheit frage ich mich, wie diese Band für mich so lange unter dem Radar fliegen konnte. Eigentlich „nur“ ein Duo, bestehend aus Sängerin Caro und Songwriter und Gitarrist Kurt, bleiben Schlagzeug und Bass an diesem Abend trotzdem nicht unbesetzt, an letzterem Instrument sehen wir eine großartige Marisa Gruna, die dem einen oder anderen bereits von den Hildesheimer Punks Blaufuchs bekannt sein könnte. 

Als ich kurz nach acht in den Fotograben schlendere, ahne ich noch nicht, welche Soundwand gleich versuchen wird, mich mitsamt Kamera in die Absperrung zu prügeln. Kurz vorher hat Hannes von J.B.O. noch den Abend eingeleitet, die fränkischen Landsleute angekündigt und die Münchner Meute auf den typischen J.B.O.-Humor eingeschworen. 

Und dann – Licht aus und Vollgas. Brunhilde stürmen die Bühne und es geht in die Vollen. Man merkt der Band die Live-Erfahrung an, diese Musiker haben schon unzählige Male ins Bühnenlicht geschaut, und trotzdem wirkt diese Show nicht eine Sekunde lang einstudiert; die Routine beschränkt sich auf das Wissen, wie man einen Saal am besten in den Griff bekommt. Der Mix aus Metal, Punk und geballter Frauenpower zündet.

Brunhilde – 2024 – Backstage München

Caro lässt in Sachen Bühnenoutfit nichts anbrennen, auch wenn ihre Stimme und Performance tausend Meilen entfernt von jeder Notwendigkeit optischer Profilierung entfernt stattfinden. Ihre blonde Mähne fliegt nur so in alle Richtungen, während die Rhythmusfraktion mit dem in weißes Fell gekleideten Sechssaiter flirtet. Ob Snafu vom letzten Album 27 oder das House Of The Rising Sun-Cover, diese Band hat Bock ohne Ende, es ist unheimlich viel Bewegung auf und vor der Bühne.  

Ein Blick ins Publikum wird – später, als ich bereits wieder in der Masse stehe und den Rest des Auftritts abfeiere – zeigen, dass der Funke trotzdem nicht zur Gänze überspringen konnte. Ich möchte dem Klischee des reservierten Münchner Publikums nicht zu viel Futter bieten, dennoch: Es wird geklatscht, es wird gefeiert, es werden Arme gereckt, und trotzdem – die ganz große Bewegung und ekstatische Hingabe wird sich erst bei J.B.O. Bahn brechen, und das liegt an allem und jedem, aber nicht an Brunhilde!  

Zeit zum Luftholen, es verspricht bereits jetzt wieder einer dieser Abende zu werden, an die man noch in zehn oder zwanzig Jahren zurückdenkt, weil alles, einfach alles genial ist und die Musik es spielend schafft, den Sprung in irgendeine andere, unbekannte Dimension zu ermöglichen, ferner und heller erleuchtet als alles, was der Dealer um die Ecke für alles Geld der Welt anbieten könnte. 

Beide haben wir J.B.O. Vor wenigen Wochen im gleißenden Sonnenschein auf dem Summerbreeze gesehen, und da gab es leider weder Funken noch Dimensionssprünge, insofern ist dieser Freitagabend auch der Versuch, diese ferne Magie, die J.B.O. ohne Frage entfachen können, wieder zu erleben, alte Erinnerungen zu erwecken. Die Band ist für mich in den Neunzigern eine der ersten Kapellen gewesen, die mich – deutschen Texten und einem Übermaß an fehlender Ernsthaftigkeit zum Trotze – irgendwie gepackt und nie ganz losgelassen haben. Von Blastphemie, über das am heutigen Abend in Gänze zum Besten gegebene Album Explizite Lyrik bis hin zu den jüngsten Ergüssen – die Franken waren und sind ein Garant für gute Laune, solides Musikerhandwerk und eine Bühnenpräsenz, die über jeden Zweifel erhaben ist, die infantilen Texte gehören einfach dazu und haben zum Teil geradezu Kultstatus – “Ich glaub ich spinn’, mei Alde is im Playboy drin”. 

J.B.O. – 2024 – Backstage München

Ob Walk With An Erection, Schlumpfozid Im Stadtgebiet, Frauen oder der All-Time-Classic Ein Guter Tag Zum Sterben J.B.O.-Songs kann man spätestens nach dem zweiten oder dritten Hören mitsingen, und das tut das Münchner Publikum aus vollem Halse. Kein Gedanke an Bayern vs. Franken, keine Vorbehalte, keine Zurückhaltung mehr. Der Kessel vor der Bühne kocht und die Körper fliegen in alle Richtungen. Und auch wir können dann nicht anders, als in diese rätselhafte Transzendenz einzutreten, deren Erfahrung uns beim Breeze verwehrt blieb. Showeinlagen – sei es das BobMarley-Outfit mit Hanfblattklampfe bei Ka Alde, Ka G‘Schrei oder der Vadder Abraham mit Bart und Stock beim Schlumpfensong – sind dabei fester Bestandteil, und die beiden Pausenclowns wirbeln nur so über die Bühne, quasi als Show in der Show.  

Am Ende bleibt es nicht nur bei besagtem Album, zwei Zugaben später sind auch Wir Ham‘ Ne Party, Verteidiger des Blödsinns und J.B.O. erklungen und das gesamte Backstage Werk – herbstlichen Außentemperaturen zum Spott – ist völlig verschwitzt und heiser. 

Bitte macht noch lange, lange so weiter und: Happy Birthday, Explizite Lyrik!