Doom kann auch anders. Fies immer noch, morastig und knallhart eh. Aber zum Beispiel auch so, wie Moor ihn spielen. Reißt die Pegel auf und lasst euch von einem Sound überfahren, der nach Verderben duftet und doch Erlösung verspricht. Katharsis durch Schmerz ist ja so eine Sache, fast schon eine Plattitüde. Aber es funktioniert eben doch. Der wandelnde Beweis sind Moor aus Hamburg, eine Band, die es mehr als jede andere vor ihr erfordert, das obligatorische Anhängsel „Post“ vor den tonnenschweren Doom zu meißeln. Ja, Moor tragen die Insignien des Genres, wissen, dass Doom etwas ist, das zwischen den Noten passiert. Da unten irgendwo, in der Bauchgegend. Moor sind aber auch Kinder einer libertären Hamburger Schule, in der DIY-Ethos nicht bloß so dahergesagt wird und die Doom, Punk, Sludge und Hardcore ohne Berührungsängste kollidieren lässt.
„Unsere erste Single Tears From Acrid Smoke handelt vom inneren Kampf den wir führen, wenn wir eine Brücke in unserem Leben verbrennen. Dem Gefühl, das sich wie beißender Rauch über einen legt. Ein Gefühl, das man hoffentlich nach dem letzten Gang über diese brennende Brücke hinter sich lassen kann, um nach vorne zu blicken.“ – Moor
Dort irgendwo entsteht der kolossale Klang von Heavy Heart, dem ersten Album von Moor. Laut und kratzbürstig muss es sein, desolat und einschüchternd, voller Verzweiflung und einem innigen Sehnen. Und langsam, ja. Schleppend langsam wie der schlurfende Schritt des Todes. „Ich liebe es, mich in atmosphärischen Sound-Wänden zu bewegen, darin unterzugehen und eins damit zu werden“, erklärt Bandgründer Ercüment Kasalar seine Vorliebe für Doom. „In schneller Musik kann ich das nicht, ist mir zu hektisch für mein Gemüt.“ Auch mal eine Aussage.
Geschrieben und aufgenommen wurde Heavy Heart noch in der Erstbesetzung um Sänger und Gitarrist Kasalar, die Gitarristen Ben Laging, David Kaiser, Bassist Christian Smukal und Drummer Chad Popple. Alle haben reichlich Sporen in anderen Bands oder Projekten verdient, tauchten bei Tephra, Sport, The Ocean, Gorge Trio oder rha. auf. Scheuklappen waren da von Anfang an meilenweit nicht in Sicht. Wohl aber Wucht, Gespür und Druck: Näher an Omega Massif oder Neurosis als an Sabbath-Kiffer-Klonen ist das, von ganz tief unten hervorgewürgt, wo man nur dann hingeht, wenn man muss. Moor müssen: Binnen weniger Wochen bekommen zwei Bandmitglieder die Diagnose Krebs – Ben Laging und Christian Smukal. 2022 verliert Mitgründer und Bassist Smukal den Kampf gegen das große Arschloch Krebs, er reißt eine große Lücke ins Bandgefüge. Heavy Heart ist deswegen auch sein Abschiedsbrief, sein Vermächtnis. „Für mich ist es ein Geschenk, ein Teil von Christians letzten Aufnahmen zu sein“, sagt Gitarrist David Kaiser. „Die gemeinsamen Sessions bevor wir ins Studio gegangen sind, waren sehr inspirierend.“ Kasalar fügt an: „Alles, was wir in dieser Zeit gemacht haben, alle Schicksalsschläge, die wir gemeinsam durchlebt haben, formte dieses schwere Herz und es wird weiter schlagen, schwer und kräftig.“ In der aktuellen Besetzung komplementieren Bassist Ralph Ulrich (Kavrila) sowie Schlagzeugerin Elinor Lüdde (Corecass) die aktuelle Besetzung einer Band, die dort operiert, wo es richtig wehtut.
Die Band nicht weiterzuführen, stand nie zur Debatte. Weil es Christians Wunsch war, wie Ben Laging betont. Jetzt ist da Heavy Heart, dieses schwere, dieses ernste Album, das die letzte Erinnerung an einen alten Freund und Weggefährten aber zugleich der Anfang von etwas Neuem, etwas Großem ist. Der beängstigende Sound gräbt sich mit gleich drei Gitarren tief ins Herz, erst eine Übergangslösung, die dann aber sehr schnell zur neuen Maxime erklärt wurde. Eingefangen wurde diese Entfesslung aus Lärm, Tränen und Schmerz in der Tonmeisterei Oldenburg (Phantom Winter, Downfall Of Gaia, Eremit), eine exzellente Wahl, die Moor angenehm weit von Metal-Produktionen abrücken lässt. Kompromisslos und weit weg von etwaigen Szeneklischees sind auch die Inhalte der Songs, eher Poesie denn Rock’n’Roll-Lyrik. „Ich bin ein großer Freund von Poesie“, bekennt Texter Kasalar und grinst: „Das Standard-Metal-Satanszeugs oder irgendwelche Doom-Kiffer-Storys sind nicht mein Ding. Ich bin eher der Geschichtenerzähler und arbeite mich an meinen emotionalen Untiefen ab.“
Heavy Heart ist weder übertrieben brutal noch verklärt schön. Es ist ein Album wie dieses wunderschöne, grausame Experiment namens Leben. Es kann hart auf hart kommen, für Feiglinge ist das sicherlich nichts. Wohl aber für Menschen, die sich dem Leben stellen und es bei aller Schwere auszukosten wissen. Katharsis durch Schmerz, wir sagten es ja weiter oben schon.
Heavy Heart Tracklist:
1. Heavy Heart
2. Pale Grey Snow
3. Tears From Acrid Smoke
4. Void
5. Restless
6. Under Your Wings
7. Breath Like Nails
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