Colonel Petrov’s Good Judgement – Moral Machine

“Moral Machine – ein jazzdimensionales ‚Roxperiment’”

Artist: Colonel Petrov’s Good Judgement

Herkunft: Köln, Deutschland

Album: Moral Machine

Spiellänge: 46:37 Minuten

Genre: Experimental Rock, Avantgarde, Jazz

Release: 02.09.2016

Label: ohne Vertrag

Link: https://www.facebook.com/ColonelPetrovsGoodJudgement

Bandmitglieder:

Gitarre – Sebastian Müller
Gesang, Saxophon – Leonhard Huhn
Bass – Reza Askari
Schlagzeug – Nils Tegen
Schlagzeug – Rafael Calman

Tracklist:

1. Everybody’s Gut One
2. Dark Star
3. Moral Machine
4. Sappatack
5. Hole Of Love
6. Launch On Warning
7. Dick Laurant Is Dead
8. Next Time We Might Not Be As Lucky

Colonel Petrov’s Good Judgement - Moral Machine

Nach längerer Zeit des Wartens seit der letztjährigen Ankündigung des Albums erscheint nun am 02. September das neue Werk Moral Machine der Kölner Colonel Petrov’s Good Judgement. Nachdem ich große Stücke auf Monophonist halte, die ebenfalls (größtenteils) aus Köln kommen oder dort ansässig sind und in ähnlichen musikalischen Gewässern fischen, wage ich mich an die 99 % instrumentale Platte, deren erwähnter Teaser mich etwas ratlos, aber neugierig zurückließ.

Der erste Song beginnt mit einer Stoner-Rock ähnlichen Einleitung. CPGJ mögen Grooves. Count me in. Eine 70ies Psychedelic-Sologitarre quetscht sich zwischen die Rhythmusabteilung. Okay, eine Auflockerung, ich verstehe. Song Nummer Zwei präsentiert sich mit einem effektverzerrten, choruslastigen Saxophon, produziert gefühlt wahllose Geräusche und Rückkopplungen, dass die Ohren auch schon mal wehtun können. Atonale Melodien prägen die Szene. Einzig das Agententhriller-ähnliche Leitmotiv vergönnt dem Hörer ein wenig Harmonie. Harter Tobak, auf in Runde Drei. Auch hier stellt sich das Blechblasinstrument in den Vordergrund und sendet walgesangsähnliche Klänge bis hin zu Freejazz-Anleihen. Was mir vermehrt auffällt: Die Drums sind sehr hintergründig und verhalten abgemischt (ungewöhnlich, weist die Facebook Fanpage doch sogar zwei Drummer aus), erscheinen dadurch wenig akzentuiert, wenn auch präzise. Das ist etwas schade, da dadurch das Saxophon oder auch die führenden Noisegitarren ziemlich viel Raum einnehmen und Chaos stiften. Der teils arhythmische Teppich leidet – für mein Empfinden.

Weiter geht’s mit einem Seattle-esquen Gitarrenriff. Diese Eingängigkeit von Sappatack ist jedoch mit 01:42 Minuten (leider) kurz auch und schmerzlos. Daran anschließend folgt eine schleppende Romantik, das Saxophon meldet sich synthesizerähnlich zu Wort und Hole of Love mündet in einem Noise-Klimax. Okay, der Hörer hat allerspätestens hier verstanden, dass CPGJ Spaß daran haben, akustisches Chaos zu erzeugen. Und wer es bisher nicht erkannt hat, den lassen sie es mit ohrenbetäubendem Saxophongefiepe einleitend zu Launch of Warning spüren. Der Song darf auch wieder etwas mehr grooven, begleitet von einer Talkbox-Gitarre.

Dick Laurant Is Dead beginnt mit einer Teamarbeit aus angezerrtem Bass und Schlagzeug, die abgelöst wird von einem – und das ist die Ausnahme auf der Platte – Vocalpart, der aufgrund seiner Freak On A Leash-ähnlichen Rhythmik aus der Feder von Korns Jonathan Davis stammen könnte. Leonhard Huhn gesellt sich dadurch eher in die Rhythmus- denn Melodieabteilung. Next Time We Might Not Be As Lucky scheint angesichts der Spielzeit von 10:05 Minuten das Epos der Platte zu sein. Ein wenig Hoffnung habe ich noch, dass er etwas gnädiger mit des Hörers Gemüt umgeht als es die Soundexperimente 1-7 bisher getan haben. Schleppend und – wie naiv konnte ich sein – chaotisch bricht der letzte Song über den Hörer herein. Und als Reifeprüfung offenbaren sich die letzten zwei Drittel als reine Noise-Wände. Erschlagend.

Fazit: Moral Machine ist ein Album wie ein menschlicher Tick, nach dem Abschließen der Haustüre doch noch mal den Herd überprüfen zu müssen - ohne wissenschaftliche Studien recht schwer nachvollziehbar. Die Musik verliert sich auch für mich nicht ungeübten Hörer oft im Avantgardistischen. Grooves werden durch zählzeitlose Gitarren- und Saxophoneinstreuungen neutralisiert. So ganz genau wird nicht klar, was die Band dem Hörer mitteilen möchte. Vielleicht ist die vertonte Geschichte dahinter zu komplex, um sie ohne eine erweiterte Erklärung zu verstehen. CPGJ verstehen ihr Handwerk, keine Frage. Hier zaubern nachweislich studierte und/oder freiberufliche Jazzmusiker und Meister ihres Faches über acht Tracks. Auf den konsumierenden und weniger analytisch veranlagten Hörer wirkt dieser Umstand jedoch oft so, als zeige man dies’ auch gerne in solistisch geprägten Parts, anstatt dieses Wissen und diese Macht als Einheit zu verstärken. Sollte es ein Reclam-Begleitheft zur Platte geben, ich wäre gewillt, es zu lesen, um zu verstehen. Bis dahin bleibt mir mein subjektives Empfinden, den Zugang einfach nicht gefunden zu haben und trotz meiner Vorliebe für progressive Musik hier recht ratlos zurückzubleiben. Das mag wiederum für professionelle Musiker nicht nachvollziehbar sein - und ich beneide sie vielleicht ein bißchen darum, das “Wieso” beantworten zu können.

Anspieltipps: Everybody’s Gut One, Sappattack
Sebastian S.
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