Artist: Hiraes
Herkunft: Osnabrück, Deutschland
Album: Solitary
Spiellänge: 44:04 Minuten
Genre: Melodic Death Metal
Release: 25.06.2021
Label: Napalm Records
Link: https://www.facebook.com/hiraes.official
Bandmitglieder:
Gesang – Britta Görtz
Gitarre – Lukas Kerk
Gitarre – Oliver Kirchner
Bassgitarre – Christian Wösten
Schlagzeug – Mathias Blässe
Tracklist:
- Shadows Break
- Under Fire
- Grain Of Sand
- 1000 Lights
- Eyes Over Black
- Outshine
- Solitary
- Strangers
- Running Out Of Time
Neue Wege fordern Opfer: Das „Opfer“ heißt in diesem Fall Dawn Of Disease und der neue Weg heißt Hiraes. Da die komplette Instrumentalfraktion von Hiraes aus der Asche von Dawn Of Disease stammt, dürfte es in puncto Zusammenspiel keine Hindernisse geben. Neu im Lager der Melodic Deather ist Frontfrau Britta Görtz (ex-Cripper, Critical Mess). Sie ersetzt den zu Nyktophobia abgewanderten Sänger Tomasz Wisniewski. Da mir bei Dawn Of Disease stets der Gesang ein Dorn im Auge war, heimst dieser Faktor schon mal einen Pluspunkt ein. Zumal ich Britta vor Jahren mal mit Cripper auf dem Rockharz erleben durfte – was für ein Organ! Das erste Hiraes-Album Solitary erscheint wie auch das letzte DOD-Album bei Napalm Records. Bis auf den Besetzungswechsel am Mikro also alles beim Alten? Ganz so einfach mache ich mir das vorliegende Material nicht, schließlich wurde auch der Bandname „geopfert“, was für einen klaren Schnitt und Neuanfang sorgt.
Normalerweise hasse ich Vergleiche mit Arch Enemy bei Melo-Death-Bands mit weiblicher Besetzung am Mikro. Nehmt es mir nicht übel liebe Band, aber hier kommen trotzdem Vergleiche, die allerdings durchweg positiv gemeint sind. Das Gitarrenduo Amott/Loomis ist und bleibt auf diesem Sektor wohl unerreicht. Was das Duo Kerk/Kirchner hier jedoch abzieht, kommt verdammt nah ran. Jahrelange gemeinsame Erfahrung zahlt sich eben aus. Alissa White-Gluz oder Angela Gossow? Spätestens nach dem ersten Durchlauf von Solitary sage ich euch: Britta Görtz all the way. Ihre stimmliche Variation ist unglaublich stark: Growls, Screams, Flüstern, Spoken-Word. Diese neue Dimension des Bandsounds erreicht ungeahnte Höhen.
Nach der instrumentalen Einleitung von Shadows Break flüstert mir Sängerin Britta ins Ohr: „Beyond gravity and fate, shadows break, don’t be afraid.“ Ich habe keine Angst, obwohl der folgende, fast schon gesprochene Teil abgrundtief böse aus dem Kopfhörer rauscht. Der Song kann als langes Intro zur hymnischen ersten Single Under Fire gesehen werden. Dieser Song hat in zwei Monaten bereits über 100.000 Klicks bei YouTube eingeheimst – Respekt. Kein Wunder, denn einfach gesagt ist Under Fire eine Melodic-Death-Hymne aus dem Lehrbuch. Knüppelpassagen, Twin-Leads und Growls graben sich den Weg von Schweden bis nach Deutschland.
Zugegeben, ich höre nicht den lieben langen Tag Melodic Death. Doch die Affinität ist da. Wenn es dieses Jahr eine Band schaffen sollte, einen stärkeren Song in diesem Genre als Grain Of Sand zu schreiben, so mögen die Spiele hiermit beginnen. Keine Ahnung, was man auf dieser emotionalen Reise besser machen soll. Geschickt variieren Hiraes das Tempo und lassen Wahlweise nichts als verbrannte Erde zurück oder zaubern große Gefühlsmomente durch Melodien aus dem Ärmel. Zwischendrin gibt es, wie auf dem gesamten Album, immer wieder kleine orchestrale Parts, die den Sound aufwerten. Somit schlägt die Band eine Brücke zum allgegenwärtigen „Schwedentod“, ohne angestaubt zu wirken. Gänsehaut, Freunde.
Etwas gemächlicher und auch unspektakulärer fließt der Beginn von 1000 Lights durch die Gehörgänge. Für etwas mehr Action sorgen die Blastbeats gegen Ende des Songs, er verliert dennoch etwas gegenüber den ersten drei Songs. „Tell me – do you believe in suffering?“ Leicht angeschwärzte Passagen wechseln sich in Eyes Over Black mit typischen Melodic-Death-Riffs moderner Prägung ab. Die Gesangsperformance, die Gitarrensoli im Mittelteil und vor allem die Melodie im Refrain stechen hervor.
Obacht, jetzt kommt ein Doppelpack zum Niederknien: Neben dem bereits erwähnten Grain Of Sand haben Hiraes mit Outshine und allen voran dem Titelsong mächtig Sprengkraft im Arsenal. Die Atmosphäre und der Songaufbau in Outshine lassen mich erstmals den Blick von Schweden abwenden und nach Finnland schauen. Als Erstes fallen mir da Insomnium oder Swallow The Sun ein. Im letzten Drittel des Songs geht Britta Görtz noch einmal ganz tief in sich und schreit sich den Frust von der Seele. Das Hauptthema der Melodie trällere ich heute Nacht noch im Schlaf.
„May the burden of resistance fall and let me be“ ist die Antwort auf die Frage, welches Zitat sich ein Fan der Band in Zukunft auf der Haut verewigen sollte. Das Titelstück liefert ohne Unterlass. Tiefgreifende Lyrics und Songs mit Hitpotenzial – so einfach ist das. Na ja, ich habe gut reden, ich saß schließlich nicht monatelang an den Songs. Diese stammen größtenteils aus der Feder von Lukas Kerk. Solitary wird in den Moshpits dieser Welt mächtig Staub aufwirbeln, das ist garantiert.
Ruhige Töne und Cleangesang zum Auftakt von Strangers. Was ist denn da los? Härter wird es schon noch, keine Angst. Trotz erneut guter Melodien holt mich der Song nicht so recht ab. Lediglich das Solo ab Minute 2:50 und die mit Keyboards „angedickten“ Parts treffen den richtigen Nerv. Zum Schluss gibt es noch einmal knapp sechseinhalb Minuten feinsten Melodic Death aus deutschen Landen. Passenderweise mit Running Out Of Time betitelt, setzt das Stück den starken Eindruck fort. Hiraes sind am besten, wenn sie das Tempo geschickt variieren, ohne Effekthascherei zu betreiben. Das beweisen sie erneut eindrucksvoll. „This is not the end“ heißt es in einer der letzten Zeilen. Das will ich stark hoffen, denn auf diesem Niveau dürfte die Band gerne noch zahlreiche Alben veröffentlichen.