Antrisch – Expedition II : Die Passage

Scharfer Transport von Kälte im Anblick des antrischen Lichtes!

Artist: Antrisch

Herkunft: Würzburg, Bayern

Album: Expedition II : Die Passage

Spiellänge: 38:01 Minuten

Genre: Atmospheric Black Metal, Progressive Black Metal, Doom, Djent, Dark Ambient

Release: 03.04.2023

Label: Eigenproduktion (Unsigned/independent)

Link: https://www.facebook.com/Antrisch/

Bandmitglieder:

Gesang –  Maurice Wilson
Gitarre – Robert Falcon Scott
Bassgitarre – Отто Шмидт
Schlagzeug – Игорь Дятлов

Tracklist:

  1. I. Festgefroren – Packeisfalle
  2. II. Wahnrationen – Saturnusparusie
  3. III. In Perpetvvm – Ewiger Schlaf Im Ewigen Eis
  4. IIII. Vltima Ratio – Anthropophager Frühling
  5. IIIII. Exodvs – Tundrataumel | Croziers Bürde
  6. IIIIII. 68° 15′ N 98° 45° W – 68° 34° N 98° 56′ W5

Die aus Würzburg (Bayern) kommenden Antrisch gründeten sich im Jahr 2020. Seitdem erforschen sie mit ihrem charismatischen Atmospheric Black Metal die innere Welt, welche die große Bandbreite an Ausdrucksformen ermöglicht, die der menschliche Geist aus dem Innenleben hervorzubringen imstande ist.
Bereits am 8. April 2021 machten die Visionäre um Gitarrist und Maincomposer Robert Falcon Scott auf sich aufmerksam, als sie mit ihrer Debüt-EP Expedition I : Dissonanzgrat zu einer musikalischen und lyrischen Expedition zu den Höhen der Welt und den Tiefen des Menschen einluden.
Der Bandname Antrisch ist der Südtiroler Bergsteiger-Legende Reinhold Messner entlehnt, welcher den dialektischen Terminus ‚antrisches Licht‘ publizierte – das für ‚seltsam, nicht geheuer, unheimlich‘ steht und einfach perfekt zur atmosphärischen Musik der Würzburger Schwarzmetaller passt.

In den Texten thematisiert und nicht minder packend wird darüber hinaus auch die äußere Welt, im Wesentlichen die weiten Landschaften und die fesselnden Kräfte der Natur. Für Statistikliebhaber stehen hier sechs Songs mit einer Gesamtspielzeit von 38 Minuten und einer Sekunde zu Buche. So viel erst einmal zu den Vorabinformationen.

Das komplette Album setzt sich aus Songs zusammen, die nahezu fugenlos ineinander übergehen, eine Einheit bilden und so eine Art musikalische Reise erschaffen. Die Reihenfolge der Stücke wurde so gewählt, dass eine bestimmte scharf-kalte, mitunter hektische Stimmung erzeugt wird und den Hörer tiefer in die musikalische Geschichte eintauchen lässt. Stark ausgewählte Soundideen bringen den Hörer dazu, sich auf die Musik einzulassen und sich von ihr mitreißen zu lassen.

Durch fließende Übergänge zwischen den Songs entsteht so eine rote Linie, die es dem Hörer ermöglicht, sich voll und ganz auf die Musik und die dunkle Geschichte und der unheimlichen Vorfälle, die sich vor mehr als 170 Jahren in der kanadischen Arktis ereigneten, zu konzentrieren. Ob der Silberling und die Songs den Musikgeschmack eines jeden Hörers verändern werden, hängt von den jeweiligen Vorlieben ab. Wenn man dennoch offen für neue Erfahrungen ist und sich auf die dunkle Atmosphäre einlässt, kann die CD eine neue Welt der Musik für dich eröffnen.

Jetzt heißt es, eintauchen und wirken lassen. Schon das beklemmende Intro macht klar, dass hier alle positive Hoffnung verloren ist, eine Mannschaft ohne Willen ist der tödlichen Natur bedingungslos ausgesetzt. Ein Chor beginnt über den rauen Worten, welche in den Wind gemurmelt werden, zu singen und ein Schrei zerfetzt das Nichts. Antrisch erzählen in dem Song I. Festgefroren – Packeisfalle, wie sich eine Crew ohne Ausweg in einem Versuch der Befreiung aus dem Eis der Meuterei bedienen will, um ihren irren Captain Sir John Franklin zu stürzen. Scharfe und kantige Riffs jagen die langsamen und melodischen Teile auf diesem Album. Immer wieder wird der Fluss der Klänge durch atmosphärische und stille Augenblicke sowie Erzählungen durchbrochen, und dennoch geht es dann in kreischenden und garstigen Passagen weiter, bei welchen mir teilweise die Haare zu Berge standen. Der blutige, zwieträchtige und graue Alltag in dieser gottlosen, dystopischen Welt kostet den Verstand, die Rechtschaffenheit und Körperteile. Erbarmungslos wird hier eine Realität besungen, welche die Rahmen jeglicher Vorstellung sprengt. In II. Wahnrationen – Saturnusparusie wird jedem klar, dass die Kälte sich alles nimmt, egal ob Bursche oder Sir, die Natur frisst sich Mann um Mann durch die Expedition und konserviert die Kadaver für eine Nachwelt, welche nur gnädiger sein kann als das Dasein. Langsam, aber sicher treibt das ständige Knarren des Eises die Männer in den Wahnsinn und entreißt ihnen die Menschlichkeit und nicht zuletzt das Leben.

In den folgenden Songs wird auch die Stimmung der Musik immer düsterer. Der Übermut des Captains Sir Franklin hat seinen Tod zur Folge. Der Leichnam wird in III. In Perpetvvm – Ewiger Schlaf Im Ewigen Eis von Bord geworfen. Ein Ehrensalut ist alles, was den Leiter der Truppe in den Tod geleitet. Die Vocals stechen hier besonders heraus, der Song ist getragener als die übrigen Tracks. Deutlich brutaler, unheildrohend, als würde dieser als Warnung dienen, sich nicht weiter in dieses musikalische Meisterwerk sinken zu lassen.

Innerhalb von IIII. Vltima Ratio – Anthropophager Frühling bleibt den Männern auch nichts anderes übrig, als sich voneinander entfernen und zu entmenschlichen. Die Grenzen zwischen Freund und Nahrung verwischen. Anstatt Gräber im ewigen Eis auszuheben, werden harte Entscheidungen getroffen.
„Wenn Kamerad zu Nahrung wird, wie wahrt man Pietät? Kein Frömmler sein muss, wer da greinend um Vergebung fleht.“

Die Männer wagen einander nicht mehr anzublicken aufgrund ihrer Taten. Zwischen Ekel, Dankbarkeit und Ohnmacht wird der Preis für das Überleben immer teurer. Musikalisch bietet jeder Song seinen eigenen Klang. Die Intros werden oft fast schon hypnotisch gesprochen. Der allgemeine Klang hat unglaubliches Ohrwurmpotenzial und der garstige Gesang bleibt im Kopf. Lyrisch sind die Songs anspruchsvoll, verworren und bis zur Gänze geschliffen. Ich lege ein jedem ans Herz, sich der Texte einmal anzunehmen, da diese mit der Musik völlig im Einklang sind und nur positiv zur Vollendung des Albums beitragen.

Die Passage neigt sich dem Ende zu. Mit IIIII. Exodvs – Tundrataumel | Croziers Bürde erscheint fast ein Hoffnungsschimmer am grauen Horizont. In einem Sisyphus-ähnlichen Unterfangen ziehen die verbleibenden los, südwärts, um dem Leid zu entkommen. Obgleich schon so viele Kundschafter vor ihnen nichts als Leid dort draußen fanden, sind die Überlebenden gewillt aufzubrechen. Taumelnd und kraftlos schleppt sich der Trupp über das Eismeer. Die Musik nimmt Fahrt auf, IIIII. Exodvs ist schnell und aufbrausend gespielt, wahrhaftig ein letztes Aufbäumen. Die Toten werden von den Sterbenden und Lahmen gezogen. Eine Kriechspur, die hinterlassen wird, ist geschmückt mit den gekrümmten Opfern dieses Marsches. Die eigenen Gefolgsleute noch zwischen den Zähnen, erliegen auch die letzten armen Teufel Stücke für Stück ihrem eisigen Schicksal.
Die letzten gesprochenen Worte des Albums: ”Homo proponit, sed Deus disponit” (Der Mensch schlägt vor, aber Gott verfügt.)

Das sehr melodische Werk IIIIII 68° 15′ N 98° 45′ W – 68° 54′ N 98° 56′ W bildet den Schluss des Albums. Eine Ballade, die die Geschichte abrundet, wirkt eindrucksvoll auf das grausame Schicksal derer, welche an der Franklin Expedition teilnahmen und durch die Hölle gingen, nur um an ihren eigenen Konserven vergiftet zu werden, dem Misstrauen zum Opfer fielen oder der Kälte zu erlagen.

Antrisch haben mit Expedition II : Die Passage ein wirklich beeindruckendes Langspielerdebüt hingelegt. Die Atmosphäre und Stimmung sind intensiv und beklemmend zugleich.

Antrisch – Expedition II : Die Passage
Fazit
Antrisch schaffen es, auf höchst originelle und eigenständige Art eine Mischung aus verschiedenen Stilen des Black Metals gekonnt mit Anteilen von Doom, Djent und Dark Ambient zu vermischen, dabei aber immer kalt, scharf und eckig zu bleiben - hier wird Kälte musikalisch transportiert. Die Musik, die Kunst muss man wirken lassen.

Anspieltipps: I. Festgefroren – Packeisfalle und III. In Perpetvvm – Ewiger Schlaf Im Ewigen Eis
Dave S.
8.7
Leserbewertung5 Bewertungen
9.2
8.7
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