Between The Buried And Me – Colors II

Nach wie vor eine Ausnahmeerscheinung in der Welt des Prog

Artist: Between The Buried And Me

Herkunft: North Carolina, USA

Album: Colors II

Spiellänge: 78:00 Minuten

Genre: Progressive Metal

Release: 20.08.2021

Label: Sumerian Records

Link: https://www.facebook.com/BTBAMofficial

Bandmitglieder:

Gesang und Keyboard – Tommy Rogers
Gitarre und Backgroundgesang – Paul Waggoner
Gitarre – Dustie Waring
Bass und Keyboard – Dan Briggs
Schlagzeug – Blake Richardson

Tracklist:

  1. Monochrome
  2. The Double Helix Of Extinction
  3. Revolution In Limbo
  4. Fix The Error
  5. Never Seen/Future Shock
  6. Stare Into The Abyss
  7. Prehistory
  8. Bad Habits
  9. The Future Is Behind Us
  10. Turbulent
  11. Sfumato
  12. Human Is Hell (Another One With Love)

Master Of Puppets II, Painkiller II oder um im Genre zu bleiben Images And Words II – nicht wenige Fans wünschen sich eine Fortsetzung dieser Meilensteine der Metalgeschichte. Die meisten Bands scheuen diese Art der Weiterführung ihrer Klassiker, weil die Bürde des Vergleichs zu schwer wiegen würde. Doch Between The Buried And Me haben eigentlich schon immer auf Konventionen gepfiffen. Wer die amerikanischen Break-Könige kennt, weiß, dass ohnehin kein Abklatsch des Meisterwerks Colors beim mittlerweile zehnten Studioalbum entstanden ist.

Als im Jahr 2007 der erste Teil von Colors veröffentlicht wurde, fragten sich BTBAM nach ihrer Zugehörigkeit, wie Sänger Tommy Rogers berichtet: „Wir fragten uns: ‚Wo gehören wir in dieser Musikszene hin?‘ Damit kämpfen wir immer noch. In diesen beiden Momenten unserer Karriere beschlossen wir, einfach wir selbst zu sein und das beste Album zu schreiben, das wir können. Wir haben uns voll ins Zeug gelegt, und ich habe das Gefühl, dass es unser kreativstes Material seit Langem ist.“

Wie das Gehirn so spielt: Bei der 2018er Doppel-Veröffentlichung Automata I und II dachte ich mir noch, dass man es auf einem Album hätte unterbringen können. Nach den ersten Durchläufen von Colors II beschleicht mich das gegenteilige Gefühl. So viele Ideen, die dort unter einen Hut gebracht wurden, das reicht für Colors 1.5 und 2.0. Obwohl Colors damals diverse Bestenlisten aufmischte, gehört es für mich nicht mal an die Spitze der Diskografie von BTBAM. Diese Aussage soll allerdings nur unterstreichen, wie kreativ und unberechenbar das Quintett agiert. Also, Kopfhörer auf und abgetaucht in die bunte Welt von Colors II.

Wie schon der erste Teil startet Colors II mit ruhigen Pianoklängen – die Ruhe vor dem Sturm. Das soll es dann aber vorerst gewesen sein mit den Vergleichen. Wer möchte, kann die Songs abwechselnd hören. Ich versuche, das neueste Album als eigenständiges Werk zu betrachten. Monochrome nennt sich der Introsong mit den eindringlichen Vocals und Gitarren- bzw. Keyboardharmonien. Dann schließt erstmals dezente Polyrhythmik, die mit harschen Gesangslinien und Blastbeats untermalt wird, den Kreis.

Es folgt der nahtlose Übergang zu The Double Helix Of Extinction. Im Refrain besingt die Band zwar auch sich selbst, prangert aber in erster Linie die Menschheit an, die sich über die Natur erhebt: „Nature seeps into concrete, it’s up to us to reshape this course, Between the buried and me.“ Musikalisch gibt es erst mal richtig auf die Fresse. Rogers wechselt seine Stimmfarben wie ein Chamäleon. Dann wäre da noch das abgefahrene Getrommel von Blake Richardson, nachzuhören ab Minute 2:14. Da kann einem schon mal die Schädeldecke wegfliegen. Um den Hörer gleich vollends auf die Probe zu stellen, folgt darauf ein psychedelischer „Mindfuck-Part“ mit krassen Bassgrooves – Holla the Forest-Fairy!

Revolution In Limbo ist einer der beiden Singles von Colors II und hat mich beim ersten Hören sofort überzeugt. Für mich jetzt schon ein unverzichtbarer Song in der Diskografie der Amerikaner. Die melodischen Gitarrenläufe im ersten Drittel des Songs sind schon beeindruckend. Dazu wechselt Tommy Rogers weiterhin gekonnt seine Persönlichkeiten und liefert tiefgründige Texte: „Over and over, day in, day out. Monotonous drought. We didn’t live, we only existed.“ Auf der Hälfte angekommen, liefern sich Sänger Tommy und Gitarrist Paul ein Growl-Duell, nur um danach karibisches Tanzflair (!) aufkommen zu lassen. Bei dieser Art des Songwritings würde ich gerne mal Mäuschen spielen.

Die zweite Single Fix The Error folgt auf dem Fuße. Diese fängt schon mit nach vorne peitschenden Drums und Hammondorgelsound an. Hier haben sich BTBAM gleich drei Gäste an den Drums eingeladen, um ihre Solokünste an den Kesseln in den Song zu flechten. Das Erste liefert kein Geringerer als der ehemalige Dream Theater Drumgott Mike Portnoy. Seinem Beispiel folgen Navene Koperweis (Entheos) und Ken Schalk (Candiria). Trotz dieser geballten Power am Schlagzeug ist mein persönliches Highlight die kleine Zirkusmelodie im Mittelteil, gefolgt von Gitarrensoli zum Niederknien.

Es geht das erste Mal über die zehn Minuten Marke. Never Seen/Future Shock zeigt direkt auf, warum ich das Axtduo Waggoner/Waring so liebe: Die Riffs und Harmonien liefern so viel Kreativität aus dem kleinen Finger, das andere Gitarristen vor Ehrfurcht erstarren müssten. Das Schöne daran? Sie schreiben niemals Material zur Selbstbeweihräucherung, sondern agieren jederzeit songdienlich und sorgen für tolle Spannungsbögen. Wie schon die Engländer von Haken bauen auch BTBAM Drumsounds ein, die einfach „80s as fuck“ klingen – ich liebe es. Nach melodischem Einstieg und darauffolgenden Knüppel-Parts geht es etwas tiefer in die Abgründe der menschlichen Psyche. Tommy Rogers legt seine intensiven Vocals über die zurückgefahrene Instrumentalfraktion und verträumte Akustikklänge. Mein Finger sucht nervös nach der Repeat-Taste.

Starren wir gemeinsam mit der Band und Texter Tommy Rogers in den Abgrund. Dieser analysiert sich selbst und die Menschheit wie schon auf dem ersten Colors-Album. Man verzeihe mir die häufige Erwähnung des Frontmanns, aber er ist definitiv mein „Platonic Crush“, wie die Amis so schön sagen. 😀 Der kurze getragene Song baut sein Gerüst stetig zu einem großen Soundturm auf.

Das nächste Stichwort ist Prehistory, zu dem die Jungs ihre eigene Geschichte haben: Die Band ist eine der wenigen Musikgruppen, die eine seltene, 2018 entdeckte prähistorische Seesternart nach sich benannt hat. Die Amphilimna Intersepultosetme (die wörtliche lateinische Übersetzung ihres Namens) lebte vor 67 Millionen Jahren in South Carolina. Die beschwingte Nummer steht im Regal zwischen lustigen Momenten und „Weirdo-Parts“. Joker Joaquin Phoenix hätte seine helle Freude an dem Song.

Weiter geht die wilde Fahrt mit Bad Habits. Hier wird die Schlagzahl zwischen atmosphärischen Momenten und Raserei wieder erhöht. Progressive Metal mit ADHS. Trotz gelungener Momente und abermals schönen Harmonien der Abteilung Saiten und Flitzefinger zündet das Teil auch nach mehreren Durchläufen nicht so richtig. Obwohl ich die Drums gegen Ende wieder sehr genieße. Detailverliebtheit ist etwas Wunderbares.

Um nicht wieder in Romanlänge zu verfallen, gibt es an dieser Stelle einen Sprung ans Ende von Colors II. Dieses markiert der längste Song namens Human Is Hell (Another One With Love). Der Longtrack wird durch das entspannte Instrumental Sfumato eingeleitet. Es folgt eine Demonstration der unberechenbarsten Seite von BTBAM. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, aber Mr. Rogers wechselt seine Stimmlagen so gekonnt wie kein anderer und transportiert dadurch perfekt die Stimmung jeder Passage des Stücks. Einige der eingebauten Gitarrenmelodien erinnern mich gar an Dream Theaters erstes Meisterstück When Dream And Day Unite – das kommt auch nicht alle Tage vor. Die letzten fünf Minuten dieser Platte versetzen mich dann endgültig in Trance. Diese Band bleibt für immer eine Ausnahme in der Welt der progressiven Musik.

Between The Buried And Me – Colors II
Fazit
Nach dem fast schon homogenen Coma Ecliptic (2015) und dem Doppelschlag Automata I und II (2018) loten BTBAM wieder einmal die Grenzen des Machbaren aus. Eine der wenigen Bands, die sich nach wie vor nicht in eine Schublade stecken lassen und stets das Wort progressiv leben. Man könnte eventuell sagen, dass die Amerikaner schon zu viele geniale Ideen für ein Album verschossen haben. Wer die seit 2000 aktive Gruppe jedoch ernsthaft verfolgt, wird feststellen, dass auch Colors II noch nicht das Ende der Fahnenstange ist. Between The Buried And Me make Progressive Metal great again.

Anspieltipps: Revolution In Limbo und Never Seen/Future Shock
Florian W.
8.8
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